Front gegen „bequemes“ Verschleiern
Der Skandal um nicht deklariertes Pferdefleisch in Fertigprodukten zeigt eines: Die Kennzeichnungspflichten für den Handel sind zu lasch. So lasch jedenfalls, dass Konsumenten beim Kauf eines Großteils der Lebensmittel nicht nachvollziehen können, woher die Bestandteile stammen und wo sie verarbeitet wurden.
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In der Regel - Ausnahmen sind vor allem Bioprodukte, deren Hersteller sich strengeren Kennzeichnungsregeln und -kontrollen unterwerfen müssen - scheint nur der letzte Verarbeiter auf dem Produkt auf. Greenpeace und die Grünen drängen hierzulande nun darauf, dass sich die Regierung auf EU-Ebene verstärkt für schärfere Herkunftsbezeichnungen einsetzt. Es sei eine „Frechheit“ und eine „Zumutung“, dass es für Konsumenten hier keine Klarheit gebe. Es gehe nicht an, dass etwas ganz anderes drinnen sei, als draufstehe, so die Konsumentensprecherin von Greenpeace, Claudia Sprinz, gegenüber ORF.at. Das sei ein „typischer Fall von Betrug“.
„Alles Mögliche zusammengekauft“
Mit dem Lebensmittelkonzern Nestle hat der Skandal um falsch etikettierte Fertiggerichte auch Markenprodukte erreicht. Auffällig war ja, dass zunächst ausschließlich die billigen Eigenmarken von Supermarktketten betroffen waren. Die Supermarktketten produzieren freilich diese Fertiggerichte nicht selbst. Vielmehr beauftragen sie laut Sprinz in der Regel Markenhersteller, für die diese Eigenmarkenschienen mittlerweile einen nicht unwesentlichen Anteil ihres Umsatzes ausmachten. Aufgrund des hohen Preisdrucks werde dann offenbar „alles Mögliche zusammengekauft“.
Tatsächlich wird Fleisch für die betroffenen Fertigprodukte aus Fleischteilen hergestellt, die nicht als Frischfleisch verkauft werden dürfen. Laut der Website der Grünen werden diese Fleischreste oft in Tiefkühlquadern gehandelt. Darin komme das Fleisch von Schlachthöfen aus ganz Europa zusammen. Es gehe nicht an, dass die Lebensmittelindustrie „bequem“ verschleiern könne, wie sie zu ihren Billigrohstoffen komme, so der grüne Agrarsprecher Wolfgang Pirklhuber. Nachdem in mehreren Buitoni-Fertiggerichten Pferdefleisch entdeckt worden war, kündigte Nestle an, es wolle die Rückverfolgbarkeit der Bestandteile verbessern.
Entscheidende Infos fehlen
Greenpeace-Sprecherin Sprinz verweist darauf, dass laut Kennzeichnungsverordnung derzeit auf einem Produkt nur derjenige ausgezeichnet wird, der die Ware in den Handel bringt. Das könne sogar dazu führen, dass auf einem Produkt nur der Importeur aufscheine. Die wirklich relevanten Informationen für den Konsumenten fehlten dabei.
Sprinz sieht die Produzenten und den Handel, die Politik, aber auch die Konsumenten gefordert: Erstere sollten bereits jetzt zumindest auf ihren Websites genaue Informationen zu ihren Produkten zur Verfügung stellen. Auskunft über die Herkunft der Bestandteile und etwa auch die CO2-Bilanz des Produkts und den Energieaufwand, sollten die Unternehmen als Wettbewerbsvorteil nützen, mit dem sie sich qualitativ von den Mitbewerbern abheben könnten.
Auch Konsumenten gefordert
Der heimische Lebensmittelmarkt sei derzeit eine „Farce“, da die drei Großen - Hofer, REWE und Spar - drei Viertel des Marktes beherrschten. Einige wenige Einkäufer würden damit diktieren, welche Auswahl es in den heimischen Supermärkten gibt. Wichtig wäre es, die Preisspirale nicht ständig nach unten zu drücken. Die Politik müsse die Lebensmittelindustrie zu schärferen Kennzeichnungsstandards zwingen. Die EU-Gesetzgebung sei aber aufgrund des Lobbyings der Industrie entsprechend langsam.
