Lahmer Beginn, versöhnliches Ende
Wenn Superstars auf Tour gehen, neigen sie oft zum Größenwahn. Riesige Bühne, irgend ein konstruiertes Thema oder mehrere, Pyrotechnik, Dutzende Tänzer, Lasershow, alles blinkt. Rihanna, die derzeit wohl erfolgreichste Frau im Musikbusiness, versuchte bei ihrer „Diamonds“-Tour das Gegenteil: Vergleichsweise wenig Zirkus, die Musik soll im Mittelpunkt stehen. Am Dienstag bewies sie in der Wiener Stadthalle, dass die Idee prinzipiell nicht schlecht wäre.
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Allerdings nur dann, wenn man als Star den Raum auch füllen kann. Und das gelang der 25-Jährigen nur bedingt, und erst gegen Ende der rund 100-minütigen Show. Dazwischen ging es irgendwie semiambitioniert zur Sache. Dementsprechend war in der ausverkauften Stadthalle zunächst der einzige Bewegungsdrang des Publikums, sich bei Saunatemperaturen Luft zuzuwacheln.
Macht man das als „Popgöre“?
So blieben Teil eins und zwei der fünfteiligen und durch Kostümwechsel und deplatzierte Gitarrensoli unterbrochenen Show musikalisch ein wenig lahm. Midtempo-R&B und Dancepop mit live noch viel stärkerer Dancehall-Schlagseite, wohl ihrer Heimat Barbados geschuldet. Und das schlug sich nicht nur im Ton, sondern auch im Tanzstil nieder. Mit dem Hintern zu wackeln gilt quasi als traditionelles Kulturgut, von Rihanna allerdings durch einen permanenten Griff in den Schritt verfeinert. Nur, warum tut sie das?

ORF.at/Dominique Hammer
Rihanna bei einer typischen Handbewegung
Da gilt es zunächst einmal das Image der Popgöre aufrechtzuerhalten. Spaß haben. Sich nichts vorschreiben zu lassen. Spaß haben. Ach das hatten wir schon. Ob ein mechanisches Hervorstreichen der Körpermitte das wirklich gut symbolisiert? Bei der Tour jedenfalls so in den Mittelpunkt gerückt, veranlasste den britischen „Independent“ zu dem Scherz, Rihanna könnte durchaus einem klassischen Bandschicksal anheimfallen: Ihre „lady-parts“ würden wohl am Ende der Tour den Start einer Solokarriere verkünden.
Rihanna und die Vorbildfrage
Man könnte das freilich auch total positiv sehen: ein unverkrampftes Verhältnis zur Sexualität unter besonderer Berücksichtigung der Autoerotik, weibliche Selbstermächtigung als feministischer Akt. Nur spielt da Rihannas Biografie für die Verleihung der „Club 2“-Nina-Hagen-Gedächtnismedaille nicht ganz mit.
2009 wurde sie von ihrem damaligen Freund, dem Sänger Chris Brown, grün und blau geprügelt. Heuer nahm sie, wenn auch nur kurzzeitig, die Beziehung wieder auf, statt ihn endgültig in die Wüste zu schicken. Immerhin meint sie selbst, sie wolle kein Vorbild für ihre Fans sein, weil sie selbst mit sich genug beschäftigt ist.
Die Steigerung von „Sex sells“
Dann gibt es noch die „Sex sells“-Erklärung, die freilich einiges für sich hat. Seit dem dritten Album „Good Girl Gone Bad“ lässt Rihanna in ihren Videos in Sachen Explizitheit kaum mehr etwas aus. Denkt man dazu, dass gerade im Hip-Hop- und R&B-Bereich Musikvideos ohnehin seit Jahren primär aus der Zurschaustellung der sekundären Geschlechtsorgane bestehen, war klar, dass irgendwann auch die primären herhalten müssen. Aber dafür war dann auf der Bühne eigentlich ohnehin alles, unter uns gesagt, ziemlich harmlos.

