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Zeugnis eines Martyriums

Von den Nazis ermordet, von den Kommunisten zum Helden ohne Makel hochstilisiert: Am 8. September jährt sich der Tod des kommunistischen Prager Journalisten Julius Fucik zum 70. Mal. Seine Reportage aus der Gestapo-Haft gilt als einzigartiges historisches Dokument.

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„Im Konzentrationslager Ravensbrück erfuhr ich von meinen Mitgefangenen, daß mein Mann, Julius Fucik, Redakteur des Rude Pravo und der Tvorba, durch das Nazigericht in Berlin am 25. August 1943 zum Tode verurteilt worden war. Fragen über sein weiteres Schicksal prallten nur als Echo von den hohen Lagermauern ab.“ Diese Worte schreibt Fuciks Ehefrau Gusta in ihrem Vorwort zu dem 1946 im kommunistischen Wiener Globus Verlag erschienenen Büchlein „Reportage unter dem Strang geschrieben“.

Die Möglichkeit zu schreiben

Gusta überlebte Ravensbrück und erfuhr, dass Julius 14 Tage nach seiner Verurteilung, am 8. September 1943, in Berlin hingerichtet worden war. Dann kam ein Mann zu ihr, mit einer Handvoll Zetteln, handschriftlich von Julius bekritzelt. Es war der Gefängnisaufseher Adolf Konlinsky. Er hatte Fucik im Prager Gestapo-Gefängnis Pankrac das Führen von Aufzeichnungen ermöglicht, die vollgeschriebenen Blättchen aus dem Gefängnis geschmuggelt und an verschiedenen Orten versteckt.

Später wurden Zettel ergänzt, die Fucik Kolinskys Kollegen Jaroslav Hora anvertraut hatte. Gusta fügte zusammen, was zusammengehörte - die 123 Seiten lange Reportage Julius Fuciks aus der Gestapo-Haft in Prag. Fucik war nicht irgendwer, er konnte schreiben. Zeit seines Lebens war der 1903 in Prag Geborene Journalist gewesen, in erster Linie Literaturkritiker. Schon früh begann er sich bei den Kommunisten zu engagieren, wurde Stalinist und stellte sein Schaffen während der 30er Jahre mehr und mehr in den Dienst der Partei.

„Schmerz fühle ich überhaupt nicht mehr“

Nach der Besetzung Prags durch die Nazis gehörte Fucik der Führungsriege der Kommunisten an und gab im Untergrund weiter die KP-Zeitung „Rude Pravo“ heraus. Bei einer Razzia, die eigentlich gar nicht ihm galt, ging er 1942 der Gestapo ins Netz. Zunächst wäre er fast an den Folgen von Folter und Misshandlung unmittelbar nach seiner Inhaftierung gestorben. Doch wider Erwarten überlebte Fucik.

So sehr er es sich auch wünschte, der Tod blieb aus. In seiner Reportage beschreibt er das Martyrium: „Sie treten auf mich. Ja, so, jetzt wird bald Schluß sein. Der schwarze Kommissar hebt mich am Vollbart hoch und lacht zufrieden, daß er mir ganze Büschel ausgerissener Haare zeigen kann. Es ist wirklich komisch. Und Schmerz fühle ich überhaupt nicht mehr.“

Blick durch ein vergittertes Fenster aus der Strafanstalt Pankratz in Prag

Picturedesk.com/Scherl/SZ-Photo

Blick aus einem Zellenfenster im Prager Pankrac-Gefängnis im Jahr 1942

Schonungslos im Angesicht des Todes

Die Reportage ist als Dokument in vielerlei Hinsicht einzigartig. Fucik muss einer der diszipliniertesten Menschen gewesen sein, die man sich vorstellen kann. Er weiß auch im Angesicht des Todes noch, was er seinen Lesern schuldig ist. Der Text ist in stilsicherer Sprache verfasst, beinahe schon reißerisch, selbst dort, wo es um die eigene Trauer und den eigenen Schmerz geht.

Schonungslos ging Fucik nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit seinen Mitgefangenen um. Wer Verrat übte, den verachtete er. Es gab für ihn keine Entschuldigungen. Weder die Folter von Familienangehörigen noch die unmittelbare Bedrohung mit dem Tod ließ er gelten. Wer einen Genossen verriet, war ein Versager.

Fucik beschreibt auch, wie er und andere untereinander absprachen, welche Informationsbrocken man der Gestapo hinwerfen konnte, sei es, weil sie ohnehin schon verraten waren, sei es, um Halbwahrheiten als Nebelgranaten einzusetzen, die bei den Nazis für Verwirrung sorgen sollten.

Buchhinweis:

Stefan Zwicker: „Nationale Märtyrer“: Albert Leo Schlageter und Julius Fucik

Unhinterfragbarer Held der Kommunisten

Was genau er im Verhör mit der Gestapo wirklich angegeben hatte und welche Rolle er im Widerstand spielte, das ist bis heute umstritten. Der deutsche Historiker Stefan Zwicker hat eine luzide Dissertation über Fucik und die Debatten rund um seine Person verfasst. Dort lässt sich nachlesen, wie die Kommunisten nach dem Krieg in der ganzen Sowjetunion und darüber hinaus die Reportage zu Propagandazwecken ausschlachteten. Jene Passagen, in denen Fucik andeutet, der Gestapo Informationen gegeben zu haben, wurden gelöscht, das Buch zur Pflichtlektüre, der Journalist wurde zum unhinterfragbaren Helden.

