Themenüberblick

Regisseur Philipp Stölzl im Interview

Am Anfang waren Rammstein-Videos, mittlerweile hat Philipp Stölzl sich als Regisseur sowohl in der Oper als auch im Kino einen Namen gemacht. Im Gespräch mit ORF.at erklärt er, warum das Buch „Der Medicus“ zwar „nach Kino riecht“, aber in seiner Komplexität das Medium Film eigentlich überfordert, und beschreibt, wie er es letztlich dennoch geschafft hat, den Stoff, an dem sich über 20 Jahre hinweg Drehbuchschreiber die Zähne ausgebissen haben, auf die Leinwand zu bringen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

ORF.at: Wann haben Sie das Buch zum ersten Mal gelesen, und was hat Sie daran fasziniert?

Philipp Stölzl: Ich hab das in den 1980er Jahren gelesen, als es herauskam, wie fast jeder. Sechs Millionen verkaufte Bücher (in Deutschland, Anm.) - ich kenne fast niemanden, der das nicht gelesen hat. Es war so ein klassisches Buch, das man in den Ferien gelesen hat, wann hat man schon sonst die Zeit, so einen 900-Seiten-Schmöker zu lesen. Ich hatte schon als Junge ein Mittelalter-Faible, bin mit Prinz Eisenherz aufgewachsen, Ivanhoe und solchen Sachen. Ich habe das Buch damals verschlungen und mochte es sehr. Als das Angebot kam, in das Projekt einzusteigen, habe ich schon sehr genau gewusst, worum es da geht.

ORF.at: Warum wurde der Stoff erst so spät verfilmt? Heute ist es ja eher üblich, Bestseller sehr schnell ins Kino oder zumindest ins Fernsehen zu bringen?

Stölzl: Weil das Buch wahnsinnig schwierig zu verfilmen ist. Es ist nicht nur sehr lang, sondern hat auch eine irrsinnig lang erzählte Handlung, es geht ja über 50 Jahre. Eigentlich sind es ja vier Bücher: Das Leben von Rob Cole in England, wo er mit dem Bader durch die Lande zieht, dann kommt die Wahnsinnsreise, ein Teil spielt in Persien und dann noch ein langer Epilog, der von der Rückkehr nach England handelt. Es ist eine riesige Lebensgeschichte, die nicht einfach zu adaptieren ist. Da waren über 20 Jahre lang verschiedene Produzenten und Regisseure beschäftigt, aber es war immer der Wurm drin. Es kam nie zu dem Moment, an dem man konkret mit dem Film begonnen hat.

Ein weiterer Grund ist sicher, dass die Wahnsinns-Mittelalterbegeisterung, die das Buch ausgelöst hat, vor allem ein deutsches, spanisches und italienisches Phänomen ist. In England und Amerika ist das Buch relativ unbekannt. Man hat dadurch produzentisch auch das Problem, dass du einen Stoff hast, der sehr teuer zu verfilmen ist, weil es so ein historisches Breitbandgemälde ist. Du hast aber nicht die Chance, aus diesen Ländern Budget zusammenzusammeln.

ORF.at: Wie schwer war es dann für Sie, den notwendigen Fokus innerhalb der verschachtelten Erzählung zu setzen? Wie entscheidet man, welche Handlungsstränge man stärkt und welche man streicht?

Stölzl: Das Gute ist, wenn man relativ spät an Bord kommt, kann man schon viele Drehbuchfassungen lesen und kann analysieren, warum die jeweils nicht funktionieren. Man kann aus Fehlern und Sackgassen lernen. Die meisten Filmstrukturen funktionieren nach einer Dreiakt-Struktur: Im ersten Akt bekommt der Held seine Aufgabe gestellt, im zweiten Akt ist er unterwegs und dealt mit dem Problem.

Wenn man den Medicus auf einen Satz reduzieren müsste, kann man sagen: Es handelt von einem jungen Mann, der davon träumt, in Isfahan zu studieren und ein besserer Arzt zu werden. Das heißt, die Geschichte kommt eigentlich dann erst in Gang, wenn er loszieht. Alles andere ist eigentlich eine Art Prolog. Dadurch ergibt sich zwangsläufig ein Fokus auf den persischen Teil. Wenn man das verschieben würde, sagen wir, man macht die Hälfte England, die andere Hälfte Persien und lässt die Reise ganz weg - das würde nicht funktionieren. Das ist ein bisschen das Problem: Der Roman ist so eine Endloserzählung, so eine Und-dann-und-dann-und-dann-und-dann-Erzählung.

