Empörung über „Flucht“ vor Prozess
Im Fall zweier in Indien strafrechtlich verfolgter italienischer Soldaten haben die Spannungen in den diplomatischen Beziehungen beider Länder weiter zugenommen. Am Montag erklärte der Obersten Gerichtshofs in Delhi, der italienische Botschafter genieße keine diplomatische Immunität mehr. Auch sein Ausreiseverbot wurde verlängert.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Bis zur nächsten richterlichen Anhörung am 2. April dürfe Italiens Botschafter Daniele Mancini das Land nicht verlassen, hieß es am Montag. „Eine Person, die vor Gericht erscheint und dort Garantien abgibt, hat keine Immunität“, sagte der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Altamas Kabir. In dem Verfahren geht es um zwei in Indien strafrechtlich verfolgte italienische Soldaten. Mancini hatte dafür garantiert, dass die beiden nach Indien zurückkehren würden, als sie die Erlaubnis für eine zwischenzeitliche Ausreise erhielten.
Fischer mit Piraten verwechselt?
Den Italienern wird vorgeworfen, im Februar vergangenen Jahres zwei Fischer vor der Küste von Kerala im Südwesten des Landes getötet zu haben. Die Soldaten waren zum Schutz eines Öltankers eingesetzt und hatten die Fischer nach eigenen Angaben für Piraten gehalten. Die Soldaten waren angeklagt und in Indien festgehalten worden. Sie hätten demnächst vor Gericht gestellt werden sollen.

APA/AP
Italiens Botschafter Mancini in Delhi
Rom argumentiert, der Vorfall habe sich in internationalen Gewässern ereignet, und hält deshalb die indische Justiz für nicht zuständig. Den Soldaten war im Februar erlaubt worden, zur Teilnahme an der Parlamentswahl für einen Monat in ihre Heimat zurückzukehren. Später teilte die italienische Regierung mit, dass die Soldaten nicht nach Indien zurückkehren würden.
Wiener Konvention
Der völkerrechtliche Vertrag, die Wiener Konvention, wurde 1961 in Wien abgeschlossen und regelt den diplomatischen Verkehr einschließlich Immunitäten der Diplomaten. In 174 Staaten ist das Übereinkommen gültig.
EU: „Wiener Konvention respektieren“
Der Oberste Gerichtshof hatte daraufhin den italienischen Botschafter aufgefordert, das Land nicht zu verlassen. Ein Vertreter des indischen Außenministeriums sagte zunächst, der Diplomat genieße „diplomatische Immunität gemäß der Wiener Konvention“. Später erklärte das Ministerium allerdings auch, der Botschafter habe durch seine unter Eid gegebene Garantie für die Rückkehr der Soldaten seine Immunität aufgegeben.
Auch die EU-Kommission schaltete sich in den Streit ein. „Wir ermutigen Italien und Indien weiterhin, eine wechselseitig befriedigende Lösung auf Basis des internationalen Seerechts zu finden und alle Möglichkeiten zu einer einvernehmlichen Einigung zu nutzen“, sagte ein Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton am Montag in Brüssel. Gleichzeitig forderte sie beide Parteien dazu auf, die Wiener Konvention zu respektieren.
Premier droht mit „Konsequenzen“
Doch die „Flucht“ der angeklagten Soldaten sorgte in Indien für Empörung bis in die höchsten politischen Kreise. In einer Rede vor dem Parlament in Delhi drohte Premierminister Manmohan Singh Italien mit „Konsequenzen“, sollte Italien die beiden Soldaten nicht nach Indien zurückschicken. Indien werte Italiens Verhalten als Vertrauensbruch. Zuletzt erklärte das italienische Außenministerium jedoch, angesichts der „internationalen Kontroverse zwischen den beiden Staaten“ würden die Soldaten nicht nach Indien zurückkehren.
„Was als Strafprozess begonnen hat, ist nun ein diplomatischer Streit“, so Brahma Chellaney, Professor am indischen Zentrum für Politische Forschung, gegenüber der „New York Times“ („NYT“). Indien habe viele Möglichkeiten, den Druck auf Italien zu erhöhen. Fraglich sei nur, wie weit die indische Regierung gehen werde und welche Optionen man wähle.
Politische Beobachter fürchten, dass die bisher stabile Beziehung zwischen Italien und Indien Schade nehmen könnte - zum Nachteil für beide Parteien. „Die Verbindungen zwischen Italien und Indien sind sehr dynamisch - es gibt starken wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Austausch“, so Neelam Deo, Direktorin des Gateway House, eines Forschungsinstituts in Mumbai, gegenüber „NYT“.
Peinliche Justizfehler
Aber auch Indien musste für sein Verhalten Kritik einstecken. So forderte der Oberste Gerichtshof keine Kaution für die Freilassung der Soldaten, sondern verließ sich ganz auf das Wort des Botschafters. Als die zwei Soldaten im Dezember über Weihnachten nach Hause fahren durften, verlangte das Gericht eine Sicherheit von 54 Mio. Rupien (rund 760.000 Euro).
Es ist nicht das erste Mal, dass die indische Justiz in schlechtem Licht dasteht. Einer der prominentesten Fälle ist der von Ottavio Quattrochi. Der italienische Geschäftsmann soll in einen Korruptionsskandal verwickelt sein, der in den 80er und 90er Jahren Indien erschütterte. 2007 wurde Quattrochi in Argentinien verhaftet, doch eine Auslieferung nach Indien scheiterte an Formalfehlern. Schließlich musste Indien sogar seine Anwaltskosten übernehmen.
Wenig mit Ruhm bekleckert hat sich Indiens Justiz auch im Fall von Warren Anderson, Geschäftsführer der Chemiefabrik Union Carbide. Nach einem Chemieunfall 1984 starben in Bhopal 3.000 Menschen, 40.000 wurden verletzt. Anderson wurde verhaftet, beantragte aber Freilassung auf Kaution und reiste in die USA. Er kehrte nie nach Indien zurück.
Links: