Themenüberblick

Geschäftsinteressen treffen Bürgerrechte

Führende US-Internetfirmen haben eine Kampagne gegen die gewaltigen Spionageprogramme internationaler Geheimdienste gestartet. In einem Brief an US-Präsident Barack Obama und Kongressmitglieder sowie über Anzeigen in Tageszeitungen forderten Unternehmen wie Apple, Facebook, Microsoft und Google am Montag Beschränkungen bei der staatlichen Überwachung von Bürgern.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Die USA, deren Geheimdienst NSA durch Enthüllungen besonders stark in Verruf geraten ist, sollten dabei mit gutem Beispiel für andere Regierungen der Welt vorangehen. Auch Twitter, AOL, Yahoo und LinkedIn beteiligen sich an dem Vorstoß. Auf einer gemeinsamen Website präsentieren die Internetriesen ihre fünf „Prinzipien“ für eine globale Reform staatlicher Überwachungsprogramme.

„Untergräbt die Freiheit, die wir alle schätzen“

So sollten die Geheimdienste aufhören, einfach massenhaft Kommunikationsdaten aus dem Internet abzufischen, sondern ihre Sammlung konkret auf Zielpersonen beschränken. Zudem müssten die verantwortlichen Behörden und Gerichte viel strenger überwacht werden.

„In zahlreichen Ländern hat sich das Gleichgewicht extrem zugunsten des Staates und zulasten der Persönlichkeitsrechte verschoben, die in unserer Verfassung festgeschrieben sind“, schreiben die Unternehmen. „Das untergräbt die Freiheit, die wir alle schätzen. Es ist an der Zeit, etwas zu ändern.“ Sämtliche staatlichen Spähaktivitäten müssten „klare rechtliche Grenzen gesetzt bekommen, in einem angemessenen Verhältnis zum Risiko, transparent und mit unabhängigen Kontrollen“.

Sorge ums eigene Geschäft

Die immer neuen Enthüllungen über staatliche Überwachungssysteme hätten das Vertrauen der Firmenkunden in deren Dienstleister untergraben, sagte Yahoo-Geschäftsführerin Marissa Mayer. Die US-Regierung müsse nun vorangehen und dieses Vertrauen sowohl innerhalb der eigenen Landesgrenzen als auch darüber hinaus wiederherstellen.

Die Internetriesen sorgen sich freilich nicht nur um Bürgerrecht, sondern vor allem um ihr Geschäft. Hunderte Millionen Menschen weltweit nutzen die E-Mail-Dienste, Smartphones, Netzwerke und Chat-Programme der Vorreiter aus dem Silicon Valley. Ein Vertrauensverlust könnte die Unternehmen empfindlich treffen.

„Schlecht für Amerika“

Das Geschäftsmodell der Konzerne beruhe auf dem Sammeln derselben Daten, die auch die Geheimdienste wollen, schreibt etwa die „New York Times“. Der US-Journalismusprofessor Jeff Jarvis begrüßte in einem Kommentar im „Guardian“ die Initiative, schätzte aber auch die Hintergründe ähnlich ein: „Spionieren ist schlecht für das Internet. Und was schlecht für das Internet ist, ist schlecht für das Silicon Valley“, so Jarvis. „Und was schlecht für das Silcon Valley ist, (...) ist auch schlecht für Amerika.“

Wer nicht unterschrieben hat

Der Brief könne allerdings nur der erste Schritt sein. Jeder einzelne User müsse für Freiheitsrechte im Web eintreten. Und es sei eigentlich schade, dass es „acht Firmen mit dummen Namen“ brauche, um eine ernsthafte Diskussion loszutreten. Jarvis gibt zu bedenken, wer auf der Liste fehlt: Die großen US-Telekomfirmen wie Verizon, AT&T, Level 3, die der Regierung Zugang zu Telefondaten ermöglichen können, würden genauso fehlen wie Internetprovider.

