EU setzt erste Maßnahmen
Die EU hat den zuständigen US-Botschafter William Kennard wegen der vermuteten Ausspähung von Verbündeten einbestellt. Kennard solle darüber mit dem EU-Spitzendiplomaten Pierre Vimont sprechen, teilte die EU am Montag mit. Außerdem habe die Außenbeauftragte Catherine Ashton mit US-Außenminister John Kerry das Thema angesprochen. Kerry bestätigte das Gespräch, nannte aber keine Einzelheiten.
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Die EU fordert Aufklärung über Medienberichte, denen zufolge unter anderem die Europäische Vertretung in Washington mit Abhörgeräten verwanzt wurde. Der „Spiegel“ hatte unter Berufung auf Unterlagen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden berichtet, die USA hätten Einrichtungen der EU in Brüssel, Washington und New York gezielt ausgespäht.
Der Geheimdienst NSA habe Gebäude verwanzt und sei in Computernetzwerke eingedrungen. Dadurch habe er Besprechungen belauschen und E-Mails sowie vertrauliche Dokumente lesen können. Laut „Guardian“ spähte der NSA auch die diplomatischen Vertretungen Frankreichs, Italiens und Griechenlands in Washington und bei den Vereinten Nationen aus.
Sicherheitsüberprüfung in allen EU-Büros weltweit
Die Europäische Kommission veranlasste nun eine Sicherheitsüberprüfung in allen EU-Büros weltweit. Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso habe eine „umfassende sofortige Sicherheitsüberprüfung“ angeordnet, sagte Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde Hansen am Montag in Brüssel. Die Berichte über Lauschangriffe auf die EU-Büros in Washington und New York seien „verstörend“ und verlangten „volle Aufklärung“.
„Klarheit und Transparenz ist es, was wir von unseren Partnern und Verbündeten erwarten, und das ist es, was wir von den USA erwarten“, fügte die Sprecherin hinzu. Kommissionssprecher Michael Mann stellte heraus, dass die Enthüllungen auf das Jahr 2010 zurückgingen und die EU-Vertretungen in Washington und New York seitdem umgezogen seien. Mittlerweile sei „ein vollkommen neues Sicherheitssystem“ in ihren Räumlichkeiten installiert worden.
Obama verspricht Zusammenarbeit
Die USA würden den Europäern alle gewünschten Informationen zur Verfügung stellen, sagte US-Präsident Barack Obama am Montag auf seiner Afrikareise in Tansania. Der „Spiegel“-Bericht über mutmaßliche US-Spionage in Europa werde geprüft. Alle Geheimdienste der Welt - auch jene der EU - sammelten Informationen jenseits von Medienberichten, fügte der US-Präsident hinzu. Auch Kerry hatte zuvor das Sammeln von Informationen in anderen Ländern als „nichts Ungewöhnliches“ bezeichnet.
„Jedes Land, das sich international mit Fragen der nationalen Sicherheit befasst, unternimmt jede Menge Aktivitäten, um seine nationale Sicherheit zu schützen, und dazu gehört das Sammeln von allen möglichen Informationen“, sagte Kerry.
Keine offizielle Stellungnahme geplant
Aus Washington werde es jedoch keine offizielle Stellungnahme geben, erklärte das Büro von US-Geheimdienstkoordinator James Clapper. „Die Regierung der Vereinigten Staaten wird der Europäischen Union angemessen über unsere diplomatischen Kanäle antworten.“ Das Thema werde außerdem bei einem vor einigen Wochen angekündigten transatlantischen Expertendialog über die Arbeit der Geheimdienste zur Sprache kommen. „Wir werden diese Fragen auch bilateral mit EU-Mitgliedsstaaten diskutieren“, hieß es weiter.
