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Jahrelanges Lobbying der Agrarkonzerne

Seit etwa fünf Jahren wird an einer Überarbeitung des EU-Saatgutverkehrsrechts gearbeitet. In Brüssel diskutiert man nun einen Vorschlag zu strengeren Auflagen und Normierung von Saatgut. Seltene Sorten können diese Tests nicht bestehen, und Agrarkonzerne seien einmal mehr Nutznießer der strengeren Auflagen, so die Kritik der Umweltschutzorganisationen Global 2000 und Arche Noah.

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In Zahlen sieht das so aus: „Wir haben etwa 6.500 Sorten in der Genbank, davon sind wohl 5.000 bis 6.000 nicht zugelassen“, sagte Iga Niznik, bei Arche Noah für Saatgutpolitik zuständig, im Gespräch mit ORF.at. Die Pflanzenvielfalt sieht man durch die EU-Saatgutauflagen bedroht. Vor allem Gemüse-, aber auch Getreidesorten würden laut Niznik aus Gärten und von Äckern verschwinden.

Tomaten, Paprika und Gurken in einem Supermarkt

Reuters/Fabrizio Bensch

Uniformität im Obstgarten: Strenge Optikvorgaben für Gurken und Paradeiser

Laut einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Juli 2012 wurde Europas Bauern untersagt, amtlich nicht zugelassenes Saatgut zu verkaufen. Aufgehoben wurde das Verbot für alte und seltene Saatgutsorten, die bisher unter Bauern getauscht und an Freizeitgärtner geschickt werden durften. Diesem Saatgutverkehr stünde durch die von der EU diskutierte Verordnung auch ein Ende bevor, so die Befürchtung.

Widerspricht Biodiversitätszielen

Die Pflanzen, so das Hauptentscheidungskriterium der EU-Saatgutverordnung, sollten möglichst einheitlich sein und als Sorte offiziell registriert werden. Die bisher zwölf EU-Richtlinien werden durch eine EU-Verordnung ersetzt. Unterm Strich bedeute es das Aus für nationale Spielräume, betonen die Grünen. Angesichts der formulierten Ziele zur Biodiversität erscheine eine Verordnung für einheitliche Pflanzen- und Gemüsesorten absurd, sagte Wolfgang Pirklhuber, Landwirtschaftssprecher der Grünen.

Eine Vielzahl der heimischen seltenen und alten Sorten von Obst, Gemüse und Getreide könnten die laut Arche Noah „unüberwindbaren bürokratischen und finanziellen Hürden“ der Zulassungsverfahren aus biologischen Gründen nicht bestehen und wären damit von der Weitergabe ausgeschlossen.

Eckpunkte der EU-Verordnung

Die in Brüssel diskutierte EU-Saatgutverordnung soll höhere Gebühren, amtliche Prüfungen, im Ganzen strengere Zulassungsverfahren vorsehen. Bei Saatguttausch nicht zugelassener Sorten drohen künftig hohe Verwaltungsstrafen.

Forderungen für Kleinbetriebe

Österreichischer Protest werde nicht ausreichen, um die Verordnung im Sinne der Vielfalt zu verbessern. „Da müssen sich schon mehrere EU-Länder dagegen auflehnen“, betonte Niznik gegenüber ORF.at. In einer gemeinsamen Petition mit Global 2000 wollen sie unter anderem „verpflichtende Sortenzulassung und Zertifizierung für samenfestes Saat- und Pflanzgut, das nicht durch geistiges Eigentumsrecht geschützt ist“, verhindern.

Grüne mit Antrag im Nationalrat

Austausch von Saatgut zwischen Bauern und anderen Privatpersonen dürfe nicht verboten werden, und kleine Unternehmen sollen nur einer Grundanforderung bezüglich Etikettierung unterliegen, hieß es im Entschließungsantrag, den die Grünen bei der Nationalratssitzung Anfang der Woche vorlegten. Damit soll demonstriert werden, dass man in Österreich geschlossen gegen eine Verschlechterung beim Saatgutrecht eintritt. „Ich rechne mit der Zustimmung aller Parteien“, so Pirklhuber.

Gegen eine Gefährdung der alten Saatgutsorten und Überbürokratisierung der Produzenten spricht sich auch Landwirtschafts- und Umweltminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) aus. Er forderte „starke Verbesserungen“ bei der geplanten EU-Saatgutverordnung und hat inzwischen auch die Online-Petition unterzeichnet, wie in einer Aussendung am Freitag bekanntwurde.

Druck der Konzerne spürbar

Den Kritikern der geplanten Verordnung zufolge zeichne sich deutlich eine Begünstigung der Großindustrie ab. Das Argument, den Konsumenten nur höchste - weil streng geprüfte - Qualität anbieten zu wollen, sieht die Arche Noah nur als Deckmantel. Vielmehr sei der Druck der großen Saatgutindustrien spürbar.

Durch die strengen Aufnahmeverfahren könne die Industrie steuern, was zum Konsumenten gelangt und sich der kleineren Konkurrenten entledigen. Durch Anzeigen drohen kleinen Betrieben hohe Verwaltungsstrafen. Eine weitere Kritik geht auch von Konsumenten aus, die seit geraumer Zeit den Geschmacksverlust von hochgezüchteten und unterschiedslosen Paradeisern oder Gurken anprangern.

Offizieller Entwurf am 6. Mai

Noch ist Zeit zu handeln, in Brüssel liegt noch kein offizieller Entwurf vor. Bis Monatsende will die EU-Kommission über den Vorschlag abstimmen. In der Regel dauern die Verhandlungen vier bis sechs Monate bis die Vorschläge im Plenum des EU-Parlaments abgestimmt werden können, sagte SPÖ-Europaabgeordnete und Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Karin Kadenbach, im Gespräch mit ORF.at.

Vom Ergebnis hängt ab, wann sich das EU-Parlament mit dem Gegenstand befasst. Als Veröffentlichungsdatum für den offiziellen Entwurf wurde der 6. Mai von der EU-Kommission inzwischen bestätigt. Am Tag drauf solle eine Information der Abgeordneten des Umweltausschusses durch den zuständigen Kommissar Tonio Borg stattfinden, so Kadenbach. Vor 2015 ist mit dem Inkrafttreten des Gesetzes nicht zu rechnen.

„Keine Rettungsaktion für ein paar Pflanzerln“

Niznik betont, dass es nicht darum gehe, „ein paar arme Pflanzerln zu retten, die sonst aussterben, sondern um die Frage, was Bauern noch anbauen können“. Es gehe um Grundsatzfragen - etwa, welche Wahlfreiheit Konsumenten beim Essen haben: „Welches Saatgut ist noch erhältlich, und was landet am Ende des Tages auf unseren Tellern?“

Eva Zelechowski, ORF.at

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