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Reformer und Vermittler

Gewissenhaft, zuverlässig und wortkarg: Auf den Schultern des 46-jährigen Vizechefs der Partito Democratico (PD), Enrico Letta, lastet die Verantwortung, Italien nach zwei Monaten politischer Blockade endlich eine tragfähige Regierung zu sichern.

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Trotz seines für die italienische Politik jungen Alters kann der groß gewachsene und kahlköpfige Letta auf eine lange Erfahrung zurückblicken. Niemand kennt wie er die komplizierten Machtverhältnisse der italienischen Linken. Mit Gespür und Geschick hat sich Letta als Minister und im EU-Parlament den Ruf eines zuverlässigen Reformers verdient.

Zweimal in Ministeramt

Der 1966 in Pisa geborene Letta promovierte nach dem Studium der Politikwissenschaften mit einer Forschungsarbeit zum Europarecht. Von 1991 bis 1995 war er Vorsitzender der Jugendorganisation der Europäischen Volkspartei und danach Generalsekretär des Euro-Ausschusses im italienischen Haushaltsministerium. 1997 rückte er zum stellvertretenden Vorsitzenden der Partito Popolare Italiano (PPI) auf, die aus der Asche der aufgelösten Democrazia Cristana entstanden war.

Im Alter von 32 Jahren wurde Letta 1998 zum Europaminister in der Regierung von Massimo d’Alema ernannt. Er rückte somit zum jüngsten Minister in der republikanischen Geschichte Italiens auf. Zwischen 1999 und 2001 amtierte er dann als Industrieminister.

Für Prodi-Liste ins Europaparlament

Bei der Europawahl 2004 wurde er auf der Liste des Mitte-links-Bündnisses Ulivo um den damaligen EU-Kommissionschef Romano Prodi ins Europäische Parlament gewählt, dem Letta bis 2006 angehörte. Zudem war er dort im Ausschuss für Wirtschaft und Währung tätig. Seit Jahren zählt der mit einer Journalistin verheirateten Vater von drei Kindern zu den engsten Vertrauensleuten Prodis.

2006 zog Letta in die Abgeordnetenkammer ein und wurde im zweiten Kabinett Prodi zum Staatssekretär im Premiersbüro ernannt. In dieser Funktion löste er seinen bekannten Onkel Gianni Letta ab, der dem gegnerischen Mitte-rechts-Lager um Silvio Berlusconi angehört. 2007 gehörte Enrico Letta zu den Gründungsmitgliedern des aus Links- und Christdemokraten fusionierten Mitte-links-Partei PD.

Seine Kandidatur für den Vorsitz der neuen Gruppierung wurde von namhaften Vertretern zentristischer Gruppierungen unterstützt, Letta unterlag jedoch im Duell gegen den ehemaligen römischen Bürgermeister Walter Veltroni. Zwischen 2008 und 2009 amtierte Letta als für Arbeit, Gesundheit und Sozialpolitik zuständiger Minister in einer PD-Schattenregierung, welche die Opposition zur Regierung Berlusconi führte.

Partei als Scherbenhaufen

Jetzt steht Letta eine große Herausforderung bevor. Einerseits muss er Italien eine solide Regierung garantieren, zugleich auch für den Neubeginn seiner Partei sorgen, die nach dem Rücktritt des Vorsitzenden Pierluigi Bersani am Samstag in eine tiefe Krise gestürzt ist.

Nach Bersanis Demission ist die stärkste Einzelgruppierung im italienischen Parlament ein Scherbenhaufen. Interne Machtkämpfe, Konflikte um die Führungsstrategie und erbitterte Fehden unter Spitzenpolitikern rivalisierender Flügel haben kurz nach der Wiederwahl Napolitanos zur Demission des kompletten Führungsgremiums geführt.

Die Gruppierung muss jetzt neu aufgebaut werden. Keine einfache Aufgabe für Letta, der all sein Vermittlungstalent einsetzen muss, um den Zusammenhalt seiner Partei zu bewahren und seiner Regierung eine Zukunft zu sichern.

Micaela Taroni, APA

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