Eintauchen in ein neues Leben
Im Wettbewerb der Berlinale - außer Konkurrenz - ist mit Starbesetzung die Verfilmung von Pascal Merciers Bestseller „Nachtzug nach Lissabon“ gelaufen. Bille August machte das Buch routiniert zu einem opulenten Melodram, das den Schauspielern viel, dem philosophischen Hintergrund der Buchvorlage aber wenig Spielraum lässt.
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Die Brücke, von der sich zu Beginn des Films eine Frau im roten Mantel bei effektvoll strömendem Regen in die Tiefe stürzen will, ist eindrucksvoll ins Bild gesetzt. Das Meer bei Lissabon, die Silhouette der Stadt, ihre engen Gassen und Plätze, die kleinteilige Pflasterung, Straßenbahnen und Bürgerhäuser sind es auch.
Die Besetzung der Verfilmung von Merciers in 32 Sprachen übersetztem Bestseller „Nachtzug nach Lissabon“ kann sich sehen lassen: Jeremy Irons als Lateinlehrer Raimund Gregorius, Jack Huston als Amadeu de Prado, Arzt und Poet, dessen so hellsichtige Wahrheiten den Lehrer aus Bern dazu bringen, sein Leben zu ändern – die Schule zu verlassen und den titelgebenden Nachtzug zu nehmen, um sodann auf den Spuren des (fiktiven) Dichters zu wandeln. Irons zur Seite stehen dabei unter anderen Martina Gedeck und August Diehl (sehr präsent auf dem Festival), Charlotte Rampling, Bruno Ganz und Lena Olin.
Eine Prise Weltschmerz
Der Däne August („Pelle der Eroberer“, „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“) hat aus Merciers Roman einen Film gemacht, der auf ein möglichst breites Publikum zielt. An die Zutaten dafür ist gedacht: populäre Literaturverfilmung, Starbesetzung, schöne Frauen und schöne Worte, opulente Ausstattung, gepflegte Erotik, ein Ausflug in die Schrecken der Salazar-Diktatur, die 1974 mit der Nelkenrevolution zu Ende ging, dazu ein süßlicher emotionsverstärkender Musikteppich, der sich fast über den ganzen Film legt. Eine gehörige Prise Weltschmerz. Und mitten drin Gregorius, der Schritt für Schritt spüren soll, wie unbedeutend sein Leben am Gymnasium in Bern ist, verglichen mit dem revolutionären, hochgestimmten des jung verstorbenen Amadeu de Prado.
„Goldschmied der Worte“
Dieser „Goldschmied der Worte“, wie er genannt wird, der in seinem Denken die Frage umkreist: „Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?“ Die Produktion will es, dass Gregorius zwar in der Lage ist, das Buch De Prados im Original zu lesen, doch sprechen mag er kein Wort Portugiesisch.
Im „Nachtzug nach Lissabon“ wird die gesamte Spurensuche von Bern bis Lissabon auf Englisch abgewickelt. Wo auch immer Gregorius anklopft: Vom Friedhofsgärtner bis zur Kammerzofe, alle wissen sofort Bescheid über die wechselvolle Verstrickung De Prados mit jenem besonders gefürchteten Schergen der Diktatur und mit einer bedrohten Revolutionärin – und alle wissen es in makellosem Englisch. Auch das natürlich eine Produktionsentscheidung in Richtung Weltmarkt, mit der Konsequenz, dass die exotische Kluft zwischen der Schweizer und der portugiesischen Hauptstadt erheblich zusammenschmilzt – der Nachtzug: fast ein Regionalzug.
Paraderolle für Irons
Gregorius ist eine Paraderolle für Irons, der hier als ein wenig linkischer, unermüdlicher Schöngeist die früheren Wirkungsstätten De Prados besucht. Doch ein langweiliger Lateinlehrer, der schon seit Jahren alleine lebt und gegen sich selber Schach spielen muss, das ist er nun nicht.
Filmisch konventionell spinnt August die Suche nach der Wahrheit über Leben und Tod des Dichters fort, Gregorius trifft dabei auf immer neue Weggefährten, deren Berichte dann zur zweiten Filmebene in die 1970er Jahren führen, während sich in der ersten eine scheue Beziehung Gregorius’ zur einsamen Augenärztin Mariana anbahnt, die Gedeck überaus apart verkörpert.
Dem Folterer das Leben retten
Immer mehr findet Gregorius über den verehrten Dichter heraus: Dort, wo heute noch dessen Schwester wohnt, war früher ein Treffpunkt der Revolutionäre. Und dort hatte De Prado einst dem „Schlächter von Lissabon“ das Leben gerettet. Verrat an der Revolution oder ärztliche Pflicht? Ausgerechnet dieser zwiespältige Akt wird später für Amadeu entscheidende Folgen haben. Dann nämlich, wenn er mit seiner Geliebten das Land verlassen will.
Hinweis
„Nachtzug nach Lissabon“ ist ab 8. März in österreichischen Kinos zu sehen.
Die Drehbuchautoren Greg Latter und Ulrich Herrmann haben aus Merciers Buchvorlage eine Abfolge von Dialogszenen gemacht, deren Theatralik wie gemacht dafür ist, um den Darstellern genügend Spielraum zu verschaffen. Dass sie sich darin nicht verzetteln, liegt am routinierten Talent des Regisseurs, der alle Leidenschaften stilsicher in die Form eines klassischen Melodrams gegossen hat. Ein Film, der vorsorglich im Wettbewerb außer Konkurrenz läuft: Wer nichts riskiert, kann nichts verlieren, aber eben auch keine Preise gewinnen. Am Schluss stellt sich die zentrale Frage: Kann man aus seiner Haut heraus? Wird der Lateinlehrer seine Rückfahrkarte nach Bern verfallen lassen?
Alexander Musik, ORF.at aus Berlin
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