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Das eine Bier

„Da sagst du was“, ist die angemessene Reaktion auf Kalauer in „Magical Mystery“, Sven Regeners pophistorischem, antitoxischem Entwicklungsroman am Rande des Lehmann-Universums. Alles dreht sich dabei um Karl, der nach einer Drogentherapie das richtige Leben sucht - an ungewöhnlicher Stelle.

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Regener war von 1985 an einer eingeschworenen Schar von Fans als Sänger der deutschen Band Element of Crime („Michaela sagt, die meisten Männer sind Schwachmaten“) ein Begriff. Später wuchs der Erfolg der Band, und Regener landete mit „Herr Lehmann“ 2001 einen literarischen Sensationserfolg. Die Verfilmung von Leander Haußmann mit Christian Ulmen in der Titelrolle des Frank Lehmann und Detlev Buck als dessen bester Freund Karl tat ein Übriges.

In „Der große Bruder“ und „Neue Vahr Süd“ ging es weiter um das Leben des Herrn Lehmann, der in den 80ern in Westdeutschland trotz Geldmangels und anderer Widrigkeiten im subkulturellen Umfeld die Fahne des Lebenskünstlers hochhielt. Gefallen war aber Freund Karl, Lehmann musste ihn nach einem Nervenzusammenbruch ins Krankenhaus bringen. Nun, in „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“ erfahren wir, wie es weiterging mit dem großen, rundlichen Lebens- und Installationskünstler.

Basteln statt Koks

Fünf Jahre danach - und damit fünf Jahre nach der Wende, also 1994, kann Karl auf einen ordentlich durchtherapierten Lebensabschnitt zurückblicken: zuerst die Psychiatrie samt Drogentherapie, die ihm das „Multitox“-Ding austreiben sollte, also den Alkohol, die Joints, Speed, das Kokain und die diversen Pillen; und dann die WG: Basteln, Wochenendausflüge und Analyse in der Gruppe; nicht zu vergessen der Job als Hilfshausmeister.

Als sich nach all der Zeit alte Freunde melden, weil sie für die Tournee des gemeinsamen Techno-Labels einen Fahrer brauchen, der garantiert immer clean und nüchtern bleibt, sagt Karl zu. Was folgt, ist eine Mischung aus Thrill und Slapstick, befeuert durch poetische Satzkaskaden Marke Regener. Unbedingte Empfehlung: das Hörbuch. Der Autor knarzt wie ein schlecht geöltes Maschinengewehr im Dauerfeuer. So kommt der Rhythmus des Textes noch mehr zur Geltung.

Buchhinweis

Sven Regener: Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt. Galiani, 512 Seiten, 23,70 Euro.

Hörbuchhinweis

Sven Regener: Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt. Gelesen vom Autor. Tacheles, zehn CDs, ca. 700 Minuten, 39,99 Euro.

Auf Tournee mit „Bumm Bumm“-Musik

Im E-Mail-Interview mit ORF.at besteht Regener darauf, dass das Buch „nun kein Techno-Roman ist. Und auch kein Musikroman. Sondern ein Roman über die Abenteuer des Karl Schmidt, der einen Sprung in der Schüssel hat und den Weg zurück in ein normales Leben sucht.“ Wobei einige der schönsten Momente des Buches sehr wohl jene sind, wo Ferdi, das Mastermind des Labels „Bumm Bumm“ samt Ableger „Kratzbombe“, über Techno räsoniert.

„Magical Mystery“ heißt die Tour nicht von ungefähr, da hängt man sich an die legendäre Pannentour der Beatles an. Weil der Techno nicht unverteidigt dem Hedonismusverdacht ausgesetzt bleiben darf, soll seine Botschaft der Liebe ins Land hinausgetragen werden. Hosti Bros mit ihrem Disco-Stampfhit sind genauso mit von der Partie wie die ernsthaften Tüftler, die man auf „Kratzbombe“ ausgelagert hat. Die Botschaft wird in die Provinz, nach Schrankenhusen-Borstel, genauso getragen wie zum größten Rave des Landes.

Die innere Zombiearmee

Was dabei alles schiefgeht, sei hier nicht verraten, nur so viel: Die aufgeräumtesten Tourteilnehmer sind bisweilen die beiden Meerschweinchen, die ebenfalls mit von der Partie sind. So viel zum Slapstick. Der Thrill des Romans ist jedoch der Kampf des Ich-Erzählers gegen den Teufel, der immer „auf der Kellertreppe“ lauert, mit seinen guten Argumenten dafür, warum das mit dem Drogenproblem ja immer übertrieben war und man ruhig einmal ein Bier trinken könnte.

Die Depression marschiert durch Karl hindurch wie eine „Zombiearmee“. Das andauernde Geplapper der Techno-Bande lenkt ab, die Versuchung ist aber genauso allgegenwärtig. Karl ist gutmütig, er verurteilt niemanden, schon gar nicht die „alten Quatschköpfe“ um sich herum. Milde, meint Regener im Interview, mache Karl das Fehlen eines inneren Kompasses, der nur notdürftig durch auswendig gelernte WG-Regeln ersetzt wird.

Das Ende des Quatschens

Deutschland nach der Wiedervereinigung, das Universum der Therpaieeinrichtungen, die Veteranen des Techno: Regeners Roman atmet historische Luft und subkulturelles Lokalkolorit, ohne je sperrig oder pseudo-cool zu sein. Das Buch ist zwar mit 512 Seiten recht umfangreich, aber am Ende hätte man den „Quatschköpfen“ gerne noch länger beim Quatschen zugehört. Wie es weitergeht im Lehmann-Universum? Regener, der sich in Interviews zuletzt gerne grantig gibt, dazu: Wenn er es wüsste, würde er es nicht verraten.

Simon Hadler, ORF.at

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