Auch Amazon habe sich nicht an der Initiative beteiligt, ganz zu schweigen von der Finanzbranche wie den großen Kreditkartenfirmen. In ähnliche Richtung geht die neue Initiative von WWW-Erfinder Tim Berner-Lee. Er fordert die Verteidigung des freien Netzes durch die User und spricht von dem „Web We Want“ als Nachfolgeprojekt des „World Wide Web“

Aktivisten kritisch

Christopher Soghoian von der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation ACLU bemängelte, dass die Unternehmen erst nach den Veröffentlichungen über die Überwachungsprogramme auf Reformen drängten. US-Anwältin Jesselyn Radack lobte dagegen die Aktion auf Twitter: „Es spricht Bände, wenn acht Erzrivalen sich zusammentun, um Überwachung durch die Regierung zu begrenzen“, Radack hatte vor einiger Zeit gemeinsam mit anderen Aktivisten Edward Snowden in Moskau besucht.

In Deutschland machte Telekom-Vorstandschef Obermann seinem Unmut über die schleppende Aufklärung der NSA-Affäre Luft. Es sei immer noch nicht klar, welche Daten Geheimdienste abgreifen. „Die Spitzeleien haben das Vertrauen in zwei Grundpfeiler unserer Gesellschaft, die freie Kommunikation und die Privatsphäre, erschüttert“, sie seien „langfristig sogar demokratiegefährdend“, sagte der scheidende Telekom-Chef dem „Handelsblatt“. Er warf der deutschen Bundesregierung und der EU-Kommission vor, nicht entschieden genug zu reagieren.

„Zeit für den Wandel“

Die Firmen wollen nun auch genaue Angaben veröffentlichen dürfen, wie oft und warum Regierungen nach der Herausgabe von Nutzerinformationen fragen. Ferner forderten sie den „freien Fluss von Informationen“ im Internet auch über internationale Grenzen. Serviceanbieter dürften dabei nicht behindert oder übermäßig kontrolliert werden. Die Unterzeichner riefen die Regierungen auf, sich international auf einen rechtlichen Rahmen für Anfragen nach Nutzerdaten zu einigen, um Konflikte zu vermeiden.

„Es ist Zeit für den Wandel“, heißt es in dem offenen Brief der Firmen. „Die Berichte über die staatliche Überwachung haben gezeigt, dass es eine echte Notwendigkeit für eine größere Offenlegung und neue Grenzen gibt, wie die Regierungen Informationen sammeln“, sagte Facebook-Chef Mark Zuckerberg in einer Mitteilung. „Die Menschen werden keine Technologie nutzen, der sie nicht vertrauen. Regierungen haben das Vertrauen riskiert - und Regierungen müssen helfen, es wiederherzustellen“, so Microsofts Chefjurist Brad Smith.

NSA fühlt sich von Obama im Stich gelassen

Die neueste Offensive folgt einer nicht enden wollenden Welle der Enthüllungen über die Praktiken der NSA und anderer Geheimdienste. Erst kürzlich hieß es, die NSA greife Daten aus internen Verbindungen zwischen Datenzentren von Google und Yahoo ab. Beide Firmen betreiben weltweit riesige Rechenzentren. Die Anlagen tauschen ständig Nutzerdaten untereinander aus, etwa E-Mails, Suchanfragen und Dokumente. Dass der heimische Geheimdienst hier Informationen abgreifen könnte, empörte die US-Firmen.

US-Präsident Barack Obama kündigte vergangene Woche an, die NSA bei ihren umstrittenen Spähaktivitäten etwas stärker an die Leine zu nehmen. „Ich werde einige Selbstbeschränkungen für die NSA vorschlagen“, versprach er am Donnerstag in einem Interview mit dem Nachrichtensender MSNBC an. Das solle „im Laufe des nächsten Monats“ nach dem Abschluss einer unabhängigen Überprüfung der Überwachungsprogramme geschehen. Bei der NSA beklagt man sich laut „Washington Post“ über die mangelnde Unterstützung des Präsidenten.

Links: