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TEPCO agiert nach „Maulwurfmethode“

Japan hat nach einem radioaktivem Leck in der Atomruine Fukushima I die Gefahrenstufe erwartungsgemäß deutlich angehoben. Wie japanische Nachrichtenagenturen am Mittwoch meldeten, stufte die Atomaufsicht NRA das Leck auf Stufe drei der internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) ein. Das bedeutet, dass das Leck ein „ernster Zwischenfall“ ist.

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Bisher war das Leck mit der Stufe eins („Anomalität“) bewertet worden. Der Betreiber TEPCO hatte erklärt, dass rund 300 Tonnen verstrahlten Kühlwassers aus einem Auffangtank ausgelaufen waren. Infolge des Erdbebens und Tsunamis vom 11. März 2011 war das AKW verwüstet worden. Dabei kam es zu Kernschmelzen. Seither wird unentwegt Wasser zur Kühlung in die Reaktoren gepumpt.

Ein Tank des AKWs Fukushima

APA/AP/Kyodo

Die lecken Tanks von Fukushima bei der jüngsten Inspektion

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) mit Sitz in Wien wirft der NRA vor, Verwirrung zu stiften. In einem Schreiben, das die NRA am Mittwoch selbst öffentlich machte, kritisierte die IAEA, dass das Austreten von 300 Tonnen radioaktiven Wassers auf der internationalen Skala INES eingestuft wurde. Ähnliche Vorkommnisse in der Vergangenheit seien nicht mit einer INES-Einstufung bedacht worden, hieß es in dem Brief. Die Atomaufsicht solle ihren Sinneswandel öffentlich erklären, forderte die IAEA.

„Wir kennen die Lage nicht genau“

In Zukunft sei es außerdem sinnvoll, „die Bedeutung solcher Ereignisse in Bezug auf die Sicherheit“ anhand eines Kommunikationsplans zu erläutern, anstatt die INES-Einstufung zu nutzen, empfahl die IAEA. „So könnte vermieden werden, verwirrende Botschaften an die Medien und die Öffentlichkeit zu senden.“

Am Mittwoch sagte der Vorsitzende der NRA, Shinichi Tanaka, die Behörde habe die vorläufige Einstufung des Vorfalls in Stufe drei bestätigt: „Einige ausländische Medien haben berichtet, die Lage sei ernst, nur weil Stufe drei bekanntgegeben wurde“, kritisierte er. „Ich glaube, die verstehen die Skala nicht richtig.“ Der Behördenchef räumte zugleich ein, dass das Ausmaß des Zwischenfalls in Fukushima weiterhin unklar sei. „Wir kennen die Lage nicht genau. Wir wissen nicht, wie viel Wasser ausgetreten ist, wie radioaktiv es war oder wohin es geflossen ist.“

Vergleich mit Maulwurf-Erschlagen

Das verzweifelte Ankämpfen gegen immer neue Lecks am havarierten AKW erinnert Japans Industrieminister an ein populäres Videospiel: Die Betreiberfirma TEPCO gehe mit dem radioaktiv verstrahlten Wasser um „wie bei ‚Whack-a-Mole‘“, sagte Toshimitsu Motegi nach einem Besuch der Anlage am Montag. Für seinen Geschmack reagierte der Konzern bisher offenbar zu hektisch und wenig vorausschauend, denn bei besagtem Computerspiel (zu Deutsch: Schlag einen Maulwurf) geht es darum, aus Löchern herausschauende Maulwürfe schnellstmöglich mit einem Hammer zurück in die Erde zu befördern.

Regierung will sich mehr einbringen

„Von jetzt an wird die Regierung eine größere Rolle spielen“, versprach der Minister, nachdem TEPCO wiederholt Versäumnisse vorgeworfen und Forderungen laut geworden waren, der Staat solle die aufwendigen Aufräumarbeiten doch besser selbst in die Hand nehmen. Nach Ansicht vieler Kritiker hat die Betreiberfirma regelmäßig dabei versagt, frühere Störfälle aufzuklären und neue zu verhindern.

Zurzeit fahndet TEPCO akribisch nach Lecks im Kühlsystem und überprüft etwa 300 Wassertanks, nachdem aus einem Behälter mehrere hundert Tonnen verstrahltes Wasser ausgetreten sein sollen. Für den Betreiber ist es der gravierendste Störfall, seitdem die havarierte Atomanlage Ende 2011 offiziell unter Kontrolle gebracht wurde. TEPCO schließt nicht aus, dass ein Teil des verstrahlten Wassers ins Meer geflossen sein könnte.

Enorme Schadenersatzforderungen

Infolge eines Erdbebens und eines Tsunamis im März 2011 war das Kühlsystem des Atomkraftwerks ausgefallen, woraufhin es in mehreren Reaktoren zur Kernschmelze kam. Die Reaktorkatastrophe war das folgenschwerste Atomunglück seit dem Unfall im ukrainischen Tschernobyl im Jahr 1986. TEPCO sieht sich dementsprechend mit erheblichen Schadenersatzforderungen und Aufräumkosten konfrontiert.

Die Regierung will dem Betreiber des Katastrophenkraftwerkes deshalb mit Steuergeld helfen. Der Staat müsse seine Hilfe anbieten, auch damit sich die Ereignisse nicht wiederholten, sagte Regierungssprecher Yoshihide Suga am Montag. Das Industrieministerium sei angewiesen worden, Maßnahmen zu erarbeiten. Im japanischen Haushalt sind für Naturkatastrophen und andere Notfälle umgerechnet 2,6 Milliarden Euro zurückgestellt.

Das freute offenbar Anleger: In Tokio sprangen die Papiere des Stromversorgers, die am Vortag mit knapp sieben Prozent noch Schlusslicht im Nikkei-Index waren, um 12,26 Prozent nach oben. Damit ist die Katastrophe zwar so schwerwiegend wie seit dem Unfall nicht mehr - und gleichzeitig geht es TEPCO an der Börse so gut wie seit damals nicht mehr.

Keine Inspektionsprotokolle geführt

Nichtsdestotrotz sieht sich TEPCO von offizieller Seite erneut mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Der Konzern habe die leckgeschlagenen Auffangtanks zur Speicherung von verstrahltem Wasser nicht angemessen beaufsichtigt, sagte ein Mitglied der japanischen Atomaufsichtsbehörde am Freitag nach einer Besichtigung des Katastrophen-AKW. Auch habe der Betreiber keine Inspektionsprotokolle geführt.

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