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Auf Parteitag folgt Ernüchterung

„Wir werden niemals das politische System des Westens kopieren.“ Dieses Motto war am Parteitag der Kommunisten Mitte November 2012 in Peking wiederholt zu hören. Es sagt viel aus: Echte demokratische Reformen nach westlichem Vorbild wird es in China vorerst nicht geben, am alleinigen Machtanspruch der Kommunistischen Partei darf nicht gerüttelt werden. Etwas anderes war auch nicht zu erwarten.

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Wenn die KPCh von politischen Reformen spricht, wie man das beim Parteitag immer wieder tat und worüber die chinesischen Medien auch brav berichteten, dann meinen Chinas Führer Reformen innerhalb der Partei. Dort gibt es unterschiedliche Gruppen und Seilschaften, unterschiedliche Machtblöcke und Meinungen, aber immer ist der Referenzrahmen die KP.

Handverlesene Kandidatenliste

So feierte man etwa groß, dass für das neue Zentralkomitee (ZK), das auch das mächtige Politbüro ernennt, dieses Mal mehr Kandidaten aufgestellt waren, als es Plätze zu vergeben gab. Doch waren alle Kandidaten handverlesen. Kritische Geister schaffen es erst gar nicht auf die Kandidatenliste. Und als über das neue ZK im Plenum der Halle des Volkes in Peking abgestimmt wurde, verwies man Journalisten des Saales. So sieht Demokratie mit chinesischen Merkmalen, wie sie immer wieder beschworen wird, in der Praxis aus. Das Volk hat bei Entscheidungen der Partei nichts mitzureden.

Reihe von Herausforderungen

Die Geheimniskrämerei und die mangelnde Transparenz der mehr als 80 Millionen Mitglieder zählenden KPCh hatte nach dem Parteitag zu einer Welle sarkastischer Kommentare in der Bloggergemeinde geführt. Von heißer Parteitagsluft war die Rede, Bilder von schlafenden Abgeordneten wurden über Kurznachrichtendienste verbreitet und über den Reichtum der Delegierten spekuliert. Es wurde auch gefragt, warum hochbetagte ehemalige Parteiführer noch immer politisch hinter den Kulissen mitmischen, obwohl sie formal längst keine Parteiämter mehr innehaben.

Die Zensoren haben alles darangesetzt, solche Kommentare zu löschen. Doch gelungen ist ihnen das bei weitem nicht immer. Chinas Führer hören mittlerweile aber auch genau zu, welche Kritik in Internetforen geäußert wird. Dass das Rechtssystem reformiert gehört, dass die grassierende Korruption bekämpft werden muss, dass die Menschen die behördliche Willkür satthaben, dass die Einkommensunterschiede immer weiter zunehmen, dass umfangreiche Wirtschaftsreformen notwendig sind, wenn China seinen ökonomischen Aufstieg weiterhin so eindrucksvoll fortsetzen will: Das alles ist den neuen Führern mit Sicherheit bewusst.

„Der Mann von Peng Liyuan“

Die Frage ist nur, ob sie auch bereit sein werden, schmerzhafte Reformen durchzuführen und einflussreichen Gruppen auch innerhalb der Partei wehzutun, die vom bisherigen System bestens profitiert haben. Wer sind die neuen Führer im Ständigen Ausschuss des mächtigen Politbüros, in dem praktisch alle wichtigen Entscheidungen getroffen werden?

Es sind wieder nur Männer, insgesamt sieben an der Zahl. An der Spitze steht mit Xi Jinping ab sofort der neue Parteichef, der nun auch das Präsidentenamt übernehmen wird. Gemeinsam mit Li Keqiang, der nächster Premierminister wird, soll Xi zehn Jahre lang die Geschicke des Landes lenken. Xi ist ein „Prinzling“, wie man in China Sprösslinge aus rotem Parteiadel nennt. Über ihn ist wenig bekannt. Fragt man, wer er ist, dann antworten Chinesen meistens: „Der Mann von Peng Liyuan.“ Peng ist eine der berühmtesten Volkssängerinnen Chinas. Xi dagegen ist ein großer Unbekannter.

Rückendeckung von Jiang Zemin

Er hat sich jedenfalls geschickt und still nach oben gearbeitet und sich ganz offensichtlich dabei wenige Feinde gemacht. Und er hat die Unterstützung des früheren Präsidenten Jiang Zemin, der immer noch als graue Eminenz der Partei hinter den Kulissen die Fäden zieht. Xi wird mit den Worten zitiert, dass die Entwicklung Chinas nicht nachhaltig und Reformen notwendig seien.

Dabei dürfte er wohl vor allem wirtschaftliche Reformen meinen. Denn die Zusammensetzung des neuen Politbüros lässt vermuten, dass tiefgreifende politische Reformen kaum auf der Tagesordnung stehen. Auch ein echter Generationswechsel sieht anders aus.

Kein Platz für liberale Ansichten

Fünf der sieben Mitglieder im Ständigen Ausschuss des Politbüros sind über 64 Jahre alt. Die konservativen Kräfte haben sich ziemlich klar und eindeutig durchgesetzt. Zwei hochrangige Parteiführer, die für ihre relativ liberalen Ansichten bekannt sind, die manche gar als Fahnenträger einer Reformpolitik ansehen, schafften es nicht in das höchste Gremium der Macht.

Die Partei setzt auf Stabilität und Kontinuität. Doch sind die Erwartungen innerhalb der Bevölkerung riesig. „Ihr werdet jedes Jahr reicher, dafür lasst Ihr uns regieren und dürft nicht mitreden.“ Dieser Deal der Kommunistischen Partei mit ihren Untertanen hat in den vergangenen drei Jahrzehnten im Großen und Ganzen funktioniert. In letzter Zeit wird er immer öfter infrage gestellt. So werden es die nächsten zehn Jahre zeigen, ob die neuen Machthaber weiterhin so fest im Sattel sitzen bleiben wie ihre Vorgänger.

Jörg Winter, ORF-China-Korrespondent

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