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Informationspflicht bei Seenot

Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskatastrophe bei Lampedusa führt die Europäische Union das neue System Eurosur zur Überwachung ihrer Außengrenzen ein. Das EU-Parlament stimmte am Donnerstag in Straßburg für die Vernetzung von Informationen, um die illegale Einwanderung und die Tätigkeit krimineller Schlepperbanden einzudämmen.

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Es geht auch darum, Flüchtlinge in Seenot frühzeitig zu retten, um die Zahl der Todesfälle auf hoher See zu verringern. Das System soll bereits in zwei Monaten in EU-Ländern mit Außengrenzen betriebsbereit sein. Das Europaparlament stimmte in erster Lesung ab. Die für die Grenzüberwachung zuständigen Behörden sollen schneller Informationen etwa über den Standort von Flüchtlingsbooten austauschen können.

Geplant sind auch nationale Koordinierungszentren, die eng mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex zusammenarbeiten sollen. Das Europaparlament entscheidet in dieser Frage gemeinsam mit dem Rat, in dem die 28 EU-Staaten vertreten sind. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström begrüßte das Votum. Eurosur werde die Grenzen der EU sicherer machen und bei der Rettung von Flüchtlingen helfen, die ihr Leben auf dem Weg zu Europas Küsten aufs Spiel setzten.

Das Projekt Eurosur

In einer ersten Phase werden nationale Systeme modernisiert und elektronisch vernetzt, um ein gemeinsames Informationsbild des Grenzgebietes zu erstellen. Dazu sollen auch Aufnahmen von Satelliten genutzt werden. Ein maritimes Meldesystem für das Mittelmeer, Teile des Atlantiks (Kanarische Inseln) und das Schwarze Meer soll später in das Netzwerk eingebunden werden.

Hilfe gegen Flüchtlingskatastrophen?

Dass Eurosur auch dazu dienen muss, um bei der Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen zu helfen, war erst auf Druck des Europaparlaments im Verordnungstext ausdrücklich verankert worden. Das gelte insbesondere für Flüchtlinge in Seenot, betonte die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel. „Sicherheit und Humanität“ seien das Prinzip, sagte der CSU-Politiker Manfred Weber. Eurosur solle den Grenzschutz verbessern, aber auch helfen, neue Flüchtlingskatastrophen zu verhindern.

Kritik an dem neuen Instrument äußerten die Grünen. „Lebensrettung steht nur drauf, ist aber nicht drin in Eurosur“, kritisierte die grüne Europaabgeordnete Ska Keller. „Ziel von Eurosur ist es, nach den europäischen Landgrenzen jetzt auch die Seegrenzen für Flüchtlinge dichtzumachen.“

Die österreichische Grünen-Abgeordnete Ulrike Lunacek wies darauf hin, dass es durch Eurosur keine Rettung von Flüchtlingen geben werde. Zwar sei auf Druck der Grünen durchgesetzt worden, dass die Mitgliedsstaaten die EU-Grenzschutzagentur Frontex künftig darüber informieren müssen, wenn Flüchtlinge in Seenot geraten. Doch die Forderung, dass diese auch „mehr zur Lebensrettung von Bootsflüchtlingen unternehmen“ müssen, sei „abgeschmettert“ worden, so die außenpolitische Sprecherin der Grünen im EU-Parlament.

Grüne für „humanitäre Visa“

Mit Eurosur schiebt die EU nach Ansicht Lunaceks die Aufgabe, die Flüchtlingsboote abzufangen, an die Drittstaaten ab. „Ausgerechnet“ mit Libyen, das die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet habe, verhandle die EU das erste diesbezügliche Kooperationsabkommen. Weitere Abkommen seien mit Algerien und Tunesien geplant, so Lunacek.

Die Grünen fordern stattdessen die Einführung humanitärer Visa. Menschen sollen demnach beim Nachweis, dass ihr Leben bedroht ist, in einer Botschaft eines EU-Landes ein Einreisevisum beantragen können. Damit würden sie sicher und legal nach Europa gelangen, statt in seeuntüchtigen Booten die gefährliche Reise über das Mittelmeer antreten zu müssen.

Aria: „Kein Drohneneinsatz geplant“

Dagegen hatte der stellvertretende Frontex-Direktor Gil Aria vor der Abstimmung zu Reuters gesagt, dass Abkommen mit Drittländern im Zuge von Eurosur erst nach einer Erprobungsphase eingeführt werden sollten. Die neuen Instrumente seien vor allem als Plattform zu sehen, mit der die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten verbessert werden soll.

„Es gibt aber derzeit keine Pläne, im Rahmen von Eurosur Drohnen einzusetzen“, stellte Aria klar und reagierte damit auf Medienberichte, wonach auch unbemannte Flugzeuge zur Überwachung von Flüchtlingsrouten über dem Mittelmeer kreisen sollen. Die Aufgabe von Frontex mit derzeit 300 Mitarbeitern bestehe vor allem in der Koordination. Zudem liefere seine Agentur Ausrüstung wie Boote und Hubschrauber in die Regionen Europas, in denen eine bessere Überwachung der Grenzen notwendig sei.

Kritik an Budgetkürzungen

„Das vorrangige Ziel von Frontex sind keine Rettungsaktionen, aber natürlich leisten wir im Bedarfsfall Hilfe“, so Aria. In diesem Jahr seien mit Hilfe von Frontex rund 16.000 Menschen aus Seenot gerettet worden, vornehmlich vor der italienischen Küste. Der Vorsitzende der Liberalen im EU-Parlament, der Belgier Guy Verhofstadt, kritisierte, dass das Budget von Frontex gegenüber 2011 um 30 Millionen auf 85 Millionen Euro in diesem Jahr gekürzt worden sei.

Unabhängig von den Diskussionen über Frontex und Eurosur fordert der deutsche Europaabgeordnete, Manfred Weber (CSU), die Situation der Menschen in den Heimatländern wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. „Wir müssen nach der Schuldenkrise unsere Nabelschau in Europa beenden und uns um die Lage in anderen Regionen kümmern.“ Die wirtschaftlichen Probleme Afrikas seien nicht durch mehr Zuwanderung nach Europa zu lösen.

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