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Stiefelvariante eins, Variante zwei in Weiß sollte noch folgen
Andererseits: Dem klassischen Trick, mit Übersexualisierung vor allem Männer anzusprechen, gehorcht das Ganze irgendwie auch nicht so ganz. Bei den Fans sind, wie das Konzert offenbarte, Frauen deutlich in der Überzahl. Bleibt als letzte Erklärung für das ständige Rumfummeln - auch angesichts der recht knappen Kostümwahl - die bayerische Volksweisheit aus dem gleichnamigen Genrefilmklassiker von 1974: Beim Jodeln juckt die Lederhose.
Wo kommt die Stimme her?
Es gab also viel zum Nachdenken. Auch über die Tatsache, dass man Rihanna zeitweise singen hörte, aber nicht singen sah. Woher kam die mysteriöse Stimme? Einen Gutteil der Arbeit durften die beiden Backgroundsängerinnen erledigen, die wie der Rest der Band so weit solide werkten. Der Rest der angeblichen Rihanna-Stimme kam entweder vom Band oder von einer irgendwo versteckten „Guide Vocalist“, die sang, was Rihanna singen sollte. Die wiederum machte kaum große Anstalten, das zu verbergen. Stellenweise wirkte das dann ein bisschen so, wie man es vom Mitsingen zu Liedern aus dem Autoradio kennt, wenn man den Text des Refrains, aber nicht der Strophe parat hat.
Rekorde, Rekorde
Trotzdem: Rihannas Karriere ist einigermaßen erstaunlich: Mit dem Song „Pon de Replay“ gelang ihr 2005 der Durchbruch, schon ihre dritte Single „SOS“ schaffte es zur Nummer eins - allerdings mit grober Unsportlichkeit: Mit dem Sample aus „Tainted Love“ bringt man es auch in die Charts, wenn der Rest aus reinen Sinustönen besteht.
Elf weitere Nummer-eins-Hits in den US-Charts folgten, davon zwei als Gastsängerin anderer Künstler, das ist mehr als Lady Gaga und Beyonce zusammen. Überhaupt brach sie in den Billboardcharts jede Menge Rekorde.
Ein immer wiederkehrendes One-Hit-Wonder
Der Erfolg ist die Frucht harter Arbeit, denn als Ausnahmetalent kann man Rihanna nicht sehen, schon gar nicht stimmlich. Doch nicht ihre dünne Stimme - die haben etliche Superstars -, sondern ihre eher dünne Persönlichkeit mache den Erfolgslauf verwunderlich, schrieb der US-Musikjournalist Jonah Weiner. Stars wie Mariah Carey, Beyonce und Lady Gaga würden sich auch wie Stars anfühlen, Rihanna hingegen wie ein immer wiederkehrendes One-Hit-Wonder, schrieb er auf Slate.
Die Menge macht’s: Praktisch jährlich bringt sie ein neues Album heraus. Und dabei wird nichts dem Zufall überlassen, die Creme de la Creme von Songschreibern und Produzenten angekarrt. Für das Album „Loud“ von 2010 wurden Dutzende von ihnen quasi einkaserniert, aus den 200 geschriebenen Songs wurden schließlich elf ausgewählt.
Auch die Entstehung von ihrem wahrscheinlich zwingendsten Hit illustriert, wie die Musikindustrie heute funktioniert. „Umbrella“ wurde gleich von drei Songschreibern konzipiert - und zwar eigentlich für Britney Spears. Deren Plattenfirma lehnte ab, dann sollte der Song an Mary J. Blige gehen, ehe sich Rihannas Management das Lied unter den Nagel riss. Duettpartner Jay-Z durfte den Song dann auch noch leicht verändern.
Heruntergespulte Hits
„Umbrella“ sollte dann auch den Umschwung in der Show bringen. Rihanna hatte sich mittlerweile in ein undefinierbares, aber zumindest sehr buntes Latexkostüm gezwängt, als erstmals Stimmung aufkam - und das, obwohl sie bei dem Superhit mit einer heruntergenudelten Stadionrockvariante das Potenzial bei weitem nicht ausschöpfte.

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Einheizen musste Rihanna dem Publikum nicht, es war warm genug
Zog sich der Beginn des Konzerts noch, so ging es mittlerweile flott dahin, fast zu flott: Bei etlichen Hits musste sich nun das Publikum mit medleyartigen Kurzversionen begnügen.
In Teil vier der Show gab Rihanna in roter Abendrobe die R&B-Diva. Zum ersten Mal war eine Interaktion mit dem Publikum zu spüren. Viel zu oft hatte sie das zuvor mit der üblichen „Vienna“-Anrufung probiert, die eh laut bejubelt wurden, aber nur routinierte Pose blieben.
Endlich Leben auf der Bühne
Schließlich folgten die Discostampfer, und das klappte erstaunlich gut. Denn trotz musikalischer Flachheit schoben die Nummern live ganz ordentlich an. Sogar „We Found Love“, der vielleicht ereignisloseste Nummer-eins-Song der jüngeren Vergangenheit - und da gibt es harte Konkurrenz - ließ vergessen, dass man dabei immer auf irgendeine Pointe wartet, die dann doch nicht kommt.
Auf der kargen Bühne, bei der Versenkungen (Schlagzeug verschwindet, Schlagzeug kommt wieder hoch), ein paar Videowalls und einmal ein bisschen Feuer für Superstarsverhältnisse vergleichsweise subtilen Charme versprühten, kam endlich wirklich Leben auf. Das Publikum bedankte sich artig euphorisch und wurde umgehend mit einem Besuch Rihannas in der ersten Reihe bedacht – inklusive Autogrammeschreiben während laufender Nummer. Egal, irgendwas singt ohnehin.
„Diamonds“, einer der wenigen wirklich guten Pophits Rihannas, und „Stay“, die offenbar obligate Herz-Schmerz-Ballade, sollten im Zugabenblock noch folgen, dann war es geschafft. Mal sehen, wie lange Rihanna in der Popwelt noch den Ton angibt.
Christian Körber, ORF.at
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