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Druckmittel Kosovo bleibt

Im Annäherungsprozess an die EU ist nun Serbien in der Warteschlange nach vorne gerückt. Am 21. Jänner wurden bei einer EU-Regierungskonferenz offiziell die Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Serbien will diese schon 2018 abschließen und bis 2020 EU-Mitglied sein. Bis dahin sind allerdings noch einige Baustellen abzuschließen.

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Politische Beobachter wie etwa der deutsche EU-Parlamentarier Elmar Brok (CDU) rechnen damit, dass die Beitrittsgespräche auch bis zu acht Jahre dauern könnten. Serbien sei noch nicht reif für die EU, so Brok. Auch der EU-Fortschrittsbericht für Serbien von 2013 ortet Nachholbedarf vor allem bei der Rechtsstaatlichkeit mit einem besonderen Fokus auf eine Justizreform, beim Kampf gegen Korruption, einer Reform der öffentlichen Verwaltung und Medienfreiheit.

Die serbische Regierung sprach jedenfalls von einem Tag von „historischer Bedeutung“ und einer „großen Errungenschaft für die Koalitionsregierung“. „Wir haben verdient, als Teil Europas anerkannt zu werden“, stellte auch der serbische Präsident Tomislav Nikolic, ein früherer Ultranationalist, fest.

2008 noch mit Klage gedroht

Mit Regierungschef Ivica Dacic und Vizepremier Alexander Vucic sind es ehemalige Vertraute des früheren autokratischen Machthabers Slobodan Milosevic, die den nächsten Schritt in Richtung EU erreichten. Ermöglicht wurde das durch eine sukzessive Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo, was unter den Vorgängern der jetzigen Regierung so noch kein Thema war.

EU-Annäherung seit 2005

Nach dem Sturz des Milosevic-Regimes begannen im Oktober 2005 Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, das am 1. September 2013 in Kraft trat. Seit 2009 ist es möglich, ohne Visa zwischen Serbien und der EU zu reisen. Das am 19. April 2013 geschlossene Abkommen zwischen Belgrad und Prishtina ermöglichte die offizielle Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen Ende Jänner.

Gerade Vucic zählte aber auch zu der Gruppe von Ultranationalisten, die noch 2008, als der damalige serbische Vizepremier Bozidar Djelic das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnete, mit einer Klage wegen vermeintlichen Verstoßes gegen die Verfassung drohte.

Henri Bohnet, Leiter der Auslandsbüros Serbien und Montenegro der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung, rechnet aber nicht damit, dass sich der bisherige außenpolitische Kurs Serbiens auch Richtung EU unter einem möglichen Premier Vucic ändern wird: „Nicht weil Vucic ein extrem euphorisierter Europäer ist, sondern weil er Pragmatiker ist und weiß, in welche Richtung Serbien die meisten Chancen hat, sich weiter und besser zu entwickeln.“

Über 40 Prozent für EU-Orientierung

Der bisherige Annäherungsprozess an die EU wurde jahrelang durch die fehlende Kooperation bei der Auslieferung mutmaßlicher Kriegsverbrecher aus den Jugoslawien-Kriegen - insbesondere Ratko Mladic’ und des früheren Präsidenten der Republika Srpska, Radovan Karadzic - sowie wegen der Kosovo-Frage verzögert. Die Weichen Richtung EU sind nun jedenfalls gestellt. In einer ersten Phase bis Anfang 2015 wird nun der serbische Rechtsbestand in Hinblick auf EU-Recht („Screening“) überprüft. Als erste Kapitel sollen die Bereiche Justiz und Grundrechte geöffnet werden.

In der Bevölkerung gebe es mittlerweile einen harten Kern von 40 bis 45 Prozent in der Bevölkerung, die sich klar für eine EU-Orientierung aussprechen, sagt der Politikexperte der deutschen Stiftung Wissenschaft & Politik, Dusan Reljic. Je nach politischer Lage können sich noch mehr mit einem potenziellen EU-Beitritt anfreunden.

Kosovo-Kapitel ab Sommer offen?

Auch wenn es nun seit vergangenem Jahr ein von der EU vermitteltes Abkommen zwischen Belgrad und Prishtina gibt, erwartet die EU, dass weiterhin an einer Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo gearbeitet wird und die Vereinbarungen umgesetzt werden. Das Thema regionale Zusammenarbeit und damit auch die Kosovo-Frage wird im Kapitel 35 behandelt und soll im Sommer eröffnet werden.

„Wenn dieses Kapitel geöffnet wird, kann der gesamte Beitrittsprozess immer wieder angehalten werden, wenn die EU nicht zufrieden ist mit der Zusammenarbeit Belgrads mit dem Kosovo“, betont Reljic. „Das ist ein Druckinstrument, vor dem die jetzige und auch jede zukünftige Regierung in Belgrad enorme Angst hat.“

An eine Anerkennung des Kosovo denkt Serbien aber weiterhin nicht. „Es war niemals auf dem Tisch, dass wir unsere Haltung (Anm. zum Kosovo; Anm.) ändern“, betonte Ministerpräsident Dacic. In die Verlegenheit, das Kosovo als Voraussetzung zum EU-Beitritt anerkennen zu müssen, kommt Serbien zumindest aus jetziger Sicht nicht, denn auch fünf EU-Mitglieder darunter etwa Spanien, haben die frühere serbische Provinz Kosovo nicht als unabhängigen Staat anerkannt.

Österreich unterstützt EU-Annäherung

Nicht zuletzt aus eigenen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen befürwortet Österreich die EU-Annäherung Serbiens, erklärte Außenminister Sebastian Kurz anlässlich seines Antrittsbesuchs in Belgrad Ende Februar. Denn zum einen laufe über die „Balkanroute“ nach wie vor organisierte Kriminalität und illegale Migration ab, zum anderen sei Österreich größter Auslandsinvestor in Serbien.

2,9 Milliarden Euro legten österreichische Firmen seit dem Sturz des Milosevic-Regimes in Serbien an. Auch die österreichische Regierung will nun offenbar wieder mehr Geld für den Balkan in die Hand nehmen. Kurz will die finanzielle Unterstützung für den Westbalkan im Rahmen der Beitrittspartnerschaft von 1,9 Mio. Euro auf vier Mio. Euro erhöhen.

Moskau bleibt relevant

Auch wenn die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen von der serbischen Regierung willkommen geheißen werden, spielt Russland nach wie vor eine Rolle in dem Balkanstaat. Moskau zögert jedenfalls nicht, über Serbien seine Präsenz in der Region zu demonstrieren. Und solange es im UNO-Sicherheitsrat keinen Konsens über die Aufnahme Kosovos gibt, gibt es auch keine tatsächliche Anerkennung. „In diesem Sinne bleiben Moskau und Peking enorm relevant für Serbien“, erklärt Reljic.

Aber auch wirtschaftlich sei die Beziehung zu Russland nicht zu unterschätzen: zum einen als Absatzmarkt für Serbien, zum anderen sei die Energiewirtschaft Serbiens zu einem Großteil in der Hand der russischen Gasprom. Die staatliche Energiegesellschaft wurde von Gasprom übernommen - damit stieg auch die Energieabhängigkeit von Russland.

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