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Vom „Arme-Leute-Essen“ zur Delikatesse

Die Empörung war groß, als in Fertigprodukten, in denen eigentlich Rind sein sollte, Pferdefleisch gefunden wurde. Die Konsumenten fühlten sich nicht nur durch den Etikettenschwindel betrogen, auch die Aussicht, unwissentlich Pferd gegessen zu haben, sorgte bei vielen für Ekel. Nicht so sehr in Österreich - dank des Skandals feiert hierzulande Pferdefleisch eine Renaissance.

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„Das Interesse hat deutlich zugenommen“, erklärt Margarete Gumprecht gegenüber ORF.at. Im oberösterreichischen Familienbetrieb in Enns werden seit 86 Jahren Pferde geschlachtet und vor allem als Leberkäse nach Wien verkauft. Dass sich Pferd in der Bundeshauptstadt so großer Beliebtheit erfreut, erklärt sich Gumprecht mit dem hohen Traditionsbewusstsein der Wiener. „Wer zum Würstlstand geht, will dort Altbewährtes essen“, erklärt Gumprecht. „Das gehört in Wien dazu wie die Sachertorte.“

Mit dem Opa zum Pferdefleischer

Auch Rudolf Schuller, der an sechs Standorten in Wien und Schwechat Pferdefleisch verkauft, schwört auf seine Stammkunden. „Oft sind das Kunden, die schon mit ihren Eltern und Großeltern beim Pferdefleischer waren“, erzählt Schuller. Bei Wienern habe Pferdefleisch eine lange Tradition, Menschen aus anderen Bundesländern würden meist von Freunden mitgenommen. „Und wer es einmal probiert hat, der kommt wieder.“

Fleischwaren

ORF.at/Gabriele Greiner

Rund 30 verschiedene Produkte stellt die Firma Gumprecht aus Pferdefleisch her

Mittlerweile umfasst das Sortiment von Gumprecht sieben verschiedene Leberkäsesorten, aber auch Würste, Schinken und Frischfleisch, also „alles, was es vom Rind auch gibt“, so Gumprecht. Auch preislich ist man vom „Billigfleisch“ weit entfernt. So kostet frisches Schnitzelfleisch vom Pferd 12,90 Euro pro Kilogramm und ist damit sogar etwas teurer als vergleichbares Rindfleisch. „Pferdefleisch ist mittlerweile eine Delikatesse“, erklärt Gumprecht.

Wobei auch beim gekennzeichneten Pferdeleberkäse nicht nur Pferd drinnen ist, wie Schuller erklärt. „Das würde nicht schmecken, da Pferdefleisch so mager ist.“ Neben 35 Prozent Pferdefleisch stammt der Großteil daher vom Schwein. „Man braucht den Speck einfach als Geschmacksträger.“

Ein Leberkäsesemmerl pro Kopf

Vom Massenprodukt ist Pferdefleisch dennoch weit entfernt. In Österreich werden - wissentlich - rund 43 Gramm Pferd pro Kopf und Jahr konsumiert, das entspricht in etwa der Menge einer Leberkäsesemmel. Insgesamt wurden 2011 laut Statistik Austria 194 Tonnen Pferdefleisch produziert, das ist ein Anteil von gerade einmal 2,1 Prozent an der gesamten Fleischproduktion. In Tierzahlen entspricht es in etwa 1.000 Pferden oder Fohlen. Der Hauptteil der Schlachtungen wird von der Familie Gumprecht übernommen, der Rest stammt aus Eigenproduktionen von Landwirten.

Glaubenskrieg auf dem Rücken der Pferde

Dass Pferdefleisch nach wie vor ein Nischenprodukt ist, liegt auch an einem Verbot von Papst Gregor III., der im 8. Jahrhundert Pferdefleisch als „unrein“ brandmarkte und den Verzehr untersagte. Über die genauen Hintergründe sind sich Experten uneinig. Die islamische Vorherrschaft hatte in dieser Zeit ihren Höhepunkt erreicht, und in Rom bereitete man sich auf die ersten Kreuzzüge vor. Das päpstliche Verbot könnte als Schutz für die wertvollen Kriegspferde gedacht gewesen sein.

Auf der anderen Seite bemühte sich die römisch-katholische Kirche um die Missionierung der Germanenvölker. In den germanischen Religionen war das Pferd ein wichtiges Opfertier und wurde als Speise sehr geschätzt. Die Verehrung des Pferdes als Kult- und Schlachttier könnte den Christen daher ein Dorn im Auge gewesen sein. Was auch immer der Grund gewesen sein mag, es dauerte bis ins 19. Jahrhundert, bevor Pferdefleisch in Europa für den Verkauf wieder zugelassen wurde.

