„Ich liebe Fleece“
„Rettet mich vor dem Fleece!“ Der Hilfeschrei der Mode-Bloggerin Deborah Ross im britischen „Independent“ verhallte im vergangenen Jahr ungehört. Mittlerweile ist auch sie Besitzerin eines Fleece-Pullovers - wohlgemerkt von einem angesagten Modelabel. Der lange verhasste Plastikstoff erobert die Modewelt - und sorgt damit für gemischte Gefühle.
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Modetechnisch ist London „Resteuropa“ immer einen Schritt voraus. Was dort derzeit angesagt ist, macht sich spätestens nach ein, zwei Saisonen auch in den heimischen Regalen breit. Bei der neuen Trendentdeckung Fleece könnte sich die Insel jedoch bei den Alpenländlern noch einiges abschauen - findet sich hierzulande doch kaum ein Kleiderkasten ohne ein Stück aus kuscheligem Faserpelz.
Leicht, warm, atmungsaktiv
Bezugsquelle ist jedoch nicht die feine Boutique, sondern meist die Outdoorabteilung im Sporthandel. Dort wird Fleece vor allem wegen seines geringen Gewichts, seiner wärmenden Eigenschaften und der hohen Atmungsaktivität von Sportlern gern gekauft. Die Auswahl ist fast unüberschaubar: Vom dünnen Jäckchen für unten drunter bis zum dicken Skipullover ist alles vertreten. Dabei sollte die Orientierung eigentlich nicht schwerfallen. „Je dichter er gewebt ist, desto besser wärmt er auch“, sagt Sieglinde Kaiser vom Sportgeschäft Eybl.

AP/Mark Lennihan
Sportmodehersteller wie der Segelausstatter Nautica setzen ganz auf Fleece
Um die Qualität zu prüfen, rät Kaiser, den Stoff auseinanderzuziehen: Scheint das Grundgewebe durch, ist nicht damit zu rechnen, dass er die von ihm erwarteten Eigenschaften wie Atmungsaktivität tatsächlich hat. Je samtiger sich ein Fleece-Stoff anfühlt, desto geringer ist auch die Gefahr, dass er verfilzt und Knötchen bildet. Zur endgültigen Verwirrung tragen dann noch Bezeichnungen wie Microfleece, Polartec und Tecnopile bei.
1979 begann der Fleece-Siegeszug
Dabei handelt es sich entweder um Qualitätsbezeichnungen - Microfleece ist besonders dünn und leicht - oder um Markennamen. Polartec wird zum Beispiel vom Fleece-Erfinder und Weltmarktführer Malden Mills Industries hergestellt. Das US-Familienunternehmen produziert Fleece-Materialien in den unterschiedlichsten Qualitäten und Eigenschaften für viele namhafte Outdoorausrüster. Tecnopile ist die Marke des italienischen Stoffspezialisten Pontetorto, die unter anderem für Jack Wolfskin und Mammut produziert.
Doch während Kleidung aus Fleece bei Sportlern wahre Begeisterungsstürme auslöst und Jacken für bis zu 250 Euro den Besitzer wechseln, zeigten sich Tendsetter bisher wenig interessiert an dem warmen Faserpelz. Der Widerwille hielt immerhin mehr als 30 Jahre an. Fleece wurde zum ersten Mal 1979 von Malden Mills vorgestellt. Damals wollte man mit Kunstfasern eine möglichst wollähnliche Qualität erzeugen und stellte bald fest, dass die Maschenware aus aufgerauten Polyesterfasern nicht nur besonders kuschelig, sondern auch unglaublich schnell trocknend war.
Wenn der Plastikpulli Funken schlägt
Der Nachteil - wie bei allen Kunstfasern - ist jedoch, dass sich das Material sehr leicht statisch auflädt und so Staub und Fuseln wie ein Magnet anzieht. Noch schlimmer waren jedoch die Auswirkungen auf Frisur (hier soll daran erinnert werden, dass in den späten 80er Jahren die Dauerwelle ihrem Höhepunkt zusteuerte) und zwischenmenschliche Berührungen: Nicht nur beim Kämmen, auch beim vorsichtigen Griff nach der Hand der oder des Angebeteten flogen manchmal Funken. Damit wurde vielen Menschen das Tragen von Fleece-Kleidung endgültig verleidet.
Doch auch 30 Jahre später sind die Winter für Londoner Moderedakteure immer noch lang und kalt, und da kann es passieren, dass nach dem Besuch beim Lieblingsschneider plötzlich ein Fleece-Pullover im Kasten hängt. Zumindest ist das Deborah Ross von der britischen Zeitung „Independent“ passiert. Zunächst versuchte sie sich noch damit zu trösten, den Neuerwerb nur zu Hause zu tragen, doch mittlerweile mutierte er zum absoluten Lieblingstück. „Mag ich ihn? Absolut. Er ist warm, kuschelig und völlig knitterfrei“, schwärmt Ross in ihrer Kolumne.
„Was passiert hier?“, fragt der britische Mode-Blogger Rick Edwards in der Zeitung „Guardian“ fassungslos. Da stapeln sich kunterbunte Fleece-Ponchos beim japanischen Label Uniqlo und Fleece-Jacken im Caro-Design bei Norse Projects. Die spanische Modekette Zara hat für Männer Dufflecoats und für Frauen Blazer aus dem kuscheligen Polyester im Angebot. Selbst strenge Verfechter von Ökomode können Fleece nicht ernsthaft böse sein, schließlich werden für die Herstellung seit 1993 unter anderem PET-Flaschen recycelt.
Trendy nur in der richtigen Kombination
Edwards glaubt die Ursache für den Fleece-Boom entdeckt zu haben. Er vermutet die neu erwachte Begeisterung für alles Skandinavische hinter dem späten Comeback. „Die letzten paar Winter haben eine wahre Explosion an dicken Norwegerpullovern und Hochseefischerjacken gebracht. Da passt das Fleece in seiner Schlichtheit und Zweckmäßigkeit perfekt dazu“, so der Modeexperte. Und dann ringt er sich zu einem überraschenden Geständnis durch: „Ich liebe Fleece“ - auch wenn er einräumt, dass es etwas gedauert hat, bis er sich diese Tatsache eingestehen konnte.
Zu seiner späten Einsicht verhalf ihm eine Jacke von Norse Projects und das Gelöbnis, nie und nimmer etwas von einer typischen Outdoormarke zu tragen. Eigentlich kommt es laut Edwards ohnedies nur darauf an, wie man(n) Fleece kombiniert. Er schlägt klassisch elegante Hosen und Haferlschuhe vor. Oder dunkle Jeans und Turnschuhe von Vans. Die gibt es übrigens auch in einer Winterversion mit warmer Fleece-Fütterung.
Gabi Greiner, ORF.at
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