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Zögern und Zaudern

Während der blutige Machtkampf in Ägypten seit Wochen fast täglich Dutzende Opfer fordert, steht dem die internationale Politik praktisch machtlos gegenüber. Lediglich Appelle sind zu hören, diplomatische Initiativen oder Vorschläge zur Lösung des Konflikts gibt es aber nicht. Vor allem in den USA wächst nun der Druck auf die Regierung von Präsident Barack Obama.

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Außenminister John Kerry hatte vergangene Woche die Eskalation der Gewalt in dem nordafrikanischen Land als „beklagenswert“ kommentiert. Konsequenzen kündigte Amerikas Chefdiplomat nicht an. Bis zuletzt hoffte er, dass die ägyptische Regierung die „Demokratie wiederherstellen“ würde.

Keine Militärhilfe bei „Putsch“

Einen Tag darauf äußerte sich auch Obama erstmals, sprach von einer komplexen Situation und sagte ein gemeinsames Militärmanöver ab. Der Rest waren recht vage Ankündigungen: „Unsere traditionelle Zusammenarbeit kann nicht wie gewohnt weitergehen, wenn Zivilisten auf den Straßen getötet werden und ihre Rechte zurückgenommen werden“, sagte in einer Videobotschaft.

Die USA weigern sich seit dem Umsturz Anfang Juli von einem „Putsch" zu sprechen, denn das würde nach geltendem Recht die milliardenschweren Hilfszahlungen an das Land sofort stoppen. Das erklärt auch, wieso Kerry in einer ersten Reaktion nach der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi davon sprach, dass das Militär die Demokratie „wiederhergestellt“ hätte. Dass er sich danach um eine Klarstellung bemühte und meinte, beteiligte Parteien seien dafür verantwortlich, gemeinsam auf eine friedliche Lösung hinzuarbeiten“, unterstreicht das Dilemma der USA.

Schwierige Konstellation

Auf Dauer wäre die Herrschaft von Mursi und den Muslimbrüdern aus US-Perspektive zumindest ein Risikofaktor für die Region gewesen – mit den Terroranschlägen von Islamisten auf der Sinai als warnenden Vorboten. Dabei gehen die Einschätzungen aber auseinander: Werden die Muslimbrüder niedergeschlagen und in die Illegalität getrieben, könnte die Wahrscheinlichkeit einer Radikalisierung sehr viel höher sein, als wenn sie ins politische System eingebunden sind, meinen manche Experten.

Umgekehrt können die USA die Absetzung eines demokratisch gewählten Präsidenten durch das Militär schlecht in den Himmel loben, ohne ihr eigenes Ziel einer Demokratisierung der arabischen Welt als reines Lippenbekenntnis erscheinen zu lassen.

US-Opposition drängt auf Entscheidungen

Seit Wochen beteuert das Weiße Haus, die Finanzhilfe „zu überprüfen“. 1,3 Milliarden Dollar fließen jährlich an die ägyptische Armee. Und vor allem Republikaner drängen nun, diese einzustellen. „Kolossales Versagen“ wirft der republikanische Senator John McCain der Obama-Regierung vor. „Wir tragen viel Mitschuld an dem Blutvergießen“, meint der ehemalige Präsidentschaftskandidat.

Die Militärhilfe müsse eingedampft, andere Strafmaßnahmen müssten erörtert werden. So schlug McCain vor, die Darlehen des Internationalen Währungsfonds (IWF) einzufrieren. „Wir haben Einfluss“, sagte McCain dem Fernsehsender CNN. „Aber wenn wir diesen Einfluss nicht nutzen, geht er verloren.“

Neben McCain erklärte auch die republikanische Senatorin Kelly Ayotte gegenüber NBC, ihre Meinung geändert zu haben und plädierte für eine Aussetzung der Hilfe: „Angesichts des aktuellen gewaltsamen Vorgehens kann ich nicht erkennen, wie wir die Hilfe fortsetzen können.“

Hagel verteidigt Festhalten an Militärhilfe

US-Verteidigungsminister Chuck Hagel bekräftigte am Montag, dass Washington vorerst an der Militärhilfe für Ägypten in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar jährlich festhalten wolle. Als Grund nannte Hagel „wichtige Interessen“ in der Region. Gleichzeitig gestand aber auch Hagel ein, dass den USA in Ägypten weitgehend die Hände gebunden seien. „Unsere Fähigkeit, das Ergebnis in Ägypten zu beeinflussen, ist begrenzt“, so Hagel, der die Übergangsregierung in Kairo aufrief, alle politischen Strömungen des Landes einzubinden und auf eine „Versöhnung“ hinzuarbeiten.