Freilich müssten auch die Konsumenten Verantwortung übernehmen: Sprinz betont, dass es natürlich viele Menschen gebe, die dazu gezwungen seien, ausschließlich auf den Preis zu schauen. Doch für die Durchschnittsösterreicher sei wohl auch ein etwas höheres Preisniveau bei Lebensmitteln zumutbar. Sprinz verweist dabei etwa auf das immer dichter werdende Netz an Biohauszustellern, die neben Frischware längst auch zahlreiche andere Lebensmittel anbieten.
Pirklhuber rät den Österreichern grundsätzlich von Fertigprodukten ab. Je stärker ein Lebensmittel industriell verarbeitet sei, desto größer sei das Risiko, etwas zu essen, das man nicht erwarte. Wer möglichst wenig verarbeitete, biologisch hergestellte und aus der Region stammende Produkte kaufe, sei „auf der sicheren Seite“.
Berlakovich für „Lebensmittel-Reisepass“
Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) will laut Aussendung eine Art „Lebensmittel-Reisepass“ beim nächsten EU-Agrarministergipfel vorschlagen. Dieser soll auch bei verarbeiteten Produkten über Herkunft der wesentlichen Zutaten informieren. Das System soll mit einer EU-weiten Datenbank verknüpft werden, mit der die einzelnen Stufen der Rückverfolgung zusammenführt werden, heißt es aus dem Ministerium.
Stöger: Auch Fertigprodukte kennzeichnen
Das Gesundheitsministerium betonte gegenüber ORF.at, wegen des Binnenmarkts könne die Kennzeichnung grundsätzlich nur EU-weit geregelt werden. Hier sei mit der Verbraucherinformationsverordnung, die im Dezember 2011 mit dreijähriger Übergangsfrist in Kraft trat, bereits ein „großer Schritt“ gemacht worden. So muss künftig neben Rindfleisch auch Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch gekennzeichnet werden. Bis Ende dieses Jahres prüft die EU, ob eine Kennzeichnung bei verarbeiteten Produkten machbar ist, wie das laut einem Sprecher das Gesundheitsministerium seit langem fordert.
Auf nationaler Ebene wäre nur die Einführung neuer oder zusätzlicher Gütesiegel, also eine freiwillige Kennzeichnung, möglich. Laut Gesundheitsministerium setzt sich das Ministerium auf europäischer Ebene dafür ein, dass die Herkunftsbezeichnungspflicht auf verarbeitete Produkte ausgedehnt wird. Zugleich soll die Rückverfolgbarkeit vereinfacht werden: Bisher müsse jedes Glied in der Produktions- und Handelskette nur jeweils denjenigen kennen, von dem es das Rohprodukt gekauft bzw. an den es dieses weiterverkauft habe. Hier setze sich Stöger dafür ein, dass diese Daten in eine europaweite Datenbank eingespeist werden, um so auf einen Blick die Zusammensetzung und Herkunft eines Produkts sehen zu können.
Entschließungsantrag im Parlament
Auch SPÖ-Kanzler Werner Faymann wiederholte am Dienstag diese Forderungen. Regierung und Opposition sind sich einig, dass diese große Lücke in der industriellen europäischen Lebensmittelproduktion geschlossen werden muss. ÖVP-Agrarsprecher Jakob Auer betonte, ausgehend von der „positiven Initiative“ der Grünen werde es einen gemeinsamen Entschließungsantrag aller Parlamentsfraktionen geben, in dem die Regierung dazu aufgefordert wird, auf EU-Ebene Druck auszuüben. Auer betonte, der Skandal sei eine „Schweinerei“, der aber nicht die Bauern, sondern die verarbeitende Industrie betreffe. Auer zeigte sich gegenüber ORF.at überzeugt, dass die Industrie nun nicht mehr um klare Regeln herumkomme.
Der Pferdefleischskandal stärkt die Befürworter strengerer Regeln, auch auf EU-Ebene. Ob nur vorübergehend, bleibt abzuwarten. Das Tauziehen der Interessengruppen in Brüssel und den EU-Hauptstädten geht damit in die nächste Runde.
Guido Tiefenthaler, ORF.at
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