Erster schriftlicher Hinweis von 1813
Schokolade „gestreckt“ mit Haselnüssen: Auf dieses Rezept schwört nicht nur das Patisseriegewerbe - nougathaltige Schokoladeprodukte finden sich, saisongebunden derzeit etwa in Form von Ostereiern, schon längst in jedem Supermarkt. Der Ursprung, so die Legende, ist kriegsbedingt und ein rund 200 Jahre altes Erbe von Napoleon Bonapartes Blockadepolitik.
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Zwar machten die Auswirkungen des als Kontinentalsperre bekannten Embargos England und somit der damals stärksten Industrie- und Handelsmacht durchaus zu schaffen. Es litt aber auch Napoleons Machtbereich selbst, weswegen der Boykott laut Deutschlandfunk schließlich „zum eigenen Schaden“ führte. Ausgeblieben sind nicht zuletzt Waren aus den britischen Kolonien und in diesem Zusammenhang eben auch Kakao, dessen Preisexplosion für zunehmende Existenzsorgen in Europas damaliger Schokoladehochburg Turin gesorgt hat.
Faschingsfigur als Namensgeber
Laut weitläufiger Meinung machten die Piemonteser Schokolatiers aus der Not eine Tugend und begannen nach Ersatzprodukten Ausschau zu halten, mit denen die rar werdenden Schokoladevorräte gestreckt werden konnten. Fündig wurde man schließlich mit Haselnüssen in der Region selbst, wobei die neue Kreation auf Gianduja - und somit den Namen einer traditionellen Figur des Faschings im Piemont - getauft wurde.
Geht es nach Antonella Campanini von der Universität für gastronomische Studien (UNISG) im südlich von Turin gelegenen Bra gibt es durchaus „historische Hinweise“, mit der diese These untermauert werden könne. Gegenüber ORF.at gestand die für das UNISG-Fach Kulturgeschichte des Essens zuständige Dozentin aber auch ein, dass eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Materie noch ausständig sei.
Archivio Caffarel
Undatierte Aufnahme aus einer Schokoladefabrik von Caffarel
Ein genaues „Geburtsdatum“ für die als dunkles Nougat bekannte Gianduja kann demnach noch nicht genannt werden. In dem von Antonio Bazzarini 1813 verfassten „Piano teorico-pratico di sostituzione nazionale al cioccolato“ („Theoretisch-praktischer Plan für den nationalen Ersatz von Schokolade“, Anm.) gebe es aber sehr wohl einen ersten verbrieften Hinweis, wie der Kakaoanteil (in diesem Fall mit einem Gemisch aus süßen Mandeln, Lupinen, Getreide und Zuckersirup) verringert werden könnte.
Erste Gianduja mit Bianchinis Schokolademaschine?
Verwiesen wurde aber auch auf den 1819 vom Schweizer Tessin nach Turin gekommenen Konfektmacher Giovanni Martino Bianchini, dem die Erfindung einer neuartigen, wasserkraftbetriebenen Maschine zur fabrikmäßigen Verarbeitung von Schokolade zugeschrieben wird. Dank dieser verfügte man in Turin dann auch über die technischen Voraussetzungen, um mit neuen Rezepten experimentieren und möglicherweise auch die erste Gianduja herstellen zu können, so Campanini mit Verweis auf das von Federico Bruni verfasste Buch „I cioccolatieri“.
Archivio Caffarel
Turins Schokoladepionier Pier Paul Caffarel (1801 bis 1871)
Als gesichert gilt, dass ab 1832 auch Pier Paul Caffarel in Bianchinis Schokolademanfaktur tätig war und nach dessen Tod damit begann, in industriellen Dimensionen zu produzieren. Der Name Caffarel zählt bis heute dank des ab 1865 produzierten Giandujotto zu einem Markenzeichen und Exportschlager von Turin. Detail am Rande: Mit Francois-Louis Cailler erlernte auch der Gründer der ersten Schweizer Schokoladefabrik bei Caffarel das Handwerk des Chocolatiers.
Der eigentliche Kunstgriff in Sachen Gianduja wird aber nicht Caffarel, sondern dem nahezu in Vergessenheit geratenen Michele Prochet zugeschrieben. 1852 soll dieser erkannt haben, dass mit gerösteten Haselnüssen das Geschmackserlebnis um ein Vielfaches erhöht werden kann. Zunächst in Eigenregie, später zusammen mit Caffarels Sohn Isidore begann Prochet schließlich mit der Produktion seiner mit „Pasta Gianduja“ verfeinerten Schokoladespezialitäten.
Megaseller „Supercrema Gianduja“
Auf die Gianduja-Grundidee setzten in Folge zahlreiche andere Schokoladeproduzenten. Neben Marzipan und Schokoladekuvertüre gilt dunkles Nougat mittlerweile als eine der zentralen Zutaten in der gehobenen Patisserie. Haselnussnougat erwies sich aber auch als massentauglich.
Das erkannte während des Zweiten Weltkriegs etwa Pietro Ferrero, der angesichts von Kakaorationierungen ab 1940 erneut mit Haselnusszusätzen experimentierte und einen zunächst als „Pasta Gianduja“, dann als „Supercrema Gianduja“ bezeichneten Brotaufstrich auf den Markt brachte. Nachdem eine Gesetzesänderung das Präfix „super“ in Markennamen verbot, folgte 1964 das nun auch für einen internationalen Markt geschaffene Kunstwort Nutella und damit - zumindest laut dem von Ferrero gegründeten Schokoladeimperium - die „bekannteste Marke Italiens“.
Peter Prantner, ORF.at
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