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Geharnischte Worte Richtung Israel

Das Machtgefüge in Nahost ist durch den „arabischen Frühling“ durcheinandergeraten. Das zeigt sich auch an der Abkühlung des Verhältnisses zwischen den beiden Nachbarn Israel und Ägypten. Unter Hosni Mubarak hätte Ägypten Israels Militärschläge gegen die palästinensische Hamas zwar verurteilt, sich aber nicht mit den Radikalislamisten solidarisch erklärt, wie das nun der Fall ist.

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Für Israel ist die Militäraktion im Gazastreifen daher ein zweischneidiges Schwert. Nach ersten Befürchtungen wegen der Wahl des ehemaligen Muslimbruders Mohammed Mursi zum ägyptischen Präsidenten hatte sich das Verhältnis schnell wieder gefestigt. Doch nun belastet nicht nur der Solidaritätsbesuch des ägyptischen Ministerpräsidenten Hischam Kandil im Gazastreifen das bisher gute Verhältnis zum Nachbarn Ägypten.

„Unverhüllter Angriff auf Menschlichkeit“

Mursi verurteilte die israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen als „unverhüllten Angriff auf die Menschlichkeit“. Ägypten werde die Palästinenser in dieser Lage nicht im Stich lassen, sagte Mursi nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur MENA am Freitag. Bereits am Mittwoch hatte Mursi den Botschafter aus Israel abgezogen und eine Dringlichkeitssitzung der Arabischen Liga und der UNO wegen der israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen gefordert.

Das Schicksal der Palästinenser ist nach Ansicht Mursis das drängendste Problem der Weltpolitik. „Das palästinensische Volk muss die Früchte von Freiheit und Würde kosten können“, sagte Mursi bereits Ende September in seiner ersten Rede vor der UNO-Vollversammlung in New York. „Das erste Problem, das die Welt auf Basis von Recht und Würde bewältigen muss, ist die palästinensische Sache.“

Ohne Israel direkt zu nennen, machte er das Nachbarland für die Situation verantwortlich. „Es ist beschämend, dass die freie Welt es hinnimmt, dass ein Mitglied der internationalen Gemeinschaft den Palästinensern trotz ihrer gerechten Ansprüche weiterhin das Recht auf eine Nation und Unabhängigkeit verweigert“, so Mursi im September.

Demonstrative Solidarität

Auf die jetzigen israelischen Luftschläge auf den Gazastreifen reagierte Ägypten mit geharnischter Kritik an Israel und demonstrativer Solidarität mit der Hamas. Die fortwährenden Angriffe der Hamas auf Israel erwähnte Mursi nun mit keinem Wort. Der ägyptische Ministerpräsident Hischam Kandil hatte während eines Besuchs im Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt den Leichnam eines getöteten Buben kurz in den Arm genommen. „Das ist ein sehr trauriger Augenblick“, sagte Kandil vor Journalisten.

Ägyptens Ministerpräsident Hischam Kandil und Hamas-Führer Ismail Hanija

Reuters/ Ahmed Zakot

Ägyptens Ministerpräsident Hischam Kandil und Hamas-Führer Ismail Hanija

Er habe noch das Blut des Buben an seinem Anzug, stärkte Kandil der palästinensische Seite den Rücken. Der Achtjährige war laut palästinensischen Angaben kurz nach Mitternacht bei einem israelischen Luftangriff in Beit Hanun getötet worden. Er werde sich für ein Ende der Gewalt zwischen beiden Seiten einsetzen, so Kandil.

Er rief zu einem Waffenstillstand zwischen Palästinensern und Israel auf. „Wir bemühen uns, einen Waffenstillstand zu erreichen, der dauerhaft hält, bis ein gerechter Frieden erreicht ist“, sagte Kandil bei einer Pressekonferenz mit dem Chef der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen, Ismail Hanija. Ägypten stehe unverbrüchlich auf der Seite der Palästinenser. Die Opfer der israelischen Angriffe bezeichnete Kandil als „Märtyrer“.

Wer hat den Waffenstillstand gebrochen?

Zuvor war es zwischen Israel und der Hamas zu einem Streit gekommen, wer den ausgemachten Waffenstillstand während des Besuchs von Kandil denn eigentlich gebrochen habe. „Die Hamas respektiert nicht den Besuch des ägyptischen Ministerpräsidenten im Gazastreifen und verletzt die vorübergehende Feuerpause, in die Israel vor dem Besuch eingewilligt hat“, erklärte ein Sprecher von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu über den Kurznachrichtendienst Twitter. Die Hamas sah das naturgemäß anders und beschuldigte Israel, zuerst wieder geschossen zu haben.

Kandil beendete seinen Solidaritätsbesuch im Gazastreifen aufgrund der Lage frühzeitig. Am Grenzübergang Rafah stieg er am Freitagvormittag in einen Hubschrauber und flog in Richtung Kairo ab. Ursprünglich sei geplant gewesen, dass Kandil noch bis nach der Freitagspredigt im Gazastreifen bleibe, hieß es in Rafah. Aufgrund neuerlicher israelischer Angriffe habe er jedoch beschlossen, seinen Besuch abzukürzen, hieß es von palästinensischer Seite.

Ablenkung von Problemen in Ägypten

Wegen ihrer innenpolitischen Probleme hat die ägyptische Führung unter Mursi positive Schlagzeilen im Moment bitter nötig. Liberale und christliche Ägypter protestieren gegen den Verfassungsentwurf, der ihrer Ansicht nach zu sehr auf die Muslimbrüder und ihre Ziele zugeschnitten ist. Der ägyptische Schuldenberg wächst weiter. Teile der Sinai-Halbinsel entziehen sich inzwischen staatlicher Kontrolle. Die Bewohner von Kairo klagen über häufige Stromausfälle. Eine „Ablenkung“ von innenpolitischen Problemen kommt da gerade recht.

Auch Türkei mobilisiert für die Hamas

Doch noch ein anderes wichtiges Land in der Region stellt sich gegen Israel. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, ein gemäßigter Islamist, will angesichts der Eskalation im Nahen Osten um mehr internationale Unterstützung für die Palästinenser werben. Die Türkei stehe an der Seite des Volkes in Gaza, zitierte die türkische Nachrichtenagentur Anadolu den Regierungschef am Freitag. Erdogan wolle in der Sache noch am Freitag mit US-Präsident Barack Obama telefonieren.

Aus der Türkei war scharfe Kritik an israelischen Angriffen auf das Palästinensergebiet gekommen. Außenminister Ahmet Davutoglu bezeichnete das Vorgehen als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Staatspräsident Abdullah Gül sagte, die israelische Regierung mache angesichts bevorstehender Wahlen eine „blutige Investition“.

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