Seinen negativen Ruf erwarb sich Pferdefleisch dann vor allem während der zwei Weltkriege, als tote Pferde am Straßenrand von der hungernden Bevölkerung zerteilt und gegessen wurden. In der Nachkriegszeit erhielt man für Lebensmittelmarken doppelt so viel Pferde- wie Rindfleisch - was vor allem in Deutschland zum Ruf als „Arme-Leute-Essen“ beitrug. Doch trotz aller Verbote und Ressentiments hielt sich Pferdefleisch hartnäckig auf den deutschen Speisekarten. So wird der traditionelle Rheinische Sauerbraten bis heute mit Pferdefleisch zubereitet.

Haflinger und Noriker immer öfter auf dem Teller

In den 90er Jahren, als bewusste Ernährung immer mehr zum Trend wurde und fettarme Fleischsorten sich wachsender Beliebtheit erfreuten, wurde man wieder auf Pferdefleisch aufmerksam. Denn das Fleisch ist magerer und feinfasriger als Rind- oder Schweinefleisch, enthält besonders viel Eisen, dafür weniger Purinstoffe. Vom Geschmack her ist es etwas süßlicher als Rindfleisch und erinnert ein wenig an Wild. Aber vor allem hat es einen entscheidenden Vorteil: Pferde werden nicht als Masttiere gehalten und sind garantiert aus Österreich.

Haflinger-Pferde

Fotolia/Nadine Haase

Haflinger-Stute mit Fohlen

„Unser Pferdefleisch kommt ausschließlich aus heimischen Ställen“, versichert Gumprecht. Als Schlachttiere kommen alle Pferde in Frage die laut ihrem EU-Pferdepass dafür deklariert sind. „In dem Pass wird festgehalten, welche Medikamente ein Pferd bekommt“, erklärte Tierarzt Wigbert Roßmanith vom niederösterreichischen Veterinäramt gegenüber ORF.at, „Schlachttiere unterliegen hier strengen Regeln.“ Zur Verarbeitung können Pferde aller Rassen herangezogen werden, am häufigsten landen jedoch Haflinger und Noriker beim Schlachter.

„Deutliche Qualitätsunterschiede“

„Aber es gibt natürlich deutliche Qualitätsunterschiede“, so Roßmanith. Das Fleisch, das in Österreich in den Handel kommt, ist kontrolliert und qualitativ hochwertig und nicht vergleichbar mit dem deutlich billigeren Pferdefleisch, das in Fertigprodukten wie Lasagne oder Tortelloni entdeckt wurde. Roßmanith vermutet, dass dafür vor allem alte Pferde oder nutzlos gewordene Zugtiere aus Rumänien verarbeitet wurden. Zwar müssten auch im EU-Land Rumänien alle Pferde einen Pass haben, ob dort die Kontrollen ähnlich streng wie hierzulande sind, will Roßmanith aber nicht garantieren.

Auch die Haltung der Pferde unterscheidet sich deutlich von der von Schweinen oder Rindern. „Pferde sind als Masttiere völlig ungeeignet“, erklärt Pferdefleischexpertin Gumprecht. Da sie viel langsamer Gewicht zulegen, wäre es unrentabel. Und auch die Nachfrage ist zu gering. In Österreich werden in der Woche nur etwas mehr als eine Handvoll Pferde verarbeitet. Die meisten stammen von Züchtern, die keine Abnehmer für ihre Tiere finden, oder wo Tiere nicht den Zuchtrichtlinien entsprechen.

Kärntner Bauern satteln um

Im Kärntner Gailtal, ein bekanntes Zuchtgebiet für Haflinger und Noriker, haben Bauern mittlerweile angefangen, selbst Pferdefleisch zu verarbeiten. „Wir wollen den stressfreien Schlachtverlauf und wollen den Tieren den langen Transport nach Italien ersparen", erklärte Bernhard Striedner vom Pferdebauernhof in Görtschach. Auch wenn man dort Verständnis dafür hat, wenn Menschen aus emotionalen Gründen Pferdefleisch nicht essen wollen. Früher einmal habe man mehr davon gegessen, räumt Pferdebäurin Michaela Striedner ein, „aber vom Gesundheitsfaktor ist es ‚on the top‘“ - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

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