Kollege jahrelang unschuldig im Gefängnis
Im Prozess um den falschen Vergewaltigungsvorwurf einer Lehrerin gegen einen früheren Kollegen hat das Landgericht Darmstadt die Angeklagte zu einer Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt. Das Gericht sprach die 48-Jährige Heidi K. am Freitag der Freiheitsberaubung für schuldig, weil ihr inzwischen verstorbener Kollege Horst A. aufgrund der Anschuldigungen fünf Jahre lang unschuldig im Gefängnis gesessen war.
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Die Vorsitzende Richterin Barbara Bunk sagte in der Urteilsbegründung, die Strafkammer sei im Wesentlichen der Auffassung der Staatsanwaltschaft gefolgt. Es sei ein schwieriges Urteil gewesen, weil sich zwei - auf den ersten Blick - plausible Versionen der Geschehnisse gegenübergestanden seien. Da Horst A. mittlerweile verstorben sei, habe sich das Gericht auf Indizien und Zeugenaussagen stützen müssen.
Aufgrund der Auswertung des Materials sah es das Landgericht aber als erwiesen an, dass K. ihren ehemaligen Kollegen zu Unrecht der Vergewaltigung bezichtigt hatte, wie Richterin Bunk sagte. Zwar sei es am 28. August 2001 zu einem „Zusammentreffen“ der beiden Lehrkräfte in einem Biologie-Raum der damaligen Schule gekommen, an der die Angeklagte noch neu war. Zu einer Vergewaltigung sei es jedoch nicht gekommen, wie die Indizien nahelegten.
Vorwürfe immer mehr ausgebaut
Die Angeklagte habe damals die Unterlagen des ehemaligen Kollegen durchstöbert, sagte die Richterin. Als dieser sie dabei ertappte, habe er die Kollegin „angeherrscht“. In den Tagen und Wochen nach dieser Begebenheit habe Heidi K. aufgrund einer Persönlichkeitsstörung und aus Furcht vor Konsequenzen für sie an der neuen Schule einen immer größeren Vorwurf aufgebaut, sagte die Richterin.
Mit Horst A., der damals Alkoholprobleme hatte und dessen Verhalten im Lehrerkollegium für Verärgerung sorgte, habe die Pädagogin „ein ideales Opfer“ gehabt. Allerdings habe sich K. bei der Darstellung der Begebenheit in erhebliche Widersprüche verstrickt.
Zunächst habe K. einer Kollegin nur berichtet, dass Kollege A. sie angegangen habe, sagte Bunk. Die Angeklagte habe dann später bei einer ersten Polizeiaussage geschildert, sie habe während der Begebenheit um Hilfe gerufen. Bei einer weiteren Aussage hingegen habe sie gesagt, K. habe ihr den Mund zugehalten. Ob der Mund zugehalten werde oder nicht, würden Opfer aber nie vergessen, sagte die Richterin. „Da hat man Todesangst.“
Verletzung erst Wochen später festgestellt
Später habe sich K. von zwei Ärztinnen im Intimbereich wegen der angeblichen Vergewaltigung untersuchen lassen, sagte die Richterin. Beide Ärztinnen konnten keine Verletzung feststellen. Eine dritte Ärztin jedoch stellte Wochen danach eine Verletzung fest. Das Gericht ging davon aus, dass sich K. diese selbst zugefügt hatte. Dass eine Verletzung „schlimmer als besser wird - das halten wir für nicht wahrscheinlich“, sagte Richterin Bunk.
Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete, listete Oberstaatsanwalt Andreas Kondziela im Laufe des Prozesses insgesamt 59 nachweisliche Lügen auf, auf denen K. „ihr ganzes Leben aufgebaut“ habe. So soll sie eine Versetzung beantragt haben, weil ihr (erfundener) Verlobter, ein Polizist, von einem Terroristen angeschossen worden und im Koma gelegen sei. Anderen Kollegen habe sie von einer (erfundenen) Tochter erzählt, die als kleines Mädchen bei einem Lastwagenunfall getötet worden sei.
Lügen immer haarsträubender
Die Lügen, die K. laut Staatsanwaltschaft verbreitet habe, seien immer haarsträubender geworden. Kolleginnen in einer früheren Schule hätten sie mit Rattengift oder Arsen zu vergiften versucht. Ein Polizist, der in dem Fall ermittelt habe, sei ermordet worden, weil er einem Pornoring auf der Spur gewesen sei, listete die „SZ“ die erfundenen Geschichten der Frau auf.
Typisch für Menschen, die Probleme wie K. haben, sei ein besonderes Geltungsbedürfnis, ein Hang zur Dramatisierung, sie wollten stets im Mittelpunkt stehen und erfänden Geschichten, sagte die Richterin. Sie suchten nach Mitleid, hätten gleichzeitig aber einen Mangel an Einfühlungsvermögen gegenüber anderen.
Verteidigung prüft Revision
Die Staatsanwaltschaft hatte im Prozess siebeneinhalb Jahre Haft für K. gefordert. Die Verteidigung forderte Freispruch. Sie prüft nun nach eigenen Angaben, ob sie in Revision gehen wird. Bunk wandte sich zum Ende der Urteilsverkündung auch an die im Saal anwesenden Verwandten von A. und suchte - stellvertretend für die Justiz - nach entschuldigenden Worten für das frühere Fehlurteil, das erst nach der Verbüßung seiner Haftstrafe aufgehoben wurde. „Es ist nicht möglich, die Zerstörung einer Existenz rückgängig zu machen“, sagte Bunk. In einem Rechtsstaat jedoch könnten „falsche Urteile nicht ausgeschlossen werden“.
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