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Streit mit Land vorprogrammiert

Die Deutsche Bahn (DB) wird das umstrittene Milliardenprojekt Stuttgart 21 weiterbauen. Der Aufsichtsrat des Staatskonzerns machte dem Vorstand dafür trotz der Kostenexplosion beim Bau des unterirdischen Bahnhofs den Weg frei. Es habe eine Enthaltung und eine Gegenstimme gegeben, sagten Mitglieder des 20-köpfigen Gremiums am Dienstag zu Reuters.

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Mit den von der DB berechneten Kosten von bis zu 6,5 Milliarden Euro liegt der Bau nun um rund zwei Milliarden Euro über dem Rahmen, der mit den Projektpartnern wie Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart vereinbart wurde. Diese weigern sich jedoch, die Mehrkosten mitzutragen.

„Fortführung wirtschaftlicher“

„Nach reiflicher Überlegung“ sei der Aufsichtsrat „zu der Entscheidung gekommen, das Projekt S 21 fortzuführen“, erklärte der Aufsichtsratsvorsitzende Utz-Hellmuth Felcht. Aus Sicht des Aufsichtsrates habe der Vorstand plausibel dargelegt und „in kritischen Diskussionen“ bestätigt, dass eine Fortführung des Bauprojektes für die Bahn wirtschaftlich vorteilhafter sei als ein Abbruch. In den zusätzlichen zwei Milliarden Euro seien bereits ermittelte sowie weitere mögliche Mehrkosten enthalten.

Mit dem Ja hat das Kontrollgremium dem Vorstand freie Hand für wichtige Bauschritte gegeben, um den Stuttgarter Kopfbahnhof in eine unterirdische Station samt Anbindung an die Schnellbahnstrecke nach Ulm umzuwandeln: Der fast zehn Kilometer lange Fildertunnel soll Anfang Mai angegangen werden. Im August wird begonnen, die Baugrube für den geplanten Tiefbahnhof auszuheben. Nach Baubeginn kann das Projekt dann nicht mehr gestoppt werden.

Merkel erhöhte Druck

Vor der Abstimmung standen die Aufsichtsräte unter enormem politischen Druck. Nach dem Desaster beim Berliner Flughafen und der Elbphilharmonie in Hamburg war die Vorgabe klar: Ein weiteres Großprojekt durfte nicht mehr scheitern. Sowohl die deutsche Kanzlerin Angela Merkel als auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) hatten sich wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung für das Vorhaben starkgemacht. Entsprechend klar fiel dann auch die Abstimmung im Aufsichtsrat aus. Mit nur einer Gegenstimme wurde die Weiterführung des Projekts beschlossen.

Ausstieg knapp teurer als Weiterbau

Doch wirklich viel Freude bereitet Stuttgart 21 den Verantwortlichen nicht. „Mit dem heutigen Kenntnisstand würde man das Projekt nicht beginnen, sehr wohl aber fortführen“, heißt es in Konzernunterlagen für den Aufsichtsrat. Das ganze Bahnprojekt ist eigentlich unwirtschaftlich, die Kosten für einen Ausstieg wären jedoch noch teurer. Aber nur wenn der Finanzrahmen eingehalten wird. Denn die Vorteile des Weiterbaus liegen lediglich bei mageren 70 Millionen Euro.

Luftaufnahme des Stuttgarter Bahnhofsgeländes

AP/dapd/Daniel Maurer

Die Kosten für den Umbau des Kopfbahnhofes Stuttgart explodierten

Allerdings wird sich auch der Weiterbau auf die Bilanz der mit 16,8 Milliarden Euro verschuldeten Bahn auswirken. Bis 2017 werden die Verbindlichkeiten nicht wie geplant um über eine Milliarde sinken, sondern nur um etwa 300 Millionen Euro. Bei einem Ausstieg jedoch würden sie auf über 17 Milliarden Euro klettern, heißt es in den Unterlagen.

Grüne: „Beschluss ist ein Skandal“

Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des deutschen Bundestages, Anton Hofreiter (Grüne), kritisierte die Entscheidung des Aufsichtsrats scharf: „Der Beschluss ist ein Skandal.“ Das Zahlenwerk, das der Vorstand vorgelegt habe, werde rasch überholt sein. „Dies wird die erneute Prüfung durch den Bundesrechnungshof ergeben, die in den nächsten Monaten vorgelegt wird.“ Kanzlerin Merkel habe das Thema nur aus dem Wahlkampf heraushalten wollen - koste es, was es wolle.

Der Plan könnte aber nicht aufgehen. Denn die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, sieht im umstrittenen Bahnhofsprojekt sehr wohl ein Wahlkampfthema bei der Bundestagswahl, wie sie der „Bild“-Zeitung (Mittwoch-Ausgabe) sagte. Merkel habe „ja schon mal eine Wahl zur Abstimmung über Stuttgart 21 erklärt - und verloren“. Künast spielte damit auf die von der CDU verlorene Landtagswahl 2011 in Baden-Württemberg an.

Bahn-Chef Rüdiger Grube machte am Dienstag jedoch deutlich, dass es für ihn auch nach der Bundestagswahl kein Zurück mehr gibt: „Ich würde mir wünschen, dass wir uns jetzt wirklich bemühen, das Projekt schnell umzusetzen.“ Denn jeder Tag koste Geld.

Zusatzprojekt vorerst gestrichen

Die Bahn hatte bereits Ende letzten Jahres dem Aufsichtsrat vorgeschlagen, das Projekt weiterzubauen. Das Gremium lehnte damals eine Zustimmung jedoch ab und verlangte weitere Informationen vom Vorstand. Schwer taten sich mit der Entscheidung im Aufsichtsrat vor allem die Gewerkschaften, die derzeit in Tarifverhandlungen mit der Bahn stehen und das Ja zu den milliardenschweren Lasten für das Unternehmen nun ihren Mitgliedern erklären müssen.

Das Unternehmen muss nun die Kosten zunächst selbst übernehmen. Zusatzprojekte wie eine veränderte Anbindung des Stuttgarter Flughafens, die mit mehr als 200 Millionen Euro zu Buche schlagen wird, will die Bahn nun ohne Beteiligung der Partner aber nicht mehr umsetzen. Notfalls erwägt das Unternehmen auch eine Klage gegen die Projektpartner. Es beruft sich auf eine sogenannte Sprechklausel, die im Vertrag bei Zusatzkosten eine Verständigung unter den Parteien vorsieht.

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