Schockierende Bilder
Mehr als 5.000 Leichen liegen unter freiem Himmel, als die Briten am 15. April 1945 in Bergen-Belsen einrücken. Britische Kameraleute halten das Grauen im Konzentrationslager fest. Der daraus entstandene Dokumentarfilm wurde, fast 70 Jahre später, bei der diesjährigen Berlinale gezeigt. Beteiligt war einst auch Alfred Hitchcock - allerdings in geringerem Ausmaß, als lange angenommen wurde.
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Mit den Befreiungssoldaten rückte eine Gruppe von Kameraleuten vor, denen sich schreckliche Bilder boten: Tausende Leichen, verweste Körper, vom Hunger und den Qualen gezeichnet. Dazwischen regten sich die Überlebenden. Die Kameraleute gehörten einem Team der britischen Armee an, das die NS-Barbarei dokumentieren sollte. Der Produzent Sydney Bernstein wollte nach dem Krieg den Deutschen das von ihnen verursachte Leid vor Augen führen.
Bernstein wollte außerdem Beweismittel gegen spätere Holocaust-Leugner sichern. Fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist der im Imperial War Museum in London rekonstruierte Film auf der Berlinale zu sehen. „German Concentration Camps Factual Survey“ - der bürokratisch klingende Titel versammelt Aufnahmen aus den Todeslagern, wie sie bisher kaum öffentlich gezeigt wurden.
Bänder im Archiv verschwunden
Im Angesicht des Leids gehen die Bilder bis an den Rand des Erträglichen. Hitchcock, der an dem Film mitarbeitete, soll derart verstört gewesen sein, dass er tagelang nicht mehr im Studio erschien. Dass der Film erst jetzt gezeigt wird, kommt einer kleinen Sensation gleich. Die sechs Rollen und die Texte für die Off-Stimme verschwanden bald nach Kriegsende im Archiv. Die britische Regierung hatte das Interesse an einer Umerziehung ihrer einstigen Feinde verloren.
Im beginnenden Kalten Krieg sollten die Deutschen mit den von ihnen verursachten Morden nicht weiter konfrontiert werden. Für den Wiederaufbau brauchten die Besatzer die Sympathien der Bevölkerung, eine weitere Demoralisierung erschien ihnen im Wettlauf mit der Sowjetunion als kontraproduktiv.
Rolle Hitchcocks geringer als gedacht
Erst 1984 wurden Teile des Films auf der damaligen Berlinale und in einer TV-Dokumentation in Auszügen gezeigt. Damals wurde der Film noch als ein Werk Hitchcocks ausgegeben. Produzent Bernstein hatte seinen Freund um Hilfe gebeten. Der damals schon berühmte Regisseur kehrte aus den USA zurück und wollte nun einen persönlichen Beitrag im Kampf gegen die Nazis leisten.
Doch in seiner Dokumentation „Night will fall“, mit der Andre Singer die Entstehung des Films nachzeichnet, wird deutlich: Die Rolle Hitchcocks war weitaus geringer als bisher vermutet. Der Regiestar habe Ideen zur Grafik beigesteuert, berichtete Singer bei der Präsentation auf der Berlinale.
Unerträglicher Anblick
Die wahren Helden des Films seien die Kameramänner, sagte der Historiker Toby Haggith vom Imperial War Museum, der federführend an der Rekonstruktion des Films beteiligt war. Unerschrocken hätten sie sich unter die befreiten Häftlinge gemischt, unbeirrt die Spuren der Barbarei festgehalten.
Wenn etwa die einstigen KZ-Wächter ihre bis zur Unkenntlichkeit entstellten Opfer selbst in ein Massengrab tragen müssen, sind bei den Tätern keine Zeichen von Betroffenheit oder gar Reue zu sehen - für den Zuschauer ein fast unerträglicher Anblick.
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