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Keine Folgen für Private

Aus Angst vor einem für die Konjunktur gefährlichen Preisrückgang feuert die Europäische Zentralbank (EZB) aus allen Rohren. Sie senkte den Leitzins am Donnerstag überraschend um einen Viertelpunkt auf das Rekordtief von 0,25 Prozent - pumpt also noch mehr billiges Geld ins Finanzsystem und schließt selbst eine weitere Zinssenkung nicht mehr aus.

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Während es dafür aus Deutschland heftig Kritik hagelte, sparte Italiens Regierungschef Enrico Letta nicht mit Lob für den Beschluss der Währungshüter unter Führung seines Landsmanns Mario Draghi.

Und der ging in die Vollen: „Wir haben die Nulllinie noch nicht erreicht. Wir könnten vom Prinzip her noch weiter gehen“, sagte Draghi am Donnerstag in Frankfurt. „Uns steht nach wie vor unser volles Instrumentarium zur Verfügung.“ Zwar bestehe akut noch nicht die Gefahr einer Deflationsspirale in den 17 Euro-Ländern. „Aber wir stehen vor einer längeren Phase mit niedriger Inflation.“

Sinkende Preise sind für die Wirtschaft gefährlich, weil Unternehmen dann wichtige Investitionen aufschieben und sich auch Konsumenten in der Erwartung zurückhalten, Produkte bald günstiger kaufen zu können. Japan hat dieses Phänomen jahrelang gehemmt.

Börsen drehen teils ins Minus

Auf dem Devisenmarkt sorgten die Zinssenkung und die Äußerungen Draghis für einen Absturz des Euro. Am Ende des Handelstages erholte sich die Währung jedoch etwas. Zuletzt notierte die Gemeinschaftswährung bei 1,3421 US-Dollar. An den Aktienbörsen ging es dagegen zunächst steil bergauf: Der deutsche Leitindex DAX kletterte in Frankfurt auf ein Rekordhoch, auch der ATX zog ins Plus. Im späten Handel gaben die Indizes jedoch wieder einen Teil der Gewinne ab - der DAX ging mit einem knappen Plus von 0,4 Prozent und 9.081 Zählern aus dem Handel. Der ATX sank um 0,22 Prozent auf 2.659,91 Einheiten. Am Freitag tendierten die Kurs abwärts.

Ins Minus drehte auch die Wall Street, trotz eines fulminanten Börsendebüts des Kurznachrichtendiensts Twitter. Die wichtigen Indizes gingen mit deutlichen Abschlägen aus dem Handel. Der Dow-Jones-Index mit den 30 Standardwerten verlor ein Prozent auf 15.593 Punkte. Beim breiter aufgestellten S&P 500 betrug das Minus 1,3 Prozent. Er notierte bei 1.747 Stellen. Das NASDAQ-Index gab um 1,9 Prozent nach und ging mit 3.857 Zählern aus dem Handel.

Keine Einigkeit im EZB-Rat

Draghi sagte, der EZB-Rat sei durch die niedrige Teuerung, die sich weit vom Zielwert der Notenbank von knapp zwei Prozent entfernt habe, alarmiert worden. Zudem habe sich gezeigt, dass die Erholung der Konjunktur sich zwar fortsetze, aber „schwach und fragil“ bleibe. Einig waren sich die Geldpolitiker aber nicht: „Ich würde die Diskussion von heute so charakterisieren, dass es Einigkeit darüber gab, dass wir handeln müssen. Aber es gab Uneinigkeit darüber, wann wir aktiv werden sollen.“

Ein Preisverfall auf breiter Front droht laut Draghi nicht. „Wir sehen insgesamt keine Deflation auf uns zukommen“, sagte Draghi. Es sei allerdings eine „längere Phase“ niedriger Inflation zu erwarten. Danach werde sich diese schrittweise dem angestrebten Niveau annähern, fügte er hinzu.

Einstimmig hätten die Notenbanker aber ihren Zinsausblick bestätigt: „Die Zinsen werden noch für einen längeren Zeitraum so niedrig bleiben oder weiter sinken.“ Zusätzlich zur Senkung des Leitzinses kappten sie auch den Zins, zu dem Banken sich kurzfristig Geld bei der EZB leihen können von einem auf 0,75 Prozent. Den „Einlagesatz“, den Institute zahlen müssen, wenn sie Geld bei der Zentralbank parken, ließen sie bei null Prozent und verlängerten zudem die Rundumversorgung für die Banken bis Mitte 2015.

Keine Auswirkungen für Konsumenten

Konkrete Auswirkungen für die heimischen Sparer und Kreditnehmer dürfte die Entscheidung vorerst eher nicht haben. Sparquote und Sparzinsen waren schon vor der Leitzinssenkung im Keller. Bei einzelnen Banken im Land gab es schon davor nur noch 0,05 Prozent auf täglich fälliges Geld. Dass es aufs Sparbuch tatsächlich bald einmal echte nominelle Minuszinsen geben könnte - also dass Sparer dafür zahlen, dass sie Geld aufs Sparbuch legen -, drohe nicht, versichern Banker.

„Wir denken nicht daran, unsere Kunden dafür zu bestrafen, dass sie uns ihr Geld anvertrauen“, sagte der stellvertretende Chef der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien, Georg Kraft-Kinz, der APA auf die Frage, ob die Bank an Negativzinsen denke. Es gebe unmittelbar keine Pläne, Zinsen zu senken, auf beiden Seiten nicht. Bei den Krediten wird im Wesentlichen auf die Zinsgleitklauseln verwiesen, sie hingen nicht an den Leitzinsen der Notenbank.

Bank of England hält Zins

Großbritanniens Notenbank behält ihre lockere geldpolitische Linie bei. Wie die Bank of England am Donnerstag in London mitteilte, bleibt der Leitzins auf dem Rekordtief von 0,5 Prozent.

Kritik und Lob

Die EZB erntete für ihre Entscheidung Lob und Kritik. So warnte beispielsweise der Bundesverband deutscher Banken (BdB) vor großen Risiken durch die Geldpolitik der Zentralbank. Durch sie wachse die Gefahr von spekulativen Preisblasen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sprach von einem „fatalen Signal“ für all jene deutschen Sparer, die fürs Alter vorsorgten. „Die niedrigen Zinsen gehen massiv zu ihren Lasten.“ Applaus kam dagegen aus Italien: Regierungschef Letta nannte den Beschluss der Währungshüter „großartig“. Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici sprach von einer Stütze für die Konjunkturerholung in der Euro-Zone.

Das Echo der Fachwelt auf die Beschlüsse fiel geteilt aus. Alexander Schumann, Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), sagte, es habe keinerlei Grund für eine Zinssenkung bestanden: „Was die Euro-Zone braucht, ist eine Fortsetzung der Strukturreformen. Die getroffenen Maßnahmen zeigen langsam Wirkung. Probleme mit immer mehr Zentralbankgeld zuzudecken, erhöht nur das Risiko, dass der Reformeifer erlahmt.“ Jörg Zeuner, Chefökonom der Bankengruppe KfW, widersprach: „Dies ist die richtige Reaktion auf die zu niedrige Inflation im Euro-Raum.“

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