Ultimatum abgelaufen
Ukrainische Sicherheitskräfte haben die prowestlichen Demonstranten aus dem seit Tagen belagerten Kiewer Regierungsviertel vertrieben. Hunderte Mitglieder der Spezialeinheit „Berkut“ (Steinadler) räumten Barrikaden aus Mülltonnen und Stacheldraht.
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Als sich Demonstranten mit Reizgas und Stöcken wehrten, seien zwei Beamte verletzt worden, sagte ein Polizeisprecher der Zeitung „Ukrainskaja Prawda“. Auch Boxweltmeister Wladimir Klitschko habe sich friedlich der Polizei entgegengestellt, teilte die Oppositionspartei Udar (Schlag) seines Bruders Witali mit. Der Chef der rechtspopulistischen Oppositionspartei Swoboda, Oleg Tjagnibok, sagte, zehn Demonstranten hätten ebenfalls Verletzungen erlitten. Medienberichten zufolge waren insgesamt etwa 6.000 Sicherheitskräfte im Einsatz. Die Demonstranten ließen sich vom Vorgehen der Exekutive jedoch nicht abschrecken. Tausende kehrten ins Zentrum der Stadt zurück und harren dort derzeit bei klirrender Kälte aus.
Der regierungskritische Internetsender Hromadske.tv berichtete, Provokateure hätten die vorrückenden Sondereinheiten mit Reizgas und Stöcken angegriffen. Auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz (Maidan) demonstrierten zahlreiche Menschen auch in der Nacht bei klirrend kaltem Wetter friedlich gegen die Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch und für einen Westkurs der früheren Sowjetrepublik.
Metrozugänge verbarrikadiert
Einige Regierungsgegner verbarrikadierten die Zugänge von der Metro zum Maidan. Sie fürchten, dass von dort Sicherheitskräfte auf den Maidan vorstoßen könnten. Die Stimmung in der Hauptstadt war weiter angespannt. Am Dienstag lief ein Ultimatum der Behörden aus, besetzte Regierungsgebäude zu räumen.

APA/AP/Alexander Zemlianichenko
Polizisten reißen ein Protestzelt nieder
Timoschenkos Parteizentrale gestürmt
Montagabend wurde auch der Sitz der Vaterlandspartei der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko gestürmt. Unklar ist noch, wer hinter der Erstürmung der Parteizentrale steckt. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, teilte die Parteisprecherin Marina Soroka am Montagnachmittag auf ihrer Facebook-Seite mit, Sondereinsatzkräfte seien mit Gewalt in den Parteisitz eingedrungen. Türen seien zerstört und Computer beschlagnahmt worden. Ein von der Partei verschicktes Foto zeigte drei vermummte Uniformierte vor dem Gebäude.
Die Onlinezeitung Ukrainska Prawda berichtete, die Durchsuchung der Parteizentrale sei das Werk des Staatssicherheitsdienstes (SBU). Sowohl die Polizei als auch der SBU dementierten allerdings, in den Vorfall verwickelt zu sein. Unabhängige Berichte gab es zunächst nicht.
Sondereinheiten aufmarschiert
Die proeuropäische Vaterlandspartei (Batkiwschina) führt die seit Wochen andauernden Proteste gegen Janukowitsch mit an. Die Oppositionspartei Udar (Schlag) von Boxweltmeister Witali Klitschko evakuierte aus Angst vor einer Erstürmung durch Sicherheitskräfte ihre Parteizentrale.
Janukowitsch stellt EU Bedingungen
Janukowitsch verteidigte am Dienstag erneut den Stopp einer EU-Annäherung. Ein Partnerschaftsabkommen mit der EU hätte den wichtigen Agrarsektor der Ex-Sowjetrepublik gefährdet, sagte Janukowitsch bei einem live im Fernsehen übertragenen Treffen mit seinen drei Amtsvorgängern in Kiew. Zugleich bekräftigte er, der Westkurs des Landes sei unumkehrbar. Allerdings kündigte Janukowitsch Bedingungen für ein Assoziierungsabkommen mit der EU an. Eine Delegation fliege am Mittwoch zu Gesprächen nach Brüssel.
Ashton will vermitteln
In der Millionenstadt wird am Dienstag die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zu Vermittlungen erwartet. Ashton werde sich sowohl mit Vertretern der Führung um Janukowitsch als auch mit den Regierungsgegnern um Klitschko treffen, kündigte ihre Sprecherin an. Janukowitsch will zudem mit seinen drei Amtsvorgängern die Situation in dem Land besprechen.
USA rufen zu Dialog auf
US-Vizepräsident Joe Biden forderte Janukowitsch am Montag zum Dialog mit der Opposition auf. Zugleich äußerte sich Biden in einem Telefonat mit Janukowitsch besorgt über die Lage im Land, wie das Weiße Haus mitteilte. „Der Vizepräsident unterstrich die Notwendigkeit, auf eine sofortige Deeskalation der Lage hinzuwirken und einen Dialog mit den Oppositionsführern zu beginnen.“ Gewalt habe keinen Platz in einer demokratischen Gesellschaft, mahnte Biden.
Die Opposition in der Ex-Sowjetrepublik demonstriert seit rund drei Wochen gegen die Führung des Landes, die auf Druck Moskaus ihren EU-Kurs gestoppt hatte. Demonstranten versperrten Straßen und Gehwege der Hauptstadt mit Stacheldraht, Baumstämmen und Autos. Beobachter in Kiew sprachen von einem „unerbittlichen Stellungskrieg wie bei Partisanen“. Ihnen standen Hunderte Polizisten mit Helmen, Schutzanzügen und Schilden auf dem Maidan und dem benachbarten Prachtboulevard Kreschtschatik gegenüber.
Klitschko ruft zu weiteren Protesten auf
Nach jüngsten Angaben zog das Innenministerium inzwischen rund 6.000 Sicherheitskräfte in Kiew zusammen. Klitschko kritisierte den Aufmarsch scharf. Der prorussische Präsident Janukowitsch versuche vermutlich, die mehreren tausend Regierungsgegner einzuschüchtern. „Aber wir bleiben. Ich rufe alle Regierungsgegner auf, zum Maidan zu kommen“, sagte Klitschko.
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