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Qualitätsoffensive gefordert

Sollte man die Lehre abschaffen? Keinesfalls, sagt Peter Schlögl, Geschäftsführer des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung, im Gespräch mit ORF.at. Aber es brauche dringend eine Qualitätsoffensive. Den Lehrlingen solle eine ordentliche Ausbildung garantiert werden können. Problembetrieben, so Schlögl, soll die Lizenz zum Ausbilden von Lehrlingen entzogen werden können.

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Peter Schlögl ist Bildungsexperte mit Leib und Seele. Er gestikuliert ausladend, geht bei seinen Erklärungen ins Detail und wird trotz aller Akribie in seiner Argumentation emotional, wenn er von den Fehlern des Systems spricht: „Das sind doch einfach noch Kinder. Da beginnt mein Herz zu pumpern. Man muss schon darauf achten, dass diese Lebenszeit nicht beschädigend wirkt, sondern dass sie junge, reife Menschen hervorbringt, die selbstkritisch sind und trotzdem Selbstvertrauen haben.“

Dazu bräuchte es eine Feedback-Kultur - „aber in jugendspezifischer Weise“. Das Berufsbildungssystem, sagt Schlögl, müsse lernfähiger werden. Der Input von Experten, von Betrieben, aber auch von den Jugendlichen selbst sei unabdingbar. Er schlägt regelmäßige Umfragen vor, in denen sich Lehrlinge nicht über ihre Unternehmen „auskotzen“ sollen, sondern als Experten ernst genommen werden und so Hinweise geben können, wo die Ausbildung noch Verbesserungsbedarf hat.

Bildungsexperte Peter Schlögl

ORF.at/Simon Hadler

Bildungsexperte Peter Schlögl

Sozialkompetenz in Lehreingangsphase vermitteln

Die Fachkompetenz ist bei der Lehre die eine Sache - die andere sind Alltags- und Sozialkompetenz. Gerade am Beginn der Lehre, meint Schlögl, solle auf sie besonders Wert gelegt werden. Wenn am Anfang noch viele ähnliche Inhalte vermittelt werden, sei auch ein Wechsel zwischen verschiedenen Ausbildungen möglich. Im Dienstleistungssektor und im Handel etwa ist der Kundenkontakt zentral - das ist bei einer Friseurin ähnlich wie bei einem Kassier im Supermarkt.

In einer Art Lehreingangsphase, die bei ähnlichen Berufen ähnlich gestaltet wäre, könnten solche fächerübergreifenden Kompetenzen vermittelt werden. Wer dann noch einmal umsatteln will, hat keine wertvolle Zeit verloren. Dass so viele junge Menschen nicht mit der Wahl ihrer Lehre zufrieden sind, ist für Schlögl kein Wunder. Viel zu früh werde hier eine Entscheidung verlangt.

„Ein bisschen Feuer muss dabei sein“

Zudem müsste die Berufsberatung weit intensiver ausfallen. Ein paar Stunden abstrakter Unterricht brächten da nicht viel: „Man muss mit Menschen reden, die diese Tätigkeit machen und die für das brennen, was sie tun.“ Die Kids sollten in die Betriebe gehen und selbst etwas ausprobieren. Rationale Überlegungen seien nicht unwichtig, aber: „Ein bisschen Feuer muss von Beginn an dabei sein.“

Wem das Feuer fehlt, bei dem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er die Ausbildung hinschmeißt oder die Abschlussprüfung beim ersten Mal nicht schafft und einfach nicht mehr antritt. Das sind erschreckend viele. Im Schnitt sind 2012 18 Prozent bei der Prüfung durchgefallen, erfahrungsgemäß tritt nicht einmal die Hälfte erneut an. Bei den Malern ist es sogar mehr als ein Drittel, das die Prüfung nicht schafft.

Billige Arbeitskräfte

In manchen Betrieben fallen Jahr für Jahr auffallend viele Lehrlinge bei der Abschlussprüfung durch - in anderen bei der selben Lehre nur wenige. Die Prüfungskommission ist dieselbe - sie wird vom Wirtschaftsministerium beschickt. Schlögl sieht ein Problem darin, dass das System momentan keine Möglichkeit hat, zwischen Unternehmen zu unterscheiden, die ordentlich ein ganzes Berufsbild vermitteln und solchen, bei denen die Lehrlinge einfach als billige Arbeitskräfte eingesetzt werden.

Das Problem dabei: Wer immer nur an der Mischmaschine steht, wird kein guter Maurer werden. Wer immer nur Verschalungen macht, weil das der Fokus des Betriebs ist, wird vieles andere nicht können, das ein Maurer können sollte - und so weiter. Abgesehen davon: Die eintönige Tätigkeit vertreibt viele während der Lehre.

Schwarze Schafe aussieben

Sowohl Arbeitnehmer als auch - wie Schlögl anerkennend betont - Arbeitgeber haben sich für die Reform der Lehre bereits informell darauf verständigt, dass Betriebe in Hinkunft regelmäßig dahingehend überprüft werden sollen, ob sie ein umfassendes Berufsbild vermitteln. Unbelehrbaren Unternehmen, die trotz entsprechender Tipps eines Beratungsgremiums säumig bleiben, soll die Lizenz entzogen werden, Lehrlinge auszubilden. Aufgrund des demografischen Wandels ist man spätestens ab 2016 nicht mehr auf jeden Lehrplatz angewiesen - da könne man schon ein wenig die schwarzen Schafe aussieben, meint Schlögl.

Vieles - von der oft unzureichenden Ausbildung der Lehrlinge bis hin zu verbalen Untergriffen im Umgang mit ihnen - hänge mit der Überforderung von Ausbildnern zusammen, sagt Schlögl. Diese seien zwar Fachkräfte, hätten aber keinerlei pädagogische Bildung. Es wäre einer der Schlüssel für die Lösung des Problems, die Ausbildner selbst besser auszubilden. Bisher sind sie nur in überbetrieblichen Lehrwerkstätten hauptberuflich als Lehrer eingesetzt und mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet.

Das Schlimmste: „Der Zufall“

Für Lehrlinge mit Lernschwächen und Behinderungen oder solchen Jugendlichen, die wegen ihres Migrationshintergrunds (Rassismus), wegen Vorstrafen oder wegen des fehlenden Schulabschlusses keinen Lehrplatz bekommen, gibt es diese überbetrieblichen Lehrwerkstätten - aber nicht nur. Es gibt auch die integrative Berufsausbildung in Unternehmen. Ausbildungsbetriebe, die sich darauf einlassen, werden intensiv unterstützt.

Das Schlimmste ist, sagt Schlögl, wenn ein System von Zufällen abhängt. Es dürfe kein Zufall sein, ob ich in einen qualitätsvollen Ausbildungsbetrieb komme oder nicht. Das sei die Herausforderung für die Qualitätssicherung der Zukunft: „Ich will mit ruhigem Gewissen zu einem jungen Menschen sagen können: ‚Geh in einen Betrieb und du kannst dir, weil er staatlich geprüft ist, sicher sein, dass du eine Ausbildung auf dem geforderten Level erhältst, mit einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass du am Ende die Prüfung bestehst.‘ Aber das haben wir momentan nicht.“ Es brauche eine Qualitätsoffensive.

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