Marksteine in der heimischen Geschichte
Bei der Geschichte Österreichs haben sich die Experten leichter getan - und trotzdem schwer. Leicht, weil sie sich wesentlich einiger waren als bei den global wichtigsten Ereignissen. Und schwer, weil viele mit fünf Daten nicht auskamen, sondern unbedingt sechs nennen wollten.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
„Ich bin nicht in der Lage, auch nur eines der genannten Daten zurückzuziehen“, meint etwa Gerald Stourzh.
Die deutlich meistgenannten Jahre in Österreichs Historie sind 1918 mit der Ausrufung der Republik und 1938 mit dem sogenannten „Anschluss“. Nur knapp dahinter folgt das Staatsvertrags- und Neutralitätsjahr 1955. Das Bürgerkriegsjahr 1934, der Beginn der Zweiten Republik 1945 und der EU-Beitritt 1995 liegen exakt gleichauf.
Zählt man allerdings auch die Nennungen von 1933 (sogenannte „Selbstausschaltung des Parlaments“) und 1994 (EU-Volksabstimmung) dazu, fällt ausgerechnet 1945, das Gründungsjahr der Zweiten Republik, aus der Liste der fünf wichtigsten Ereignisse heraus.
Österreich und das Jahr 1986
Ein zentrales Jahr ist für etliche Expertinnen und Experten auch 1986 - mit dem Beginn der Waldheim-Debatte („Zerfall der Opferthese“, Embacher) und der Wahl von Jörg Haider zum FPÖ-Obmann („Österreich wird zum Versuchsfeld des Rechtspopulismus mit all seinen Nebenwirkungen. Die Aufarbeitung beschäftigt die Republik bis heute“, Kathrin Stainer-Hämmerle).
Erwähnt werden aber etwa auch der Justizpalast-Brand 1927 und das erste Lohn-Preis-Abkommen von 1947 („Der Beginn der Sozialpartnerschaft, die bis heute prägend für das Land ist“, Eva Blimlinger). Und die Besetzung der Hainburger Au 1984 mit der „Entstehung einer neuen politischen Kraft“, den Grünen (Helmut Konrad).
ZIB2-Beitrag zum Nachsehen
Die ZIB2 zeigte am Montag die Ergebnisse der Umfrage zu Österreich in einem eigenen Beitrag. Historiker Oliver Rathkolb erläuterte im Studiogespräch, wieso die Experten mit der Einschränkung auf fünf Ereignisse ihre Probleme hatten.
Interessant auch, dass seit dem EU-Beitritt vor immerhin knapp zwei Jahrzehnten offenbar nichts Wesentliches mehr in Österreich passiert ist. Die schwarz-blaue „Wende“ im Jahr 2000 zum Beispiel wird kein einziges Mal genannt.
Nur Gerhard Botz, der eine Nennung von Einzeldaten verweigerte, sieht von 1997 bis heute eine fünfte Phase in Österreichs Geschichte der letzten 100 Jahre: „Die zögernde Europäisierung und das endgültige Heraustreten aus der Nachkriegszeit.“
Schlüsseldaten der letzten 100 Jahre in Österreich:
- 1918: Ende des Ersten Weltkriegs, Ausrufung der Republik Deutsch-Österreich, Gründung der Ersten Republik („mit positiven und negativen Folgen: Demokratie, Frauenwahlrecht, Rotes Wien - Antisemitismus, politischer Katholizismus, Radikalisierung“, schreibt Helga Embacher, und Anton Pelinka: „Das Ende des alten Österreich und der (widerwillige) Beginn eines neuen Österreich“).

www.picturedesk.com
- 1933/1934: Ende der Demokratie, Ständestaat, Bürgerkrieg, Juli-Putsch („Prägen die politische Kultur bis Ende des 20. Jahrhunderts“, so Gerhard Jagschitz).

picturedesk.com/ÖNB-Bildarchiv/Rudolf Spiegel
- 1938: „Anschluss“ an Deutschland, nationalsozialistische Machtergreifung („und Vertreibung der Juden, ein unersetzlicher Verlust, der zur langfristigen Verprovinzialisierung der Kunst- und Wissenschaftslandschaft führte“, schreibt Günter Bischof).

www.picturedesk.com
- 1955: Staatsvertrag | Neutralitätsgesetz („Als definitiver Ausstieg von der deutschen Geschichte“, kommentiert Michael Gehler).

APA/Erich Lessing
- 1994/1995 EU-Volksabstimmung, EU-Beitritt („Österreichs Flucht vor sich selbst und vor dem Unvermögen einer umfassenden Reform zugunsten einer notwendigen Modernisierung, Liberalisierung und Internationalisierung“, so Reinhard C. Heinisch, und „das letzte geglückte Reformprojekt von SPÖ und ÖVP“, so Stainer-Hämmerle).

www.picturedesk.com
Mehr zu allen Einzelrankings und Begründungen im Bericht „Die Begründungen im Einzelnen“.
Links:
Mit den Institutsseiten der teilnehmenden Expertinnen und Experten