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Geld nur mit Totenschein

Acht Monate nach dem folgenschweren Einsturz eines Fabrikgebäudes in Bangladesch üben Angehörige lautstark Kritik an den örtlichen Behörden. So sollen fast 200 Leichen nicht identifiziert und in weiterer Folge auch nicht freigegeben worden sein. Damit kommen Zweifel auf, ob die Opferzahl von 1.134 Personen auch tatsächlich stimmt.

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Es war das schlimmste Unglück in der Geschichte des Landes, als am 24. April das Rana Plaza, ein Fabrikkomplex aus fünf Textilunternehmen, einstürzte und rund 3.600 Menschen unter sich begrub. 2.500 Menschen konnten noch lebend aus den Trümmern geborgen werden, für 1.134 Arbeiter - vorwiegend junge Frauen - kam jede Hilfe zu spät. Noch immer warten viele Angehörige auf Klarheit über den Verbleib ihrer Töchter, Ehefrauen und Mütter und werfen den Behörden Schlamperei vor, wie der britische „Guardian“ berichtet.

Eingestürztes Fabriksgebäude

APA/AP/Wong Maye-E

3.600 Menschen wurden am 24. April 2013 unter den Trümmern begraben

189 Euro für Begräbniskosten

An den Tagen nach der Katastrophe wurden mehr als 800 Leichen von Verwandten oder Freunden oder anhand von Personalkarten oder anderen persönlichen Gegenständen identifiziert. Die Hinterbliebenen erhielten 20.000 Taka (189 Euro) von den lokalen Behörden, um die Begräbniskosten abzudecken. Später wurden noch einmal 100.000 Taka aus einem speziellen Fonds, den die Regierung zur Verfügung gestellt hatte, ausgezahlt.

Zudem wurden den Angehören von identifizierten Todesopfern die ausständigen Löhne von der Textilvereinigung (BGMEA) ausbezahlt, zudem noch einen Monatslohn von dem britischen Textilhändler Primark, der vorwiegend im Rana Plaza seine Ware herstellen ließ. Diejenigen, deren Familienmitglieder immer noch auf der Vermisstenliste stehen, erhielten bisher jedoch gar nichts.

DNA-Proben nur von wenigen Leichen

„Ich warte immer noch auf Entschädigung“, erzählt Abu Kaschem Mollah der britischen Zeitung. Seine Tochter Pervin sei bei dem Einsturz ums Leben gekommen, so Mollah, aber obwohl sie ihren Personalausweis bei sich getragen habe und er seine DNA für einen Abgleich abgegeben habe, sei sie nicht identifiziert worden. „Ich kann das nicht verstehen“, zitiert ihn der „Guardian“.

Im Nachhinein zeigte sich, wie überfordert die Behörden tatsächlich waren. So war nur ein einziges, kleines Labor in Bangladesch in der Lage, überhaupt DNA-Analyse vorzunehmen. Doch die von der deutschen Regierung gegründete Einrichtung konnte nur bei etwa der Hälfte der 324 Leichen, die anonym auf dem Friedhof von Dhakar bestattet wurden, DNA-Proben entnehmen. Für mehr reichten die Kapazitäten nicht.

Leichen an falsche Familien ausgegeben

Auch dürften in dem Chaos Leichen fehlerhaft identifiziert und den falschen Hinterbliebenen ausgehändigt worden sein. „Wir haben in einem speziellen Fall Nachforschungen angestellt und haben bei drei von vier Fällen festgestellt, dass die Leichen den falschen Familien übergeben wurden“, sagte Sharif Akhteruzzaman, Leiter des DNA-Labors, dem „Guardian“.

Das führte zu den Gerüchten, die Regierung habe heimlich Hunderte Leichen verschwinden lassen, um das wahre Ausmaß der Katastrophe zu verschleiern. Das Arbeitsministerium hat eine Anlaufstelle für Angehörige nahe dem Unglücksort eingerichtet. Doch dort habe man „keine wirkliche Idee“, wie man mit dem Problem der vielen Vermissten umgehen solle, erklärt der Hilfskoordinator Massoum Billah.

Entschädigungsfonds über 40 Mio. Dollar

Und auch der Entschädigungsfonds, auf den sich die Regierung und vier internationale Einzelhandelsketten am 24. Dezember geeinigt haben, ist für die Angehörigen der vielen Vermissten kein Trost. Denn von den 40 Millionen Dollar (29 Mio. Euro), die das britisch-irische Unternehmen Primark, El Corte Ingles aus Spanien, die kanadische Kette Loblaw und die britische Firma Bonmarche in den Fonds einzahlen, profitieren vorerst nur die Angehörigen, die einen Totenschein vorweisen können.

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