ORF.at: Sie haben nicht nur Handlungsstränge gestrichen, sondern auch welche eingefügt.

Stölzl: Für den Film sucht man immer die großen Bögen und versucht Motive zu schaffen, die sich von Anfang bis Ende durchziehen, die Spannung entwickeln und sich thematisch verklammern. Das ist etwas, das der Roman erst mal in der Form nicht hergibt, das mussten wir erst implantieren. Wir haben geguckt, wovon der Roman wirklich handelt, in seinen Themen und zentralen Szenen. Was will der? Wie funktioniert seine Suche nach Erkenntnis? Was bedeutet Medizin, was ist Aberglauben in dieser Zeit? Daraus muss man schauen, dass man strukturell etwas baut, das ein Räderwerk bietet, und gleichzeitig dem Roman in seinem Geist und seiner Harmonie und seinen Figuren treu bleibt. Das ist eine relativ, ehrlich gesagt, knifflige Aufgabe gewesen.

ORF.at: Apropos Treue: Sie haben, als eine der wesentlichsten Änderungen, die zentrale Frauenfigur komplett ausgetauscht. Warum so ein drastischer Eingriff?

Regisseur Philipp Stölzl

Philipp Stölzl ist gelernter Bühnenbildner und begann seine Karriere als Regisseur mit dem Musikvideo zu Rammsteins „Du hast“. 2002 erschien sein Spielfilmdebüt „Baby“, 2005 gab er mit Carl Maria von Webers „Freischütz“ am Meininger Theater sein Opernregiedebüt. Bei den Wiener Festwochen inszenierte er heuer Verdis „Il trovatore“, im Dezember wurde die Produktion am Berliner Schillertheater mit Anna Netrebko und Placido Domingo in den Hauptrollen wiederaufgenommen.

Stölzl: Es gibt Dinge, die im Buch, gut funktionieren. Rob und Mary Cullen lernen sich am Weg nach Persien kennen, trennen sich in Konstantinopel. Dann taucht sie mirakulöserweise 300 Seiten später in Isfahan wieder auf, heiratet ihn und lebt als Christin mit einem verkleideten Juden in der muslimischen Gesellschaft. Das ist tatsächlich so, dass das als Plot ziemlich haarsträubend ist, im Buch macht man das aber mit. Man freut sich, dass sie wieder in die Geschichte kommt, warum und wie die genau dann nach Isfahan gekommen ist, hinterfragt man nicht unbedingt, weil dazwischen vieles auf anderen Ebenen passiert ist. Noah Gordon hat sich die Freiheit genommen, aber im Film würde das einen völlig surrealen Effekt ergeben.

Viele Drehungen des Mary-Bogens lassen sich im Film einfach nicht erzählen. Der andere Grund ist, dass man natürlich schauen muss, auf welche Motive man sich konzentriert. Rob lebt als falscher Jude unter Juden, diese schwierige Situation verdichtet sich dadurch, dass er im Film mit einer jüdischen Frau verheiratet ist. Wäre sie eine Christin (wie im Buch, Anm.) würde das den Film endgültig überfordern.

Es ist ja sowieso schon so, dass das letzte Drittel vom Film relativ viel Dichte hat. Da geht’s um Medizin, um die Obduktion, dann gibt’s den politischen Umschwung in Isfahan, wo die radikalen Kräfte immer stärker werden, dann gibt’s noch die Liebesgeschichte, die weitererzählt wird, und es gibt den Schah, der diese merkwürdige Männerfreundschaft mit Rob will oder dann doch nicht will. Da ist schon wahnsinnig viel los - noch eine Christin dabeizuhaben, die rothaarig durch den Film reitet und mit dem Schah schläft, das ist alles schön im Buch, aber es überfordert das Medium Film.

ORF.at: Hat Noah Gordon jemals versucht, an einem Drehbuch selbst mitzuarbeiten?

Stölzl: Es gibt sogar eine Fassung von ihm und seiner Tochter Lise, die war aber nicht brauchbar, fanden die Produzenten. Zumal das auch schwierig ist, wenn man so nah dran ist an dem Buch, das ist ja sozusagen Noahs DNA. Da hast du null Abstand, etwas wegzulassen, etwas anderes dazuzuerfinden. Wir haben die ganze Zeit während der Produktion engen Kontakt zu ihm gehabt und hatten einen streitbaren, aber kreativen Dialog.

Das Gespräch führte Sophia Felbermair, ORF.at

Links: