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Die Karriere der Lehre

Die Verbesserung der Lehrlingsausbildung ist ein Dauerthema in Politik und Sozialpartnerschaft. Unternehmer jammern, sie könnten mit immer schlechter vorgebildeten Jugendlichen kaum etwas anfangen. Die wiederum klagen, in erster Linie als billige Arbeitskräfte missbraucht zu werden.

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Cornelia möchte nach Damen- auch noch Herrenschneiderei lernen und dann in einen Betrieb gehen. Petar lernt Metallverarbeiter und hat schon zwei Unternehmen für später ins Auge gefasst, die viel Wert auf Weiterbildung und Karrieremöglichkeiten legen. Tischlerlehrling Mathias macht nebenher die Matura und möchte selbst einmal in der Ausbildung tätig sein.

Lehrlinge bei Jugend am Werk

ORF.at/Zita Köver

Angehende Kfz-Techniker: Senol Alijeski (links) und Fatih Gedikaslan

Die drei Lehrlinge bei Jugend am Werk in Wien-Floridsdorf sind hoch motiviert und werden ihren Weg gehen. Allerdings spricht die Statistik gegen sie. Laut Experten schließen kaum ein Drittel der Jugendlichen, die eine Lehre beginnen, diese auch erfolgreich ab oder bleiben später in ihrem erlernten Beruf. Sie wechseln bereits während der Lehre, fallen bei der Abschlussprüfung durch, ohne erneut anzutreten, oder suchen sich schon bald nach Ende der Ausbildung eine andere Arbeit.

„Bei uns brauchst du Benzin im Blut“

Da werden einige dabei sein, sagt Peter Schlögl, Geschäftsführer des Instituts für Berufsbildungsforschung, die ihre Kenntnisse anderweitig gewinnbringend einsetzen. Aber wesentlich wäre für ihn, den Zeitpunkt für eine Berufsentscheidung nach hinten zu verschieben. 14, 15, 16 – das sei zu jung. In Deutschland etwa ist der Durchschnitt 20 Jahre alt bei Lehrbeginn. Die Berufsberatung müsste zudem intensiver sein und mehr in die Praxis gehen, damit möglichst viele herausfinden, was wirklich ihr Traumberuf ist.

Barbara Gstöttinger ist Lehrlingsbeauftragte bei Porsche Interauto. Sie merke sofort, wenn jemand kein echtes Interesse habe, sondern sich nur mit Computerspielen und Facebook beschäftige: „Das ist zu wenig. Bei uns brauchst du Benzin im Blut.“ Porsche nimmt von 2.000 Bewerbern pro Jahr nur 200 auf. Ein Test und Gespräche filtern die besten heraus, die dann während der Lehre umfassend gefördert werden. Später steht ihnen als hochwertigen Fachkräften eine Karriere bis hin zum Management offen.

„Unbrauchbare Analphabeten“

Gstöttinger sieht bei den Bewerbern Defizite: „Unlängst hatte einer nur zehn von 180 Punkten beim Test. Da denkt man sich - das gibt’s doch nicht.“ Neben autobezogenen Themen werden auch Allgemeinbildung und Schulkenntnisse geprüft. Starkoch Mario Plachutta sagte unlängst gegenüber dem „Standard“, die meisten Lehrlinge seien „unbrauchbare Analphabeten“. Lehrling Mathias nennt diese Pauschalierung „unter aller Sau, armselig und unnötig“.

Lehrlinge bei Jugend am Werk

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Damenschneiderei: Cornelia Jonas (links) und Yvonne Kaider

Jene jungen Menschen, die von der Privatwirtschaft verschmäht werden, können auch eine überbetriebliche Lehrausbildung machen, etwa bei Jugend am Werk. Dort werden in Schulwerkstätten Unternehmen simuliert, Lehrlinge aber mehr gefördert, und es wird besonders auf die Vermittlung von Alltags- und Sozialkompetenz Wert gelegt. Sabine Doods ist seit 2005 Sozialarbeiterin in so einer Lehrwerkstätte. Auch sie und ihre Kolleginnen beobachten, dass die Probleme der Jugendlichen mehr werden, von sprachlichen Mängeln bis hin zur Kriminalität.