Versicherung für Friedensvertrag mit Israel

Ägypten hat zwischen 1948 und 2011 nach Angaben des Kongresses in Washington Unterstützung aus den USA in Höhe von insgesamt 71,6 Milliarden Dollar erhalten. Seit seinem Friedensvertrag mit Israel von 1979 ist das nordafrikanische Land der zweitgrößte Empfänger bilateraler US-Auslandshilfe. Und tatsächlich gelten die Zahlungen als eine Art Versicherung, dass Ägypten den Friedensvertrag nicht aufkündigt. So ist auch Israel bemüht, dass das US-Geld weiter fließt.

Manche Experten argumentieren allerdings, dass Ägypten das ohnehin nicht machen würde – zumindest nicht in absehbarer Zeit. So hatte sogar Mursi kurz nach Amtseinführung versichert, dass es an dem Vertrag nichts zu rütteln gebe. Einige wenige Stimmen meinen daran anschließend, dass sich die USA zu Recht nicht einmischen würden. Denn die Zeit, in der Ägypten wichtig war, sei vorbei, heißt es in einem „Time“-Kommentar: In den 60er und 70er Jahren sei Kairo das soziale und wirtschaftliche Zentrum der arabischen Welt gewesen. Mittlerweile sei aber in Ägypten nichts mehr zu retten, die USA sollten sich auf Länder konzentrieren, wo eine Einmischung noch Sinn ergebe.

Wirtschaftlicher Bumerang?

Doch auch für die USA selbst könnte der Stopp der Gelder zum Bumerang werden: Ein Großteil der 1,3 Milliarden Dollar fließt Experten zufolge über Aufträge an US-Rüstungskonzerne wie Lockheed Martin und General Dynamics wieder in die Vereinigten Staaten zurück. US-Firmen liefern aber auch Ersatzteile und sind für Wartungen zuständig. Etwa 500 Zulieferer könnte ein Stopp der Militärhilfe zusetzen, sagt ein Branchenvertreter. Vor allem kleinere und mittelständische Betriebe würden leiden, da diese von den Aufträgen abhängiger seien als die großen Unternehmen.

Verunsicherte US-Außenpolitik

Geostrategisch steht aber freilich mehr auf dem Spiel: Die freie Durchfahrt durch den Sueskanal ist nicht nur für das Ölgeschäft von großer Bedeutung: Auch für US-Kriegsschiffe ist die Route essentiell. Dazu kommen mehrere strategisch wichtige Versorgungsbasen für die US-Armee in Ägypten.

Streicht man die Militärhilfe, hätte man vielleicht gar keinen Einfluss mehr auf das ägyptische Militär, meint etwa David Rothkopf vom Think-Tank Carnegie-Stiftung in einer Analyse für CNN. Er erklärt das Zögern der USA auch durch die Ereignisse der vergangenen Jahre: Die gescheiterten Missionen im Irak und in Afghanistan hätten zu einer außenpolitischen Verunsicherung geführt, mit den wirtschaftlichen Problemen im Inland sei man – siehe auch Syrien – derzeit mehr als zurückhaltend. Rothkopf plädiert für eine Verstärkung der diplomatischen Bemühungen - gemeinsam mit den Verbündeten.

„Riesige Peinlichkeit“ für die USA

Ägypten sei ein Symbol für den gesunkenen Einfluss der USA, heißt es in einem Kommentar der „New York Times“. Dass es genau in Kairo war, wo Präsident Obama 2009 seine „Rede an die islamische Welt“ hielt und ein neues Miteinander von Islam und USA versprach, mache die Sache noch viel schlimmer.

Amerika könne nicht über die Zukunft Ägyptens entscheiden, sagte Obama vergangene Woche. „Das ist eine Aufgabe für das ägyptische Volk.“ Man werde daher für niemanden Partei ergreifen. Obama versuchte damit Kerrys Lob für das Militär zu relativieren. Einige Kommentatoren lasen das Statement anders: Die USA wollen warten, während sich die Ägypter gegenseitig die Köpfe einschlagen - und mit dem Sieger werde man dann weiterreden. Das sei nicht nur zynisch, sondern eine riesige Peinlichkeit für die USA und ihr internationales Ansehen.

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