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Pestizide kontaminieren Anbaugebiete

Seit fast 20 Jahren gilt Argentinien als einer der wichtigsten Sojaproduzenten der Welt. Um die Anbauflächen zu schaffen, wurden riesige Regenwaldbestände gerodet. Zu Anwendung kommt in großem Maße gentechnisch verändertes Saatgut. Die Folgewirkungen der eingesetzten Pestizide sind jedoch enorm - erhöhte Krebsraten und angeborene Fehlbildungen gelten als alarmierende Zeichen.

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In der Provinz Santa Fe, dem Herzen von Argentiniens Sojaindustrie, liegt die Rate der Krebserkrankungen zwei- bis viermal über dem nationalen Durchschnitt. Seit langem warnen Ärzte, dass unkontrollierter Einsatz von Pestiziden hinter den wachsenden Gesundheitsproblemen unter den zwölf Millionen Menschen stehen könnte, die im breiten Agrargürtel des Landes leben.

Der Weg zur Sojamacht

Bevor sich die Politik des Landes dazu entschlossen hatte, auf den Sojaanbau zu setzen, war Argentinien für sein schmackhaftes und hochwertiges Rindfleisch grasgefütteter Tiere bekannt. Doch seit 1996, als der US-Biotechkonzern Monsanto mit der Vermarktung seines gentechnisch veränderten Staatguts begann, setzte die enorme Transformation der Landwirtschaft ein. Monsanto hatte große Versprechen mit im Gepäck, durch die Anwendung ihres Anbaumodells wurden viel schnellere und deutlich umfangreichere Erträge bei geringerer Anwendung von Chemikalien in Aussicht gestellt.

Traktor auf einem Sojafeld

AP/Natacha Pisarenko

Für die riesigen Anbauflächen wurden viele Wälder gerodet

Und tatsächlich: Der Aufstieg zur Sojamacht glückte, der Anbau weitete sich auf eine Fläche von 19 Millionen Hektar aus und verdreifachte sich damit - als Futter für das Vieh dient nicht mehr Gras, sondern Mais und Soja. Gegenwärtig werden nur noch herbizidresistente Sojabohnen (Gensoja) angebaut, auch Mais, Weizen sowie Baumwolle sind in großem Umfang modifiziert.

Chemikalien unkontrolliert eingesetzt

Aber weil im Laufe der Zeit Unkraut und Insekten zunehmend resistent gegen die eingesetzten Pestizide geworden sind und bis zu drei Ernten im Jahr erzielt werden sollen, mischen die Bauern immer häufiger giftigere Chemikalien bei. Insgesamt werden heute in Argentiniens Landwirtschaft achtmal so viel Insekten- und Unkrautvernichtungsmittel eingesetzt wie im Jahr 1990.

Kinder neben Plastikbehälter mit Pestizide

AP/Natacha Pisarenko

Leere Pestizidcontainer werden als Auffangbehälter für Regenwasser benutzt

Doch es gibt auch andere Probleme: Monsantos „Roundup“-Pestizide verwenden den Inhaltsstoff Glyphosat, einen der weltweit am häufigsten eingesetzten und an sich weniger giftigen Unkrautkiller. Nach dem Urteil der US-Umweltschutzbehörde (EPA) und vieler anderer Regulierer ist Glyphosat sicher, wenn es korrekt und gemäß den Vorschriften angewendet wird. Nach Berichten der Nachrichtenagentur AP gibt es aber zahlreiche Fälle, in denen das nicht geschieht und Chemikalien leichtsinnig, fahrlässig und gesetzeswidrig eingesetzt werden.

Vielfach fehlen Vorschriften

Das gilt etwa für die Einhaltung von Regeln, bis zu welchem Abstand von Wohngebieten Pestizide versprüht werden dürfen. Sofern es solche Regeln gibt: In einem Drittel der 23 argentinischen Provinzen existiert so etwas erst gar nicht. Die Folgewirkungen sind fatal: Wenn etwa Pestizide bei windigen Wetterverhältnissen eingesetzt werden, gelangen sie leicht in Gebäude oder verseuchen das Trinkwasser. Die Untersuchung der Agentur ergab unter anderem auch, dass Gifte unbeaufsichtigt von Arbeitern gemischt werden, in bewohnten Gebieten und ohne Schutzkleidung, und Einwohner Wasser in leeren Chemikalienbehältern aufbewahren.

Mann mit gesundheitlichen Schäden durch Pestizide

AP/Natacha Pisarenko

Fabian Tomasi trug nie Schutzkleidung, wenn er Unkrautvernichtungsmittel in Sprühflugzeuge pumpte. Heute, 47 Jahre alt, zeigt er die Folgen.

Nach zunehmenden Beschwerden setzte Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner 2009 eine Kommission ein, um die Auswirkungen der Pestizide auf die Gesundheit zu studieren. In einem ersten Report forderte das Gremium „systematische Kontrollen der Konzentration von Herbiziden und derer Komponenten“. Seit 2010 ist die Kommission jedoch nicht mehr zusammengetreten.

Veränderte Krankheitsbilder

Kinderarzt Medardo Avila Vazquez ist Mitbegründer einer Organisation, die übersetzt etwa „Ärzte in chemikalisch besprühten Städten“ heißt. Er ist überzeugt davon, dass die geänderten Methoden bei der Agrarproduktion das „Krankheitsbild“ im Land verändert haben. „Wir sind von einer ziemlich gesunden Bevölkerung zu einer mit einer hohen Rate von Krebs, Geburtsfehlern und Krankheiten geworden, die wir vorher selten erlebt haben“, meint der Arzt.

Traktor besprayt Feld mit Pestizide

AP/Natacha Pisarenko

Mit dem Wind gelangen die Pestizide in bewohnte Gebiete

In der stark betroffenen Gemeinde Avia Terai gab knapp ein Drittel der Befragten an, dass sie ein Familienmitglied haben, das an Krebs leidet oder litt. Im Dorf Charadai, das sich auf Viehzucht stützt, sind es dagegen drei Prozent. In Chaco, Argentiniens ärmster Provinz, haben sich die Fälle von Geburtsfehlern binnen einer Dekade vervierfacht. Eine Untersuchung in sechs Städten ergab eine höhere Zahl von Erkrankungen in Gebieten, die von Anbauland umgeben sind, als in anderen.

Monsanto beruft sich auf falschen Einsatz

Zahlreiche Ärzte fordern unabhängige Langzeitstudien. Regierungen müssten von der Industrie den Nachweis verlangen, dass die Unkraut- und Insektenvernichtungsmittel die Menschen nicht krank machten. Monsanto betont, dass das Unternehmen „den Missbrauch von Pestiziden oder die Verletzung jedweder Pestizidgesetze nicht gutheißt“. Das Unternehmen nehme seine Verantwortung für die Produkte ernst, „und wir kommunizieren regelmäßig mit unseren Kunden, was den korrekten Einsatz unserer Produkte betrifft“, hieß es in einer Stellungnahme des Konzerns.

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