Zentrale Forderungen

  • Ab dem Kindergarten Kinder mit Defiziten fördern
  • Spätere Berufsentscheidung
  • Ausbildner pädagogisch und fachlich besser ausbilden
  • Ausbildungsbetriebe regelmäßig überprüfen, notfalls Lizenz entziehen

Keine Unterstützung der Eltern

Vor allem die Unterstützung vonseiten der Eltern fehle, so Doods. Die hätten genug eigene Baustellen: Alkohol, Drogen, Arbeitslosigkeit. Wenn es Schwierigkeiten mit ihren Kindern gibt, folgen sie nicht einmal der Einladung zum Gespräch. Eigentlich müsse man schon im Kindergarten Problemfälle erkennen können und etwas tun. Für manche ihrer Schützlinge komme die Hilfe bei Jugend am Werk bereits zu spät. Andere wiederum haben trotz allem viel Potenzial. Auch in der Privatwirtschaft würde sich da etwas mehr Geduld oft auszahlen, appelliert Doods an Unternehmen.

Dem schließt sich Bildungsexperte Schlögl an. Es nutze nicht viel, zu jammern. Wenn sich die Welt verändere, dann sollten sich die Ausbildungsbetriebe eben auf eine sich verändernde Welt einstellen. Er fordert eine sowohl fachlich als auch pädagogisch bessere Ausbildung der Ausbildner. Sein Herz blute, so Schlögl, wenn er sich den Umgang mit den Jugendlichen in manchen Betrieben vor Augen halte: „Das sind doch fast noch Kinder.“

„Du kannst ja sowieso nichts“

Lehrling Mathias erzählt, was er sich in Betrieben anhören hatte müssen: „Du wirst nur runtergemacht. Ständig hört man ‚Du bist ja deppert‘ und ‚Du kannst ja sowieso nichts‘.“ Sein Kollege Petar ergänzt: „Wenn du dann jeden Tag mit einem mulmigen Gefühl in die Arbeit gehst, bringt das doch nichts.“ Positives verstärken statt Aggressionen wäre angesagt. Sozialarbeiterin Doods meint, dass es gerade bei den sozialen Umgangsformen leicht ist, Fortschritte zu erzielen. Nichts wirke stärker, als den Jugendlichen zu zeigen, dass man sie mag. Grenzen aufzeigen ja - aber mit Respekt.

Lehrling bei Jugend am Werk

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Tischlerlehrling Mathias Nemeth bei der Arbeit

Richtiges Verhalten vorleben, sagt Schlögl, ist immer noch die beste Ausbildung. Er fordert eine regelmäßige Überprüfung der Ausbildungsbetriebe. Viele Unternehmen würden den jungen Menschen nur das beibringen, was in der Firma gerade gebraucht würde, statt ihnen ein umfassendes Berufsbild beizubringen. Momentan muss man als Unternehmen einmal für die Lehrlingsausbildung zugelassen werden, das gilt dann für immer - auch wenn regelmäßig die Lehrlinge bei der Abschlussprüfung durch eine unabhängige Kommission des Wirtschaftsministeriums durchfallen.

Qualitätskontrolle für Lehrlinge

Aufgrund geburtenschwacher Jahrgänge wird man schon 2016 deutlich weniger Lehrplätze brauchen. Schlögl fordert, spätestens dann die schwarzen Schafe unter den Betrieben auszusortieren und eine systematische Qualitätskontrolle einzuführen. Eine umfassende Ausbildung zahlt sich auch für die Unternehmen aus. Die Lehrlinge sind dann immer noch billige Arbeitskräfte und ein Talentepool für die Zukunft des Unternehmens. Porsche macht es vor.

Schlögl relativiert auch das Lamento über die „unbrauchbaren“ Lehrlinge. In den 50er und 60er Jahren seien 60 Prozent der 16- bis 19-Jährigen in Ausbildung gewesen, ob Schule oder Lehre. Der Rest waren Hilfsarbeiter. Heute sind es gute 90 Prozent. Dass da immer mehr junge Menschen mit schwierigen Hintergründen in dem System drinnen sind, sei schon statistisch gesehen klar - und nicht unbedingt ein Nachteil.

Sich die Freude am „Hackeln“ erarbeiten

Manchmal gelingt es nicht, das Feuer bei Lehrlingen zu entflammen, manchmal dauert es nur etwas länger. Mathias ist dafür ein Beispiel. Das Gymnasium hat er geschmissen, eine erste Ausbildung auch. Es habe ihn überhaupt nicht gefreut, zu „hackeln“. Nun ist er im Finale beim Landeswettbewerb der Tischlerlehrlinge. Die Matura macht er, weil er „etwas Pädagogisches“ studieren will, um später selbst so gut wie möglich Lehrlinge ausbilden zu können. Wenn er das durchzieht und sein Beispiel Schule macht, steht der Zukunft der Lehre nichts mehr im Weg.

Simon Hadler, ORF.at

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