Heikles Thema als politisches Kleingeld
Seit der Lehman-Pleite 2008 befindet sich Europa im Krisenmodus. Krisenberichterstattung beherrscht die Schlagzeilen, die EU tüftelt an Rezepten zur Vermeidung von Länder- und Bankenpleiten, Rekordarbeitslosigkeit und Euro-Skepsis - der Erfolg hält sich bisher in Grenzen. Die Stimmung ist entsprechend getrübt und die Menschen verunsichert.
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Es seien weniger die großen Finanzmärkte und die Stabilität des Euro, um die sich der Österreicher Sorgen macht, sondern „die kleinen Wirtschaftsthemen des Alltags“, sagt der Politologe Peter Filzmaier im ORF.at-Interview. Die Dauerkrise ist damit in Österreich in indirekter Form Dauergast in der Bevölkerung. Die Ängste drehen sich um Teuerung, Arbeitsplätze und Spritpreise. Gerade vor der Nationalratswahl im Herbst werden sie verstärkt zum Thema.
Schon bei den Landtagswahlen in diesem Jahr habe sich gezeigt, dass in Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise die Themen eine Rolle spielen, die für die Menschen direkt greifbar sind. Die Parteien seien gut beraten, sich im Wahlkampf auf diese Aspekte im Alltag zu konzentrieren, so Filzmaier. Denn eine Vorreiterrolle bei der Bekämpfung der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise traue die Bevölkerung ohnehin „keiner Partei egal welcher Farbe“ zu.
Die Krise und der rhetorische „Außenfeind“
Aus der Sicht Filzmaiers versuchten die Parteien aus der Thematik politisches Kleingeld zu schlagen. „Das Thema bietet den Parteien die Chance, einen Außenfeind zu konstruieren und diesen für alles verantwortlich zu machen“, etwa für die hohen Wohnpreise. Der erhoffte psychologische Effekt: das Zusammenschweißen im Inneren. „Das machen eigentlich alle, nur die Facetten sind unterschiedlich“, urteilt Filzmaier. FPÖ, BZÖ und Team Stronach (TS) hätten die Parole „Raus aus dem Euro“, bei den Regierungsparteien und den Grünen hingegen stehe das Motto „Wir kämpfen in Brüssel für österreichische Anliegen“ im Vordergrund. Filzmaier kritisiert die „nicht gerade sachliche“, „sehr oberflächliche“ Argumentation.
Die Wähler seien durch die Agitation der Parteien eindeutig verunsichert. Das sei daran zu sehen, dass immer mehr von den beiden großen Parteien abwanderten und sich Alternativen zuwendeten, weniger, weil sie überzeugt sind, dass beispielsweise das TS bessere Lösungen parathabe - „die Menschen glauben nicht, dass etwa die Rückkehr zum Schilling wirklich eine Lösung ist“, so Filzmaier. Sie täten das schlicht aus Protest und Enttäuschung über die regierenden Eliten.
Ratlosigkeit der Politik schürt Ängste
Dass Politiker nach Jahren der Krisenstimmung noch immer kein „Rezept“ gegen die Krise entwickelt haben, habe in der Bevölkerung tiefe Ängste geschürt, glaubt Filzmaier. Diese seien je nach Alter und beruflicher Situation sehr unterschiedlich. So mache sich die ältere Generation vorwiegend Sorgen um die Geldabwertung. Bei den Jüngeren und jenen im mittleren Alter stehe die Angst um den Arbeitsplatz im Vordergrund. Dabei gehe es weniger um entscheidend existenzielle Ängste, so Filzmaier, sondern eher um die Frage, was man sich in Zukunft noch leisten wird können und wo man sich einschränken muss.
Schulmeister: Zäher Prozess verfälscht Eindruck
Auch für den Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister lässt sich nicht „die große Krisenbaustelle“ ausmachen. Die Symptome träten vor allem bei den Schwächsten auf und zeigten sich in Armut, sozialer Ausgrenzung, einer Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse und zunehmender Hindernisse für Jugendliche auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit. Gegenüber ORF.at sagt Schulmeister, dass das sehr langsame Tempo der Entwicklung dazu führe, dass bei vielen Menschen der Eindruck entstehe, die Krise sei ein Sachzwang, und man könne ohnehin nichts dagegen tun.
Aus seiner Sicht ist das, was Österreich zurzeit erlebt, erst der Anfang. Die Krise komme erst nach und nach in den „Eliteländern“ Europas an. Das Grundgefühl, dass da „irgendwas schiefläuft“, breite sich aber nun auch in Österreich und Deutschland immer mehr aus, und die Auswirkungen würden langsam in den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft offenkundig. Anders als etwa in der Krise in den 30er Jahren, wo es einen ganz dramatischen Einbruch gab, würden die politischen Eliten durch die schleichende Vertiefung der Krise auch weniger bzw. langsamer daraus lernen.
Filzmaier: Unhaltbare Versprechen
Für Filzmaier ist klar, dass Österreichs Politiker nicht für die internationale Finanzmisere verantwortlich gemacht werden können. Allerdings sollten sie auch nicht so tun, als könnten sie diese im Alleingang lösen. Sie sollten auch nicht den Menschen weiterhin Sicherheiten versprechen, die in dieser Form nicht mehr realistisch sind. Parteien und Politiker hätten, so Filzmaier, lange vermittelt, ihren Wählern Jobs und Wohnungen bieten zu können. Das sei in einer weniger internationalen Welt einfacher umzusetzen gewesen. Heute sei das nicht mehr finanzierbar – das sei zwar nicht die Schuld der heimischen Politik, diese dürfe aber auch nicht weiter so tun, als sei das noch immer möglich.
Schlagwortpolitik mit „Halbwissen“
Die Verunsicherung der Bevölkerung würde auch durch jahrzehntelange Versäumnisse in der volkswirtschaftlichen Bildung verstärkt. Es wäre Aufgabe der Politik, hochkomplexe Zusammenhänge zu erklären, in den Schulen finde jedoch zu wenig Bildung in diesem Bereich statt - die Menschen seien überfordert mit den Fachbegriffen und mit der schieren Informationsflut.
Allerdings, so Filzmaier, sei es wohl auch mit dem Wissen der Politiker nicht immer bestens bestellt. „Da trifft bestenfalls Halbwissen aufeinander.“ Den Wählern würden Schlagworte hingeworfen wie „Zurück zum Schilling“ und „Niedrigzinspolitik“ – aber wie das funktionieren soll oder was das tatsächlich bedeutet, werde nicht erklärt.
Ebenfalls sehr beliebt und gleichzeitig wenig zielführend laut Filzmaier: Rechenmodelle zur Argumentationsunterstützung mit Zahlen, die nicht nachprüfbar seien, etwa wenn es um die Schätzung von entgangenen Steuergeldern geht. „Da findet ein Zahlenwurfwettbewerb auf Basis von Halbwissen statt – jeder wirft Zahlen in die politische Arena. Hier eine Lösung zu erwarten ist mehr als naiv.“ Das schlechte Informiertwerden und die gleichzeitige Flut an Informationen, die täglich auf jeden Einzelnen zu dem Thema prasseln, führten bei vielen irgendwann zu einer völligen Abkoppelung statt zu einem besseren Wissensstand. Zurück blieben Ängste und Enttäuschung.
Petra Fleck, ORF.at
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