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Furcht vor Zwischenfällen vor der Wahl

Die Entscheidung ist überraschend schnell gefallen: Am Donnerstagvormittag lieferten Rebellen der syrischen Armee heftige Kämpfe auf den Golanhöhen, nur wenige Stunden später verkündete die Regierungsspitze den Abzug der österreichischen Blauhelme. Die Opposition begrüßte die Entscheidung - und auch das Gros der heimischen Kommentatoren. Sie machen allerdings andere Motive als die offiziellen aus.

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Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) hätten angesichts des beginnenden Wahlkampfs die Notbremse gezogen, heißt es fast unisono. „Kein Zweifel: Der Abzug der österreichischen Soldaten vom Golan, den die Bundesregierung am Donnerstag beschloss, ist dem Wahlkampf geschuldet“, schrieben die „Salzburger Nachrichten“.

„Bilder von verletzten, gar getöteten jungen Landsleuten, eine darob tobende Opposition, ein außer Rand und Band geratender Zeitungsboulevard - das hätte den im Herbst um ihre Wiederwahl ringenden Regierungsparteien gerade noch gefehlt“, heißt es weiter.

„Auf richtigen Zeitpunkt gewartet“

„Dass im Herbst gewählt wird, hat die Koalition nicht lange zaudern lassen und die Entscheidung beschleunigt“, schreibt die „Kleine Zeitung“. Ob sich mit den Scharmützeln „die Gefährdungslage für die Blauhelme dramatisch verschärft hat, darf bezweifelt werden“, meint die Zeitung: „Gewartet hat man nur noch auf den richtigen Zeitpunkt.“ Immerhin habe die Koalition gemeinsam gehandelt: „Es war keineswegs auszuschließen, dass eine der beiden Parteien im Vorfeld der Wahl die gefährliche Lage innenpolitisch ausschlachtet, im Alleingang den Abzug verkündet“, so die „Kleine Zeitung“.

Entscheidung „unvermeidlich“

Den wochenlangen Druck der Opposition führt die „Tiroler Tageszeitung“ ins Treffen: Diese hätte „einen Zwischen- oder gar Todesfall im Wahlkampf ausgeschlachtet“. Die Regierung habe „ein großes Risiko für den Nationalratswahlkampf eliminiert“, schreibt der „Standard“. Von „zu vielen Unwägbarkeiten“ schreiben die „Oberösterreichischen Nachrichten“.

Die Entscheidung sei so und so „unvermeidlich“ gewesen, konstatiert der „Kurier“: Der anlaufende heimische Wahlkampf habe sie „vielleicht erleichtert“. Die Österreicher hätten „so lange wie möglich ausgehalten“, der Abzug sei eine „logische Folge“ der Ereignisse und „richtig“. Auch die „Salzburger Nachrichten“ schreiben von einer „richtigen Entscheidung“: „Die Blauhelme waren nicht zum Kriegführen auf den Golan gezogen, sondern zu einer Friedensmission.“

Außenpolitik der „Innenpolitik untergeordnet“

Gleichzeitig heißt es dort aber, die heimische Außenpolitik habe sich einmal mehr „der Innenpolitik und ihren kurzatmigen Notwendigkeiten untergeordnet“. Es sei „kein Wunder“, dass der Politik die „nationale Perspektive näher ist als der Blick auf das größere Ganze“, heißt es ganz ähnlich in der „Wiener Zeitung“.

International verliere man Reputation: „Die Bundesregierung nimmt dafür in Kauf, neben dem Lob im eigenen Land auch offenen oder versteckten Tadel auf internationaler Ebene zu ernten“, schreiben die „Oberösterreichischen Nachrichten“. Und die „Tiroler Tagezeitung“ meint, dass sich Österreich den „Ruf der Verlässlichkeit“ erst „wieder erarbeiten“ müsse.

Österreich soll „Flagge zeigen“

Die „Wiener Zeitung“ hofft, „dass die Regierung sich ihrer internationalen Verantwortung nicht gänzlich entledigt“, und schlägt einen vorübergehenden Abzug nach Israel vor mit einer „Lizenz zur Rückkehr“. Auch der „Standard“ fordert mehr außenpolitisches Engagement ein. Österreich müsse „weiter auf eine Friedenslösung drängen und so wie zuletzt bei der Debatte um das Waffenembargo der Europäischen Union Flagge zeigen. Tun sie das nicht, dann müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie im Gegensatz zu den Militärs weiter auf Sonnenschein-Mission sind.“

Scharfe Kritik der „Presse“

Am schärfsten geht die „Presse“ mit der Entscheidung ins Gericht: „Im Wettlauf zum Notausgang“ habe Österreich nun sogar die Philippinen überholt. Das Ansehen der UNO und Österreichs sei „ramponiert“: „Es ist kein Verlass auf sie, wenn es brenzlig wird.“ Und die Zeitung erinnert auch daran, dass sich der neue Generalstabschef des Bundesheers, Othmar Commenda, vergangenen Woche klar gegen einen Abzug ausgesprochen hatte: „Wir werden jetzt nicht davonrennen“, sagte er. Die Soldaten seien genauso oder vielleicht sogar weniger gefährdet als vor einem halben Jahr.

„Hochwasser statt Krieg“

Diese Ansicht erneuerte nun der Militärexperte und frühere Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik im Verteidigungsministerium, Erich Reiter. Der Abzug sei „bedauerlich“ und „nicht nachvollziehbar“. „Österreich verzichtet damit auf den einzigen maßgeblichen Beitrag, den es zur Mitwirkung am Weltfrieden leistet“, kritisierte Reiter im Gespräch mit der APA.

„Das zeigt, wie hohl die österreichische Sicherheitspolitik ist - sobald es gefährlich wird, ziehen wir ab“, konstatierte Reiter harsch. Aus militärisch-strategischer Sicht sei der Schritt „nicht notwendig“ gewesen. „Die Aufgabe von Soldaten ist immer gefährlich.“ Hierzulande seien Soldaten aber „nicht dazu da, im Krieg zu sein, sondern um nach dem Hochwasser den Schlamm wegzuräumen“.

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