Versuche während der Zeit des Prager Frühlings, Fucik als Menschen anstatt als Übermenschen darzustellen, etwa durch kritische Aussagen von Weggefährten, waren von kurzer Dauer. Schon gar nicht durfte man andeuten, dass auch Fucik selbst ein Verräter gewesen sein könnte. Dafür schlug die Stimmung nach 1989 um, schließlich war Fucik ein glühender, unkritischer Verehrer Stalins gewesen. Vaclav Havel soll in einem Radiointerview (es existiert keine Aufnahme davon) die Reportage sogar als komplett erfundene Kommunistenpropaganda abgetan haben.

Die Feinde Fuciks

Fucik bot sich als Hassobjekt geradezu an. Er wurde von den Kommunisten nicht nur für Propagandazwecke missbraucht, er war selbst vor dem Krieg ein Propagandist Stalins gewesen. Auch in der Reportage finden sich Passagen, die nahelegen, dass sie von Fucik schon als Propagandamaterial für Kommunisten nach seinem Tod geplant waren.

Dazu kam, dass Fucik in seiner Reportage Genossen und andere Widerstandskämpfer angriff. Das wurde ihm aus deren Umfeld angekreidet - es tauchten sogar Zeugenaussagen auf, die den einen oder anderen von Fucik als Faktum dargestellten Sachverhalt vehement bestritten. Selbst Verrat wurde ihm dezidiert angelastet. Aber welche Version nun stimmt und welche den Ränkeschmieden innerhalb des Widerstands geschuldet ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden.

Blick in einen Zellenkorridor der Strafanstalt Pankratz in Prag

Picturedesk.com/Scherl/SZ-Photo

Zellenflucht im Pankrac-Gefängnis (aufgenommen ebenfalls 1942)

Berührende Porträts, schwarzer Humor

Zumindest der Vorwurf, die Reportage sei eine Fälschung, ist heute vom Tisch. Die Originalaufzeichnungen Fuciks liegen vor, ihre Authentizität ist erwiesen, ebenso wurde eine kritisch kommentierte vollständige Ausgabe veröffentlicht. Fucik war in der Führungsriege der Kommunisten, er wurde gefoltert und ermordet. Die Beschreibung der Nazi-Gräuel aus erster Hand muss nicht hinterfragt werden. Ob und warum er in Details gelogen oder seine eigene Rolle zurechtgerückt hat, wird wohl immer offen bleiben.

Ein einzigartiges historisches Dokument und ein Sonderfall an Literatur ist die „Reportage“ in jedem Fall. Sie enthält berührende Porträts seiner Mitgefangenen, schwarzen Humor, beißende Ironie gegenüber den Aufsehern, Geschichten über unerwartete Solidarität - und das alles, wie das Buch im Untertitel heißt, „unter dem Strang geschrieben“. Näher als bei dieser Lektüre wird man als Nachgeborener dem Wahnsinn des Nationalsozialismus nicht kommen.

Im Kommunismus mussten Generationen von jungen Menschen die „Reportage“ lesen, um sich am Helden und eisernen Stalinisten Fucik ein Beispiel zu nehmen. Demgegenüber wäre ein sinnvoller, kritischer Einsatz der Lektüre in Schulen unter demokratischen Vorzeichen wünschenswert.

„Den Künftigen eine Botschaft senden“

Fucik selbst changierte in seinem Text zwischen Todesgewissheit und der Hoffnung, dass der Krieg bald zu Ende sein würde und er doch noch eine kleine Chance habe, gerettet zu werden. Vom Text erhoffte er sich jedenfalls eine Nachwirkung über seinen Tod hinaus. Über den Moment, als er vom Wärter Kolinsky das erste Mal Papier und Bleistift erhalten hatte, schreibt Fucik:

„Es war zu schön - ich konnte es gar nicht glauben. Zu schön, hier, im dunklen Hause, einige Wochen nach meiner Verhaftung, in der Uniform derer, die für dich nur Geschrei und Schläge hatten - einen Menschen zu finden, einen Freund, der dir die Hand reicht, damit du nicht spurlos vergehst, daß du den Künftigen Botschaft senden kannst, daß du wenigstens für einen Augenblick mit denen sprechen kannst, die überleben und die es erleben.“

Fuciks Abschied

Als der Tag vor dem Abtransport nach Berlin gekommen war, wusste Fucik bereits, dass er unentrinnbar dem Tod entgegenging. Die letzten Zeilen seiner Aufzeichnungen lauten: „Das Ende habe ich nicht mehr beschrieben. Das kenne ich noch nicht. Das ist kein Spiel mehr. Das ist das Leben. Und im Leben gibt es keine Zuschauer. Der Vorhang senkt sich. Menschen, ich hatte euch lieb. Seid wach!“ Auf dem Weg zum Galgen soll er laut Zeugen gemeinsam mit Mitgefangenen die Internationale gesungen haben.

Simon Hadler, ORF.at

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