Tatort Buch
Wie viel Spannungsliteratur kann und welche Bandbreite möglich ist, zeigen die Krimis und Thriller dieser Saison. Von einer Aufarbeitung des Nordirland-Konflikts über klassische Schweden-Krimis bis hin zu einem Hard-Boiled-Thriller aus den 70er Jahren reicht die Palette.
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Geschenk für Feinde und Mankell-Fans
Ein subtiler, böser Plan: Jemandem, den man nicht mag, ein Buch schenken, das wie ein spannender Krimi von einem großartigen Schriftsteller ausschaut - in Wahrheit aber grottenschlecht ist: Henning Mankells „Mord im Herbst“, nur 140 Seiten lang, entstanden im Rahmen einer niederländischen Buchhandelsaktion. Die Übersetzung ins Schwedische hat Mankell, wohl um die Qualität des Buchs wissend, nicht zugelassen. Verfilmt wurde „Mord im Herbst“ allerdings - und nun liegt es erstmals auf Deutsch vor. Echte Wallander-Fans freilich werden es lesen wollen, weil man ein zusätzliches Puzzleteil zum Privatleben des Kommissars erhält.
Henning Mankell: Mord im Herbst. Ein Fall für Kurt Wallander. Zsolnay, 140 Seiten, 16,40 Euro.
ORF.at/Zita Köver
Konzentration auf das Wesentliche
Apropos Mankell: Der lobt seinen Zsolnay-Verlagskollegen Dror Mishani auf dem Klappentext von dessen Buch „Vermisst“ über den grünen Klee. Mishanis Inspektor Avi Avraham ermittelt in Tel Aviv, wo ein 16-jähriger Bub spurlos verschwunden ist. Der Autor hat eine konzentrierte, dichte Art zu schreiben, er zeichnet seine Charaktere mit feiner Linie, ohne große Schnörksel. Psychologische - aber niemals billig psychologisierende - Kriminalliteratur vom Feinsten.
Dror Mishani: Vermisst. Avi Avraham ermittelt. Zsolnay, 351 Seiten, 18,40 Euro.
Knallharter Klassiker
Manche werden heuer den Brad-Pitt-Thriller „Killing them Softly“ im Kino gesehen haben - wenn nicht, sei hiermit auch eine DVD-Empfehlung ausgesprochen. Der Kunstmann-Verlag jedenfalls hat aus diesem Anlass die Romanvorlage von George V. Higgins neu aufgelegt. „Hard boiled“, also „hartgesotten“ ist gar kein Ausdruck dafür. Die 70er-Jahre-Welt aus doofen Ganoven und smarten Mafia-Killern wird hier fast körperlich spürbar. Spannend, knallhart - und immer wieder blitzt trockener Humor auf. Ein Klassiker, den man gerne (wieder) liest.
George V. Higgins: Ich töte lieber sanft. Kunstmann, 239 Seiten, 15,40 Euro.
Eine Krankenschwester an ihren Grenzen
Dieser Thriller hat in Schweden, dem Land der Krimis, eingeschlagen wie eine explodierende Dose Surströmming und wird beziehungsweise wurde bereits in 34 Sprachen übersetzt - nun auch ins Deutsche. Alexander Söderbergs „Unbescholten“ ist der erste Teil einer Trilogie rund um die Stockholmer Krankenschwester Sophie Brinkmann, die in einen Strudel krimineller Machenschaften gerät, der sie an ihre psychischen wie physischen Grenzen bringt.
Alexander Söderberg: Unbescholten. Piper, 476 Seiten, 17,50 Euro.
Bezirksinspektor Polivka und der korrupte Graf
Stefan Slupetzky kennen Liebhaber von Krimis mit Lokalkolorit schon von seiner Reihe rund um Privatdetektiv Lemming. Nun tritt der Wiener Bezirksinspektor Polivka auf den Plan - auch wenn der manchmal so wirkt, als ob er keinen hätte. Umso ausgeklügelter ist das Korruptionsnetzwerk, das er quer durch Europa verfolgt, bis hin zu einem radebrechend Englisch sprechenden Europaabgeordneten und einem Grafen mit Ministergattin. Ein witziger Krimi samt kritischer Keule, der da und dort ins Absurde kippt.
Stefan Slupetzky: Polivka hat einen Traum. Kindler, 301 Seiten, 20,60 Euro.
ORF.at/Zita Köver
Lokalkolorit, diesmal Südsteiermark
Auf Lokalkolorit (die Genussregale!) setzt auch Andrea Stift, verlegt vom rührigen steirischen Keiper-Verlag. Ihre Handlung siedelt sie in der Südsteiermark an. Wilfert ist Schriftsteller und neuerdings auch Privatdetektiv - auch wenn ihn außer einer selbst aufgegebenen Zeitungsanzeige nichts dafür legitimiert. Als er auf die schon ganz vergessen hat, meldet sich doch noch eine Frau - mit einem seltsamen Anliegen: Sie glaubt, es sei nicht ihr Mann, der nächtens mit ihr schläft. Lächerlich - bis ihr Gatte unter mysteriösen Umständen stirbt. Und welche Erkenntnis bleibt am Schluss in Sachen Liebe? „Die dankbaren Männer wird man nicht mehr los.“
Andrea Stift: Wilfert und der Schatten des Klapotetz. Ein Südsteiermark-Krimi. Keiper, 18,70 Euro.
Wie ein Tatort, aber kein Tatort
Dinah Marte Golch hat die Drehbücher für zahlreiche „Tatort“-Fälle geschrieben. Man fühlt sich auch gleich in eine „Tatort“-artige Welt hineinversetzt, wenn man ihren ersten Krimi, „Wo die Angst ist“, zu lesen beginnt. Ein Ex-Junkie mit migrantischen Wurzeln engagiert sich gegen Rassismus und wird brutal zusammengeschlagen. Kommissar Behrens wird als psychologische Unterstützung für den Fall ausgerechnet Gutachterin Kamm zugeteilt, seine Intimfeindin aus dem Gerichtssaal, die das Opfer noch dazu persönlich kennt.
Dinah Marte Golch: Wo die Angst ist. Der Erste Fall für Behrens und Kamm. Kiepenheuer & Witsch, 317 Seiten, 15,50 Euro.
Ein Verräter in den Reihen der IRA
Sorj Chalandon hat einen Roman mit Zügen eines Thrillers nach wahren Begebenheiten geschrieben. Der ehemalige Journalist der französischen „Liberation“ schreibt darin die Geschichte seines Freundes nieder, eines Verräters in den Reihen der IRA. Der saß ein Jahr lang im Cottage seines Vaters und wartete nach der Enttarnung auf die Erschießung durch seine ehemaligen Kameraden - und schreibt (das allerdings nur im Buch) seine Memoiren. Er war vom britischen MI5 erpresserisch rekrutiert worden. Ein erschütterndes Zeitzeugnis.
Sorj Chalandon: Rückkehr nach Killybegs. Dtv, 316 Seiten, 17,40 Euro.
Simon Hadler, ORF.at
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