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„Es wird eine Revolution geben“

Im November wird in Cheyenne County im US-Bundesstaat Colorado eine ungewöhnliche Abstimmung stattfinden. In dem Referendum geht es um die Frage, ob sich der ländlich geprägte Verwaltungsbezirk zusammen mit zehn weiteren von Colorado abspalten soll, um einen gemeinsamen neuen Bundesstaat zu gründen.

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„New Colorado“ oder „North Colorado“, wie die Befürworter der Abspaltung den Bundesstaat gerne nennen würden, soll laut „New York Times“ („NYT“, Onlineausgabe) vor allem eines sein: ein ländliches Bollwerk gegen die Urbanisierung und den demografischen Wandel, die den im mittleren Westen der USA gelegenen Bundesstaat zunehmend verändern.

Republikanisches Kernland

In Cheyenne County stimmten im Vorjahr 82 Prozent der Wähler für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney. Der dünn besiedelte Bezirk ist von vielen Weizen- und einigen Ölfeldern durchzogen, Farmen und Kornspeicher bleiben oft kilometerweit die einzigen Gebäude in der Landschaft. Viele der Farmer fühlen sich von der Politik betrogen. Sie haben ihre Probleme mit verschärften Waffengesetzen und der anvisierten „grünen Energiewende“. Sie fühlen sich von illegaler Einwanderung bedroht und wettern gegen „Marihuana-Shops“ und die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare.

Landwirtschaftliche Gebäude in Cheyenne Wells, US-Bundesstaat Colorado

Corbis/Paul Souders

Ein stillgelegter Getreidespeicher in Cheyenne County, Colorado

„Ich hätte nie geglaubt, dass Colorado so liberal wird“, zitiert die „NYT“ einen Bewohner. „Ich habe Angst um meine Enkelkinder. Ich möchte, dass sie mit demselben Erbe leben wie ich.“ Ein Grund für diese Wahrnehmung vieler Einwohner liegt in der Bevölkerungsentwicklung. In Cheyenne County haben nie mehr als 3.700 Menschen gelebt, doch weil viele der Jungen wegziehen, ist die Bevölkerungszahl in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf knapp 2.000 geschrumpft. Das entspricht einer Bevölkerungsdichte von einem Bewohner pro Quadratmeile (rund 2,6 Quadratkilometer).

Obama-Mehrheit durch Urbanisierung

Eine Folge dieser Entwicklung ist nicht nur, dass die Bevölkerungszahl in ländlichen Gegenden abnimmt, sondern auch, dass große Städte und Vororte parallel dazu wachsen. Bedeutung hat diese Tatsache nicht zuletzt für die Politik: Bewohner großer Ballungsräume tendieren in den USA traditionell zu den Demokraten.

Tatsächlich führten der demografische Wandel und die fortschreitende Urbanisierung in Colorado zu einer Verschiebung der politischen Verhältnisse: In der Regierung des Bundesstaates sind zunehmend mehr demokratische Abgeordnete vertreten, und sogar bei den vergangenen beiden Präsidentschaftswahlen wurde das früher traditionell republikanische Colorado zu einer Mehrheit für den demokratischen Präsidenten Barack Obama umgefärbt.

Komplizierter Prozess für Abspaltung

Die Unzufriedenheit vieler konservativ geprägter Bürger in Cheyenne County mag vor diesem Hintergrund wenig überraschen. In der politischen Praxis sieht sich die Sezessionsbewegung allerdings mit hohen Hürden konfrontiert - selbst wenn die Abstimmung in Cheyenne County tatsächlich zugunsten einer Abspaltung von Colorado ausgeht.

Dann müsste nämlich zunächst der gesamte Bundesstaat in einem Referendum zustimmen. Selbst dann ist noch ein abschließendes Votum im US-Kongress nötig, das die Schaffung eines neuen Staates genehmigt - ein Vorgang, der zum letzten Mal bei der Loslösung von West Virginia im Jahr 1863 durchexerziert wurde.

Vereinigte oder zersplitterte Staaten von Amerika?

Zudem stehen bei weitem nicht alle Bürger von Cheyenne County hinter der „51st State Initiative“ (etwa: Initiative für einen 51. Bundesstaat). Viele Einwohner sind zwar unglücklich mit der Politik in Colorado, halten eine Abspaltung vom Bundesstaat aber für absurd.

Fahnen und Ölpumpen in Colorado

The 51st State Initiative

Die amerikanische Flagge vor Ölpumpen in Colorado

Tatsächlich würde eine Sezession viele ungeklärte Fragen aufwerfen. Wer wäre etwa für das öffentliche Straßensystem und die Pflege von städtischen Parkanlagen verantwortlich? Was würde mit Bewässerungsrechten passieren? Und ist es überhaupt möglich, aus dem Nichts die Verwaltung eines neuen Bundesstaates aufzubauen? „Es sollten eigentlich die Vereinigten und nicht die aufgeteilten Staaten von Amerika sein“, formulierte ein von der „NYT“ zitierter Unternehmer aus der Gegend viele Bedenken.

Kippende Stimmung durch schärfere Waffengesetze

Dennoch dürfte der Bürgerfrust in Gegenden wie Cheyenne County mehr als nur ein kurzlebiger Trend sein. Viele fühlen sich von der großen Politik ignoriert. Die Gesetzgeber in Colorados Hauptstadt Denver würden die ländlichen Gegenden häufig übersehen, wenn es um die Finanzierung von Schulen und Straßen gehe. Dem einzigen Krankenhaus des Verwaltungsbezirks im Umkreis von 60 Kilometern droht die Schließung.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war für viele Bürger aber eine ganz andere politische Maßnahme: Im Schatten der Massaker von Newtown und Aurora wurden die Waffengesetze in Colorado - harschem Widerstand der Republikaner zum Trotz - massiv verschärft. Erst mit verstärkten Kontrollen bei Besitzern von Schusswaffen und neuen Grenzen beim Kauf von Patronen nahm die Debatte über ein „New Colorado“ richtig an Fahrt auf.

„Sezession ist die friedliche Variante“

Während mehr und mehr Bezirke eine Sezessionsabstimmung aufs Tapet brachten, begannen Anwälte der mächtigen US-Waffenlobby die neuen Restriktionen zu bekämpfen. Eine Gruppe aus 55 Sheriffs reichte zudem Klage gegen die Gesetzesverschärfung ein, weil sie nach ihrer Interpretation gegen die US-Verfassung verstoße. Beobachter deuten diesen starken Gegenwind auch als Teil eines immer größer werdenden Grabens zwischen dem ländlichen und dem urbanen Colorado.

Die Mobilisierung der Gegner schärferer Waffengesetze brachte nicht zuletzt den demokratischen Gouverneur des Bundesstaates, John W. Hickenlooper, unter Druck. Er muss sich im kommenden Jahr seiner Wiederwahl stellen und sprach sich wohl auch deshalb für liberalere Waffengesetze aus. Für konservative Politiker wie Rod Pelton kommt dieser Schritt allerdings zu spät. Der republikanische Landrat in Cheyenne, dessen Handyklingelton laut „NYT“ das Laden und Abfeuern einer Schusswaffe imitiert, glaubt fest an die Idee eines „New Colorado“. „Eine Revolution wird es in jedem Fall geben“, zitiert ihn die Zeitung. „Die Sezession ist die friedliche Variante davon.“

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