„Alle sind schockiert“
Das Wiederauftauchen der seit Jahren vermissten drei Frauen sorgt für Freude in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio. Einer der Frauen gelang es, die Polizei zu alarmieren, als ihr Kidnapper nicht zu Hause war. Noch sind viele Fragen offen. Die Ermittler haben - nach der Verhaftung des Hausbesitzers und seiner zwei Brüder - mit ihrer Arbeit erst begonnen.
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Amanda Berry - sie war 2003 im Alter von 16 Jahren auf dem Heimweg von ihrer Arbeit in einem Fast-Food-Lokal verschwunden - gelang es am Montag, die Polizei zu alarmieren, als ihr Kidnapper außer Haus war. Nach Bekanntwerden des unerwarteten Auftauchens der drei verschwundenen Mädchen strömten viele Menschen des Viertels in die Straße und feierten.

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Amanda Berry (M.) nach der Befreiung mit ihrer Schwester (l.) und ihrer Tochter im Spital
Ein Nachbar, der gerade beim Mittagsessen saß, war auf ihre verzweifelten Hilferufe aufmerksam geworden und brach die Haustür ein. Berry meldete sich beim Polizeinotruf: „Ich wurde entführt und werde seit zehn Jahren vermisst. Ich bin hier und nun frei“, sagte sie laut einer von Fernsehsendern verbreiteten Aufzeichnung ihres Anrufs.
„Ich hörte Schreie“
„Ich hörte Schreie und ich sah, wie das Mädchen ganz verrückt wurde beim Versuch rauszukommen“, schilderte der Nachbar Charles Ramsey, der die Frauen fand, die Ereignisse. „Ich ging auf die Veranda, und die Frau sagte zu mir: ‚Helfen Sie mir! Ich bin schon lange Zeit hier.‘ Ich glaubte, es geht wohl um häusliche Gewalt.“ Dann sei sie mit einem kleinen Mädchen herausgekommen und habe ihn gebeten, den Polizeinotruf zu alarmieren. Sie habe ihm ihren Namen gesagt, aber bei ihm habe es nicht geklingelt.
Nervenaufreibende Minuten folgten: Von einem Nachbarhaus aus rief die entkommene Berry die Polizei. Am anderen Ende der Leitung des Notrufs fragte der Telefondienst nach der Kleidung des Entführers. „Ich hab keine Ahnung, er ist nicht hier, deswegen bin ich auch entkommen“, rief Berry voller Verzweiflung und Ungeduld. Die Polizei riet ihr zu bleiben, wo sie ist. Es würde sich ein Wagen auf den Weg machen, sobald einer zur Verfügung steht, wurde versichert. „Ich brauche Sie jetzt, weil er zurückkommt“, antwortete sie.
Polizei stürmte Haus
Die eintreffende Polizei stürmte schließlich das Haus. Lokalmedien berichteten, dass auch ein sechsjähriges Mädchen aus dem Horrorhaus befreit wurde. Wie inzwischen bestätigt wurde, handelt es sich dabei um die Tochter von Berry, die sie während ihrer Gefangenschaft zur Welt brachte. Auch ein veröffentlichtes Foto aus dem Metro Health Medical Center, wo die Entführten behandelt werden, zeigt die befreite Berry mit ihrer Schwester und ihrer Tochter.
Kannte Verdächtiger Opfer?
Die Polizei befreite zwei weitere Frauen, Gina DeJesus und Michelle Knight. Die damals 14-jährige DeJesus verschwand am 2. April 2004 auf dem Heimweg von der Schule. Die heute 32 Jahre alte Knight soll seit ihrem 20. Lebensjahr vermisst worden sein, berichtete der Lokalsender ABC News Channel 5. Die Frauen wurden zunächst zur medizinischen Untersuchung ins Spital gebracht, dort trafen sie auch erstmals wieder mit ihren Familien zusammen. Mittlerweile wurden die Entführungsopfer aus dem Krankenhaus entlassen.

APA/AP/Mark Duncan
FBI-Ermittler durchsuchen das Haus, in dem die Frauen gefangen gehalten waren
Bemerkenswert ist, dass einer der Verdächtigen zumindest eines seiner Opfer länger gekannt haben könnte: Sein Onkel sagte gegenüber US-Medien jedenfalls, Angehörige seiner Familie und der Familie der befreiten Gina DeJesus seien gemeinsam aufgewachsen. „Alle sind schockiert.“ Er habe seinen Neffen als „guten Kerl“ gekannt. Er war früher Schulbusfahrer.
Mutter von Entführter verstorben
Die Mutter von Berry, Louwana Miller, starb drei Jahre nach der Entführung ihrer Tochter. Das spurlose Verschwinden des Kindes habe sie stark mitgenommen, berichteten die Medien. Eine Stadträtin von Cleveland, Dona Brady, verbrachte nach eigenen Angaben viel Zeit mit Miller und sagte, diese sei „an ihrem gebrochenen Herz“ gestorben.
Die Mutter von DeJesus sagte, sie habe immer geglaubt, dass ihre Tochter an Menschenhändler verkauft worden sei. „Ich habe das von Beginn an immer gesagt. Sie wurde an den Meistbietenden verkauft“, so Ruiz. „Es ist ein sehr, sehr schönes Ergebnis, dass sie noch unter uns sind“, sagte der stellvertretende Polizeichef von Cleveland, Ed Tomba, am Montagabend. „Es ist unglaublich und ein Segen für die Gemeinde und die Polizei und ihre Familien, dass sie noch leben. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich wir sind.“
„Viele unbeantwortete Fragen“
Die drei Frauen wurden nach ihrer Befreiung in einem Krankenhaus in Cleveland behandelt. Es gehe ihnen gut, sagte Gerald Maloney, ein Arzt in der Notaufnahme des Metro Health Medical Center. „Normalerweise gehen solche Geschichten anders aus, daher sind wir sehr froh für sie.“ Bürgermeister Frank Jackson sagte, er sei dankbar, dass Berry, DeJesus und Knight lebend gefunden worden seien. „Wir haben viele unbeantwortete Fragen bezüglich des Falles, und die Ermittlungen werden weitergehen.“
Die Bundespolizeibehörde FBI durchsuchte das Haus, in dem die Frauen festgehalten worden waren. Es liegt in einer von vielen Latinos bewohnten Gegend in Cleveland weniger als einen Kilometer von den Häusern der Familien von Berry und DeJesus entfernt.
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