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Liebe, Rache und sexuelle Gier

Der Goldene Bär der 64. Berlinale geht nach China. Die Jury der Internationalen Filmfestspiele Berlin hat am Samstagabend den Krimi „Bai Ri Yan Huo“ („Schwarze Kohle, dünnes Eis“) von Yinan Diao mit dem Hauptpreis des Festivals ausgezeichnet.

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Chinesische Filmemacher erhielten insgesamt drei der begehrten Bären: Der 40-jährige Fan Liao, Hauptdarsteller der im Stil des Film noir gedrehten Detektivstory „Bai Ri Yan Huo“, wurde auch als bester Schauspieler geehrt. Der Film um die Aufklärung mehrerer brutaler Morde ist ein düsteres Puzzle aus Liebe, Rache und sexueller Gier in einer Gesellschaft ohne Moral.

„China ist in einer Zeit großer Wandlungen. Manche Verbrechen wirken auf mich wie Spiegel unserer Gegenwart“, so Yinan Diao. Zugleich betonte er in Berlin: „Eine besondere politische Bedeutung hat der Film nicht.“ Bei der Preisverleihung war er sichtlich bewegt.

Filmszene aus "Schwarze Kohle, dünnes Eis" zeigt einen Mann mit Mofa im Schnee am Straßenrand

APA/EPA/Berlinale

Szenenbild aus dem Gewinnerfilm „Bai Ri Yan Huo“

Kritiker sprachen von einem unterhaltsamen Krimi mit einer der originellsten Mordszenen der Filmgeschichte. Die Story versucht zahlreiche - bisweilen kaum zu überblickende - Handlungsstränge zu vereinen. Der Goldene Bär war zuletzt im Jahr 2007 mit „Tuyas Hochzeit“ von Wang Quan’an an einen chinesischen Film vergeben worden. Auch der Preis für die beste Kamera ging heuer nach China: Jian Zeng erhielt den Preis für seine Bilder zu dem Drama „Tui Na“ („Blinde Massage“).

Jurypreis für Wes Anderson

Der Große Preis der Berlinale-Jury ging an Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“. Der US-Regisseur erhielt in Abwesenheit den Silbernen Bären für seine mit Stars wie Ralph Fiennes, Bill Murray und Willem Dafoe besetzte Komödie. Es handelt sich dabei um eine skurrile Story um ein Luxushotel, seinen Concierge, einen Mord und ein wertvolles Gemälde. Das Starensemble zeigte sich in allerbester Spiellaune. Publikum und Kritiker waren angetan. Einzig der sonst für Anderson-Filme typische, leicht tragische Unterton hätte markanter ausfallen können, hieß es.

Die Deutschen holten unterdessen einen Silbernen Bären in der Kategorie bestes Drehbuch: Die Geschwister Anna und Dietrich Brüggemann nahmen die Auszeichnung für das Drama „Kreuzweg“ entgegen. Ihr Film erzählt von einem 14-jährigen Mädchen, das der strengen katholischen Lehre der Pius-Bruderschaft folgt. „Kreuzweg“ erhielt außerdem den Preis der Ökumenischen Jury.

Regisseur Richard Linklater mit dem Silbernen Bären

APA/EPA/Jens Kalaene

Regisseur Richard Linklater

Regie-Bär für Publikumsliebling Linklater

Der US-Filmemacher Richard Linklater wurde für sein Drama „Boyhood“ mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet. Die Berlinale-Jury sprach Linklater den Regiepreis für sein Langzeit-Spielfilmprojekt über das Heranwachsen eines Burschen aus Texas zu. Der Film war der Publikumsliebling dieser Berlinale. Für den Film wurden dieselben Darsteller über einen Zeitraum von zwölf Jahren jedes Jahr vor die Kamera geholt. Kritiker sprachen von einem faszinierenden Porträt eines Kindes und Heranwachsenden.

