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Zum Missbrauch kommt die Erniedrigung

„Die Instrumente der indischen Regierung versagen dabei, den Schutz von Kindern zu gewährleisten“, so die Südasien-Direktorin von Human Rights Watch (HRW), Meenakshi Ganguly. Die Organisation stellte kürzlich einen 82-seitigen Bericht mit dem Titel „Das Schweigen brechen: Sexueller Missbrauch von Kindern in Indien“ vor.

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Missbrauch sei in Indien im Zuhause der Opfer, in Schulen und in staatlich geführten Kinderheimen „verstörend geläufig“, kritisierte HRW. „Schockierenderweise sind Kinder gerade an jenen Orten, wo sie geschützt sein sollten, der Gefahr des Missbrauchs besonders stark ausgesetzt“, so Ganguly. Polizisten weigerten sich zudem häufig, Anzeigen wegen Missbrauchs aufzunehmen.

„Kinder, die tapfer von sexuellem Missbrauch berichten, werden von der Polizei, medizinischem Personal und anderen Behörden oftmals weggeschickt, weil sie ihre Aussagen nicht hören oder glauben wollen“, so Ganguly. Oftmals seien die Missbrauchsopfer Erniedrigungen und schlechter Behandlung ausgesetzt.

Mehr als die Hälfte der Kinder betroffen

Eine Studie der indischen Regierung aus dem Jahr 2007 berichtet, dass zwei von drei Kindern in Indien körperliche Gewalt erleben, 53 Prozent erleben eine oder mehrere Formen des sexuellen Missbrauchs. Das berichtete die BBC. Für die Studie wurden 12.300 Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren befragt. Konkrete Zahlen nennt HRW in dem neuen Bericht nicht. Die Menschenrechtler führten für die Studie nach eigenen Angaben mehr als 100 Interviews unter anderem mit Missbrauchsopfern und deren Angehörigen durch.

So berichtete eine Mutter, dass ihre dreijährige Tochter über Stunden starke Schmerzen hatte, nachdem Ärzte sie wegen des mutmaßlichen Missbrauchs untersucht hatten. „Nach der Untersuchung konnte meine Tochter sechs bis acht Stunden lang nicht urinieren, weil es ihr so wehtat“, wird die Mutter zitiert. Den Angaben zufolge müssen manche Kinder einen sogenannten „Fingertest“ über sich ergehen lassen, obwohl dieser nach Expertenansicht keinerlei wissenschaftliche Aussagekraft hat.

Opfer werden nicht ernst genommen

Auch Termine bei der Polizei sind demnach häufig schlimm für die Betroffenen. Da es keine Anweisungen gebe, den Opfern sensibler zu begegnen und sie besser zu unterstützen, seien Polizeireviere für diese „ein Ort, vor dem sie sich fürchten müssen“, sagte Ganguly. Beispielhaft ist etwa der Fall eines Mädchens, das von zwei Männern aus seinem Dorf vergewaltigt wurde.

Die 16-Jährige erzählte gegenüber HRW: „Einige der Polizisten sagten, dass ich mit diesen Männern habe gehen wollen. Sie forderten mich auf, zuzugeben, dass ich deren Freundin sei. Als ich zur medizinischen Untersuchung ging, sagte die Ärztin, ich sei verprügelt, gebissen und gekratzt worden, es gebe aber keine inneren Verletzungen. Ich begann, mich hilflos zu fühlen. Niemand glaubte mir, und niemand glaubt mir heute. Die Dorfbewohner sagen furchtbare Sachen über mich.“

Dringende Schutzmaßnahmen nötig

Eine Gesetzesinitiative der indischen Regierung aus dem vergangenen Jahr sieht Strafen für alle Arten von sexuellem Missbrauch vor und benennt Richtlinien für die Polizei und die Gerichte. Diese Initiative sei „sehr gut“, sagte Ganguly. Doch das Vorhaben sei zum Scheitern verurteilt, wenn Schutzmaßnahmen für die Opfer nicht umgesetzt würden und das Justizsystem nicht reformiert werde.

In Indien wird seit der Gruppenvergewaltigung und Misshandlung einer Studentin Mitte Dezember verstärkt über sexuelle Gewalt diskutiert. Die 23-Jährige war in Neu-Delhi in einem Bus vergewaltigt und brutal misshandelt worden und starb Ende Dezember 2012 an ihren schweren Verletzungen. Fünf Männer stehen derzeit deswegen vor Gericht, unter anderem auch wegen Mordes. Ihnen droht die Todesstrafe. Ein sechster Verdächtiger kommt vor ein Jugendgericht.

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