EU-Kreise: Politischer Schaden
Bei der EU ist derweil von einem „Vertrauensbruch“ Washingtons die Rede. „Wenn es wahr ist, dass die Amerikaner ihre Verbündeten ausgespäht haben, wird es einen politischen Schaden geben“, hieß es am Montag aus EU-Kreisen in Brüssel. Die in Medienberichten beschriebenen Spähangriffe gingen „weit über die Anforderungen für die nationale Sicherheit hinaus“, sagte der Diplomat. Die mutmaßlichen Aktionen des US-Geheimdienstes NSA könnten eine „ernste politische Krise“ auslösen.
Auch ob es Auswirkungen auf ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA haben könnte, wurde damit beantwortet, dass es jetzt vorerst um Aufklärung gehe. EU-Justizkommissarin Viviane Reding hatte am Sonntag den Start der Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen in Frage gestellt. Die USA müssten die Zweifel „sehr schnell ausräumen“, sagte sie. Die Grünen im EU-Parlament verlangten, den Bankdatenaustausch mit den USA zu stoppen.
Frankreich: Äußerst besorgniserregend
Die französische Regierung hat sich besorgt über Medienberichte über die Ausspähung gezeigt. „Wir haben von den USA Erklärungen gefordert“, sagte Regierungssprecherin Najat Vallaud-Belkacem am Montag. „Wenn sich herausstellt, dass die Dinge sich tatsächlich so abspielen, dann wäre das äußerst besorgniserregend.“ Die Sprecherin betonte aber, bisher lägen nur Medienberichte vor: „Wir warten auf die Angaben der US-Behörden.“
„Wir können ein solches Verhalten unter Partnern und Verbündeten nicht akzeptieren“, sagte der französische Präsident Francois Hollande am Montag im nordwestfranzösischen Lorient. „Wir verlangen, dass das sofort aufhört.“ Es lägen bereits ausreichend Hinweise über die Geheimdiensttätigkeiten vor, um von den USA „Erklärungen“ einzufordern.
Die französische Staatsministerin Fleur Pellerin hält die US-Spionageangriffe hingegen für wenig spektakulär. „Auch wenn das vonseiten einer befreundeten Macht nicht wirklich ein freundschaftlicher Akt ist - das ist nichts Neues“, sagte die für digitale Medien zuständige Regierungspolitikerin am Montag dem Sender BFM TV. Als „äußerst schockierend“ bezeichnete sie hingegen die Berichte über mutmaßlich breite Abhöraktionen gegen die Bevölkerung.
Napolitano: Heikle Angelegenheit
Der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano hat ebenfalls Antworten von den USA gefordert. „Das ist eine heikle Angelegenheit, die zufriedenstellende Antworten braucht“, sagte Napolitano der Nachrichtenagentur ANSA zufolge am Montag in Zagreb.
Die Berichte, wonach auch die italienischen Botschaften in New York und Washington abgehört wurden, wollte er nicht bestätigen. Als „wirkliche Katastrophe“ bezeichnete Fabrizio Cicchitto, Vorsitzender des Außenausschusses im italienischen Abgeordnetenhaus, den Skandal. „Eine Situation, die zugleich tragisch und grotesk ist“, sagte er.
Deutschland: Abhören von Freunden „inakzeptabel“
Die deutsche Regierung reagierte mit Befremden auf die mutmaßliche Ausspähaktionen. Sie verlangt von Washington rasche Klarheit. „Wenn sich bestätigt, dass tatsächlich diplomatische Vertretungen der Europäischen Union und einzelner europäischer Länder ausgespäht worden sind, dann müssen wir ganz klar sagen: Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. „Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg.“
Seibert sagte, notwendig seien nun vollständige Aufklärung „und gegebenenfalls eine einstimmige und auch eine sehr deutliche europäische Reaktion“. Die deutsche Regierung spreche über das Thema mit der französischen Regierung. „Europa und die USA sind Partner, sind Freunde, sind Verbündete. Also muss Vertrauen die Basis unserer Zusammenarbeit sein. Und Vertrauen muss in dieser Angelegenheit wiederhergestellt werden“, sagte der Regierungssprecher.
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