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Ernst statt „Bunga Bunga“

In seinem ersten Jahr Amtszeit hat der italienische Ministerpräsident Mario Monti scharfe Kritik hinnehmen müssen. Die Gewerkschaften werfen ihm vor, in seinem von der Rezession geplagten Land zu wenig für die Ankurbelung der Wirtschaft getan zu haben. Die Menschen gehen auf die Barrikaden.

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Als „Rezessionspremier“ prangerte auch Montis Vorgänger Silvio Berlusconi seinen Nachfolger an. Mit einer lediglich auf Steuerpolitik basierenden Sanierungsstrategie habe er den Konsum in Italien erdrosselt und Investoren verschreckt. Italien erlebe den drastischsten Konsumrückgang seit dem Zweiten Weltkrieg, klagt der Kaufleuteverband Confcommercio. Bis Ende dieses Jahres dürfte das italienische Bruttoinlandprodukt um 2,4 Prozent schrumpfen. 30 Prozent der italienischen Unternehmen rechnen im laufenden Jahr mit Verlusten, geht aus einem Bericht der Notenbank hervor.

Die Zustimmung zu Montis Politik ist angesichts seiner teils unpopulären Reformen im Laufe seiner Amtszeit gesunken, liegt aber laut Umfragen immer noch bei etwa 40 Prozent. Bei seiner Amtsübernahme hatten noch gut 70 Prozent der Italiener Monti vertraut. Auch die Behauptung seiner Gegner, im Dienst der hohen Finanz zu stehen, belastet Monti immer wieder.

Kritik von weit rechts - und links

„Montis Technokraten und ihre Lobbys haben dem italienischen Volk und Parlament die Demokratie genommen“, protestierte der Spitzenpolitiker der Lega Nord und Ex-Minister Roberto Calderoli. Als einzige Oppositionspartei im italienischen Parlament setzt die rechtspopulistische Lega der neuen Expertenregierung in Rom heftigen Widerstand entgegen und fordert ein Anti-Euro-Referendum.

Auch in der Bevölkerung brodelt es. Rasch kommt es bei den zahlreichen Protestkundgebungen zu Ausschreitungen - das Aggressionspotenzial ist hoch. Am Mittwoch etwa gingen Zehntausende Menschen in allen italienischen Großstädten auf die Straße, um gegen die Krisenpolitik der Regierung Monti und der EU zu protestieren. Die größte Gewerkschaft CGIL hatte zum vierstündigen Generalstreik aufgerufen, viele linke Vereinigungen schlossen sich an. In Schulen und im Verwaltungsbereich wurde die Arbeit niedergelegt. Züge standen vier Stunden lang still.

Ausschreitungen bei Protesten

Italiens Gewerkschaften reagierten damit auf einen Appell des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB), der für den 14. November zum europäischen Aktions- und Solidaritätstag gegen die Sparpolitik in Europa aufgerufen hatten. Die größte Protestkundgebung fand in Rom statt.

Zehntausende Schüler, Studenten, Arbeitslose und Anhänger linksorientierter Parteien versammelten sich auf der zentralen Piazza della Repubblica und zogen in Protestzügen durch die Innenstadt. Zur Vorbeugung von Krawallen wurden zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Dennoch bewarfen einige Demonstranten Sicherheitskräfte mit Steinen, die sie daran hinderten, bis zum Regierungssitz zu gelangen. Es sind nicht die ersten Ausschreitungen in Italien in diesem Jahr.

Nächste Legislaturperiode steht bevor

Unklar ist, wie es nach Ende der Legislaturperiode weitergehen wird. Die Aussicht auf eine zweite Regierung Monti nach den Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr ist trotz aller Kritik an seiner Politik alles andere als unrealistisch. Der Premier erklärte kürzlich, er sei bereit, sich weiter „in den Dienst des Landes“ zu stellen.

Gemäßigte Zentrumsparteien haben in Rom bereits ihre Bereitschaft signalisiert, eine zweite Regierung Monti zu unterstützen. Monti wollte lange nicht als Kandidat an den kommenden Parlamentswahlen teilnehmen, schließlich sitze er bereits als Senator auf Lebenszeit im Parlament. Mittlerweile zeichnet sich ein gemeinsames Bündnis mit Ferrari-Chef Luca Cordero di Montezemolo und der Vorsitzende der christdemokratischen UDC Pier Ferdinando Casini ab.

Kulturschock für Italien

Der Wandel in Italien seit Montis Machtübernahme ist jedenfalls ein gewaltiger. Vier Tage nach Berlusconis Rücktritt legte der von Staatspräsident Giorgio Napolitano als Rettungsanker ausgesuchte, also nicht gewählte Wirtschaftsfachmann in Rom den Amtseid ab. Napolitano hatte ihn sofort nach dem Abgang des Mannes, den seine Gegner für die Stagnation Italiens verantwortlich machten, um die Bildung einer „Technokratenregierung“ gebeten. Das Land rieb sich die Augen, während Monti die Ärmel aufkrempelte.

Berlusconi wie Monti stammen aus dem Norden Italiens, sie könnten aber doch unterschiedlicher kaum sein. Der schillernde und leutselige Berlusconi, von Skandalen und der Justiz verfolgt, schien nach nahezu zwei Jahrzehnten in der Politik am Ende zu sein. Ihm folgte der so „unitalienisch“ leise Monti.

Nichts mehr mit „Bunga Bunga“

Monti kennt Skandale nicht. Er verzichtete auf sein Gehalt, begann im Eiltempo mit der Arbeit und brachte die drittgrößte Volkswirtschaft in den Kreis der entscheidenden Länder zurück. Italien verordnete er die Schuldenbremse, ein 26-Milliarden-Sparpaket sowie eine Pensions- und eine Arbeitsmarktreform. Kürzungen und Steuererhöhungen waren also zunächst angesagt. „Eine bittere Medizin, die aber dem Land gut tut“, erklärte der 69-jährige Bankierssohn aus Varese in der Lombardei. Tief in einer Rezession braucht das Land nach Montis Rotstiftpolitik jetzt Wirtschaftswachstum, um aus dem Tränental zu kommen.

„Licht am Ende des Tunnels“

Monti sucht bei aller Kritik an der rigiden Politik der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel die europäische Achse, vor allem mit Frankreichs Präsidenten Francois Hollande. Und der Regierungschef rechnet offenbar schon damit, das Land auch über den Wahltag im Frühjahr hinaus zu führen. Auch der Brite Tony Blair und der Spanier Jose Maria Aznar seien nach unpopulären und schmerzhaften Reformen wiedergewählt worden, erklärte er dem Pariser Wirtschaftsblatt „Les Echos“. Immer wieder sagt Monti, die Italiener seien reifer als die Politiker des Landes. Licht sei am Ende des Tunnels auch zu erkennen.

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