Bilderreise durch die Mittelalterwelt
Noah Gordons Roman „Der Medicus“ wurde millionenfach verkauft, stand jahrelang auf internationalen Bestsellerlisten und wird gerne auch als genrebildendes Werk tituliert. Fast 30 Jahre nach seinem Erscheinen kommt das Buch nun als deutsche Produktion ins Kino, die in Sachen Budget, Ausstattungsaufwand und Bildersprache durchaus mit Hollywood-Produktionen mithalten kann.
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Im Zentrum steht der junge Engländer Rob Cole, der nach dem Tod seiner Mutter Zuflucht bei einem herumreisenden Heiler und Gaukler, dessen Profession geschuldet schlicht Bader genannt, sucht. Von diesem lernt er allerlei Taschentricks, Quacksalbermethoden, aber auch damals übliche grobmedizinische Eingriffe wie Zähne zu ziehen und Gliedmaßen zu amputieren.
Reise zum „Arzt aller Ärzte“
Mehr und mehr entdeckt der junge Mann sein Talent, seine Leidenschaft für die Medizin und so nebenbei auch seine Gabe, den nahenden Tod eines Menschen durch Handauflegung vorhersagen zu können. Doch sein Wissensdurst lässt sich bald nicht mehr durch die Lektionen des Baders stillen. Von einem jüdischen Arzt hört er zum ersten Mal von der Universität im persischen Isfahan, an der Ibn Sina Avicenna, der „Arzt aller Ärzte“, lehrt.

UNIVERSAL STUDIOS
Medizinstudium in Isfahan
Rob, der bis dahin nicht viel mehr als einen Teil Englands gesehen hat, macht sich auf die beschwerliche Reise um die halbe Welt. Nach reichlich Widrigkeiten im Orient angekommen, muss er sich als Jude ausgeben, um an der muslimischen Universität zwar auch nicht gern gesehen, aber immerhin geduldet zu werden. Während er zum Arzt ausgebildet wird, bricht nicht nur die Pest aus, es entzündet sich auch ein Glaubenskrieg zwischen Fundamentalisten und den aufgeklärten Intellektuellen Persiens, der die Mediziner in höchste Gefahr bringt.
Der Mittelalter-Historien-Abenteuer-Roman-Boom
Gordon löste Ende der 1980er Jahre vor allem im deutschsprachigen Raum, aber auch in Spanien und Italien einen nicht abreißen wollenden Mittelalter-Historien-Abenteuer-Roman-Boom aus. Egal, ob Wanderhure, Päpstin, Marktgräfin und „Säulen der Erde“-Baumeister: Der Kampf ums Überleben und zwischen Gut und Böse, Liebe, Hass, Verrat wurde bereits quer durch alle Berufsstände des finsteren Zeitalters abgehandelt.
Die meisten Romane haben es schneller auf die Leinwand oder zumindest die TV-Schirme geschafft als „Der Medicus“, garantieren doch Bestsellerverfilmungen hohe Zuschauerzahlen. Doch die Lebensgeschichte des Arztes ging jahrelang durch viele Hände, von Produzenten, Drehbuchschreibern und Regisseuren, die sich an der Bearbeitung des Romans stets die Zähne ausbissen.
Opulentes Kostümdrama, traumhafte Landschaften
Regieallrounder Philipp Stölzl, dessen bisherige Biografie vom Rammstein-Video über die Verdi-Oper mit Anna Netrebko und Placido Domingo bis zum Bergsteigerdrama („Nordwand“) so einiges im Angebot hält, hat sich schließlich das Werk geschnappt und als opulentes Kostümdrama verfilmt. Im Wesentlichen zeigt er dabei, dass er nicht nur sein Handwerk beherrscht, sondern auch mit einer richtig großen Produktion umgehen kann. Reiterhorden und Massenszenen scheinen ihm keine Probleme zu bereiten.
Er umrahmt die Handlung mit wunderschönen Landschaftsaufnahmen, von englischer Küste und persischer Wüste. Er verdeutlicht dabei die extremen Unterschiede zwischen der mittelalterlich brutal-derben Gesellschaft Europas, in der Hexenverfolgung und Aberglaube an der Tagesordnung stehen, und der ungleich zivilisierter erscheinenden Lebenswelt im Orient.

UNIVERSAL STUDIOS
Massenszenen und große Landschaftsbilder auf hohem Niveau
Die Besetzung ist international, teils ziemlich prominent und durchwegs überzeugend. Während mit Tom Payne ein Newcomer als Rob Cole seine erste Hauptrolle spielen darf, stehen ihm mit Ben Kingsley als Ibn Sina und Stellan Skarsgard zwei echte Hollywood-Stars gegenüber. Elyas M’Barek, deutscher Schauspieler mit österreichisch-tunesischen Wurzeln („Fack Ju Göhte“, „Türkisch für Anfänger“) und Michael Marcus spielen die ungleichen Freunde Robs, Olivier Martinez den unberechenbaren Schah und Emma Rigby seine Frau.
Die Schwächen der Verfilmung
Trotzdem: Einiges, was in der ausschweifenden Buchvorlage inhaltlich funktioniert, hakt in der 150-minütigen Verfilmung. Obwohl naturgemäß sehr dicht, plätschert die Handlung meist so dahin, die packende Faszination, mit der der gedruckte „Medicus“ zum Bestseller avancierte, will sich aber nicht einstellen. Einige Figuren sind gar stereotyp angelegt, andere wurden in der Adaption völlig ausgetauscht - etwa Rob Coles Frau. Statt der rothaarigen Christin Mary Cullen, die ihm im Buch nicht nur als Ehefrau, sondern als intellektuelle Partnerin zur Seite steht, spicken Stölzl und Autor Jan Berger den Film mit einer erst unmöglich scheinenden Romanze zu einer verheirateten Jüdin.
Der „Mary-Plot“ sei eben ziemlich haarsträubend und funktioniere im Buch, ausgebreitet auf Hunderte Seiten, nicht aber, wenn man ihn skelettiert betrachtet, erklärte der Regisseur im Gespräch mit ORF.at diese Entscheidung. Das klingt nachvollziehbar, sind doch die religiösen Konflikte ohnehin schon kompliziert genug für die gut zweieinhalb Stunden, die der Film dauert. Dennoch, hätte Rebecca, wie die neue Frau an der Seite des Medicus heißt, ein paar Facetten mehr, würde sie den Geliebten nicht nur anschmachten - es hätte dem Film gutgetan.
Hinweis:
„Der Medicus“ ist ab Mittwoch im Kino zu sehen.
Auch wenn der Film in Wechselwirkung nun möglicherweise auch die Verkaufszahlen des Buchs wieder in die Höhe treiben mag - in der Zwischenzeit ist ja eine neue Lesegeneration herangewachsen - Stölzls Film könnte in der Publikumsgunst davon profitieren, dass die Details der Handlung nicht mehr bei jedem damaligen Fan ganz präsent sind. Als bildgewaltiger historischer Kostümschinken kommt „Der Medicus“ zu Weihnachten jedenfalls ganz passend ins Kino.
Sophia Felbermair, ORF.at
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