Der Silberne Bär für die beste Darstellerin ging wie jener für den besten Darsteller ins ferne Asien: Die 23-jährige japanische Schauspielerin Haru Kuroki erhielt den Preis für ihre Rolle als Dienstmädchen in dem Drama „Chiisai Ouchi“ („Das kleine Haus“) von Yoji Yamada.

Caligari-Preis für „Das große Museum“

Der österreichische Film „Das große Museum“ von Johannes Holzhausen ist Träger des diesjährigen Caligari-Filmpreises. Die mit 4.000 Euro dotierte Auszeichnung wird im Rahmen der Berlinale vom deutschen Bundesverband Kommunaler Filmarbeit gemeinsam mit dem Magazin „Filmdienst“ vergeben.

Mit dem vom ORF kofinanzierten Porträt des Kunsthistorischen Museums (KHM) Wien sei dem Regisseur ein informativer, witzig-intelligenter Blick hinter die Kulissen einer Kulturbürokratie gelungen, befand die Jury. Der Dokumentarfilm, der am 18. März auch die Diagonale eröffnen wird, lief in Berlin in der Serie Forum, die sich dem unkonventionellen, innovativen Kino widmet.

Friedenspreis für „We Come as Friends“

Hubert Sauper wurde mit dem Friedenspreis der Berlinale für seine Doku „We Come as Friends“ (ebenfalls vom ORF kofinanziert) ausgezeichnet. Sauper ist in einem von ihm mitkonstruierten winzigen Flugzeug, einer Art „Smart der Lüfte“, durch den Südsudan gereist und hat mit den Menschen gesprochen: Warlords, UNO-Beamte, Menschen, die von ihren angestammten Siedlungsplätzen vertrieben werden, Teilnehmer eines Investorengipfels für den Südsudan, die die neuerliche Landnahme als „Win-win-Situation“ verkaufen. Doch wenn der Wind neben Sand auch Unmengen von Müll über den trockenen Boden wirbelt, kommt angesichts solch trüber Bilder Hoffnungslosigkeit für einen ganzen Kontinent auf.

Regisseur Sauper („Darwin’s Nightmare“) nimmt aber im Film, den er rund um das Referendum für die Unabhängigkeit des Südsudan gedreht hat, nicht offen Partei. Er sucht keine Antworten, sondern stellt Fragen, wenngleich durchaus auch mittels Tonmontage und Schnittfolge Aussagen über ein verzweifeltes Land als stolzer junger Staat getroffen werden: Der Kolonialismus in Afrika ist noch keineswegs zu Ende.

„Macondo“ ritterte um Bären mit

In der Hauptkategorie war auch ein österreichischer Beitrag nominiert gewesen, der trotz Kritikerlobes leer ausging: „Macondo“, ein Film von Subadeh Mortezai, einer Österreicherin mit iranischen Wurzeln (ebenfalls vom ORF kofinanziert). Der Film beschäftigt sich mit dem Erwachsenwerden eines Buben, der schon frühzeitig Verantwortung für die Familie übernehmen muss. Er lebt in Macondo - so wird eine Flüchtlingssiedlung in Wien-Simmering genannt - zwischen Baggerpark, Containerhafen und Auwald. Das Asylverfahren läuft noch. Und das bedeutet: besonderes Wohlverhalten, bis das Gericht entschieden hat.

Drehbuchautorin und Regisseurin Mortezai hat den Film aus ungewöhnlicher Perspektive drehen lassen, zwischen Kind und Erwachsenem. Dieses Erwachsenwerden und die Beziehung zu einer Vaterfigur wollte sie zeigen, sagte Mortezai in einer Pressekonferenz. Der Tschetschenien-Bezug habe sich ergeben, weil derzeit hauptsächlich Tschetschenen in Macondo lebten. „Macondo“ ist ein schöner, ruhiger und in sich geschlossener Film über das Erwachsenwerden, aber auch über Integration. Beachtlich sind die Leistungen der Laienschauspieler aus der Flüchtlingssiedlung.

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