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In zahlreiche Affären verstrickt

Der langjährige italienische Regierungschef Giulio Andreotti ist tot. Italienischen Medienberichten zufolge starb der 94-Jährige Montagvormittag in seinem Haus in Rom. Der am 14. Jänner 1919 geborene Andreotti war jahrelang einer der mächtigsten Politiker Italiens und einer der prominentesten Vertreter der italienischen Christdemokratie.

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Der gebürtige Römer saß ab 1945 ununterbrochen im italienischen Parlament und war siebenmal Regierungschef. Auch zahlreiche Ministerposten wurden von Andreotti besetzt. 1991 wurde er schließlich zum Senator auf Lebenszeit ernannt.

Reihe von Mafia-Prozessen

Andreotti prägte aber nicht nur 40 Jahre die italienische Innenpolitik, sondern gilt auch als Symbol von Italiens korrupter Republik (1948 bis 1994). Immer wieder war Andreotti in Affären verstrickt. Im Jahr 2003 wurde er nach jahrelangen Prozessen vom Verdacht der Zusammenarbeit mit der Mafia freigesprochen, nachdem ihn ein Gericht im Jahr zuvor noch zu 24 Jahren Haft verurteilt hatte. Andreotti wurde in dem aus Mangel an Beweisen aufgelösten Verfahren vorgeworfen, im Jahr 1979 in die Ermordung des Journalisten Mino Pecorelli verwickelt gewesen zu sein.

Archivaufnahme von Giulio Andreotti im Gericht

APA/AP/Massimo Sambucetti

Einer von mehreren Mafia-Prozessen: Andreotti gibt 1995 in einem Gerichtssaal in Palermo eine Pressekonferenz

Seine Umstrittenheit und politische Langlebigkeit brachten Andreotti zahlreiche Spitznamen ein wie „schwarzer Papst“, „Beelzebub“ der „Rostfreie“. Im vergangenen Jahr wurde Andreotti mehrfach mit Herzbeschwerden ins Krankenhaus eingeliefert. Medienberichten zufolge litt er unter Herzrhythmusstörungen. In den letzten Monaten hatte sich der Gesundheitszustand des Politikers stark verschlechtert. Im Mai 2012 wurde Andreotti wegen Atembeschwerden ins Krankenhaus eingeliefert. Obwohl er bereits nach wenigen Tagen das Spital wieder verlassen konnte, mehrten sich seitdem Spekulationen über seinen angeschlagenen Gesundheitszustand.

„Wir wussten, dass es ihm schlechtging“

Viele Politiker reagierten mit Trauer und Mitgefühl auf den Tod des früheren Regierungschefs. Bei allen Sportveranstaltungen in Italien in dieser Woche soll es eine Schweigeminute geben. Laut dem italienischen Premier Enrico Letta verliert Italien "eine Persönlichkeit ersten Ranges und einen Politiker, der seit 60 Jahren im öffentlichem Leben steht“.

Auch Präsident Giorgio Napolitano trauert um Andreotti: „Ich verabschiede mich von einer Persönlichkeit, die eine große Rolle in den Institutionen gespielt und mit großartiger Kontinuität Italien auf internationaler Ebene und in Europa vertreten hat.“ Ex-Premier Silvio Berlusconi betonte, mit Andreotti verliere Italien eine Persönlichkeit, die seit der Nachkriegszeit ein Staatsmann ohne Gleichen war.

Kritischer über Andreotti zeigte sich der Ex-Staatsanwalt und Mitte-links-Politiker Antonio Di Pietro: “Vor dem Tod muss der Respekt überwiegen, den man jedem Menschen zollen muss. Eine Sache ist aber Respekt für die Person, eine andere ist Respekt für die Geschichte, die Andreotti nicht nur mit der Politik geschrieben hat". „Andreotti war die Politik: Er hat das Gute und das Böse vereint. Eine außergewöhnliche Persönlichkeit“, sagte Pier Ferdinando Casini, der Chef der Zentrumsunion.

„Wir wussten, dass es ihm schlechtging, doch wir waren nicht auf seinen Tod vorbereitet. Man ist nie auf den Tod eines Freundes vorbereitet. Mit Andreotti stirbt ein Teil der italienischen Politik. Mit Aldo Moro, Alcide de Gasperi und Amintore Fanfani hat er auf entscheidende Weise zum Wiederaufbau Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen“, meinte der konservative Politiker Paolo Cirino Pomicino.

Beerdigung am Dienstag

„Andreotti war ein großartiger Mensch, der mich viel gelehrt hat. Nur wer an seiner Seite gelebt hat, konnte nicht nur den Politiker, sondern auch den Menschen begreifen“, sagte Patrizia Chilelli, seit 1989 Sekretärin Andreottis. Für den Politiker sei kein Staatsbegräbnis geplant. Es werde am Dienstag in Andreottis Pfarre in Anwesenheit der engsten Angehörigen stattfinden, berichtete Chilelli. Roms Bürgermeister Gianni Alemanno bezeichnete Andreotti als „repräsentativsten Römer in der republikanischen Geschichte Italiens“.

Früher Eintritt in Politik dank De Gasperi

Der in Rom als Sohn eines Lehrers geborene Andreotti wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf, 1940 legte er sein Jusexamen ab und strebte einen Beruf als Journalist an. Den frühen Beginn seiner politischen Karriere verdankte er der Bekanntschaft mit seinem Mentor, Italiens langjährigem Regierungschef Alcide de Gasperi, der Andreottis Leben prägte.

1944 trat er den Spitzengremien der Christdemokraten bei. Nach seinem Einzug ins Parlament im Jahr 1947 durchlief er fast alle Ministerposten. Mit 26 Jahren war er Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung, mit 28 Staatssekretär unter De Gasperi, mit 35 Innenminister. Nacheinander bekleidete er von da an die Ressorts Finanzen, Schatzamt, Industrie, Handel, Verteidigung, bis schließlich das Außenministerium zu seiner bevorzugten Domäne wurde. Zwischen 1972 und 1992 war der Christdemokrat zudem gleich siebenmal Premierminister.

Auch in den letzten Jahren vor seinem Tod mischte der Senator auf Lebenszeit weiter in der Politik des Landes mit. Nicht mehr beteiligt war Andreotti an der Wiederwahl von Giorgio Napolitano zum italienischen Staatspräsidenten.

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