„Truman Show“ für Pauschaltouristen
Egal ob die Realität durch Fotokunst zur scheinbaren Utopie wird oder umgekehrt: In der Ausstellung „distURBANces“, die im Rahmen von Eyes On - Monat der Fotografie - in der Wiener Galerie MUSA zu sehen ist, zeigen 17 Künstler ihre Arbeiten, die sich alle in unterschiedlicher Weise der fotografischen Verflechtung zwischen Wahrheit und Fiktion widmen.
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Das Ausgangsmaterial für ihre Arbeit holt sie aus dem Internet, gibt die Luxemburger Künstlerin Justine Blau bei der Pressekonferenz zur Eröffnung der Ausstellung unumwunden zu. Aus unterschiedlichsten Landschaftsmotiven - „es gibt ja genug davon“ - setzt sie neue fiktive Welten zusammen zu dreidimensionalen Modellen, von denen eines auch im MUSA zu sehen ist.
Aus weiterer Entfernung wirkt die Installation wie eine realistische Naturaufnahme - majestätische Berge erheben sich vor Almwiesen und Nadelwäldern, schroffe Canyons vor Wüstenlandschaften. Erst bei näherem Hinsehen eröffnet sich die detailreiche Arbeit, die unzählige Bilder zu einer großen Illusion verschmelzen lässt.

Peter Bialobrzeski, courtesy: L.A. Galerie - Lothar Albrecht, Frankfurt
Peter Bialobrzeski hat für seine Serie „Paradise Now“ das Zusammenspiel von Architektur, Illumination und Natur in asiatischen Großstädten porträtiert
„Fake Holidays“ für Pauschaltouristen
Genaueres Hinsehen lohnt sich auch bei Reiner Riedlers „Fake Holidays“. Der Gmundner Fotograf hat sich für seine Bilderserie an Orte begeben, an denen künstliche Paradiese für Touristen geschaffen werden - etwa in „Europas größte tropische Urlaubswelt“ in einer Halle südlich von Berlin und zum „Wow Kremlin Palace“, einer russischen Märchenwelt mitten in der Türkei. In seinen Fotos demaskiert er die Hochglanzillusion der Themenparks, die sich im Detail als „Truman Show“ für Pauschaltouristen entlarven.
Exotisch, aber weniger auf Massentourismus abzielend, sind die Orte, die von anderen Fotografen ins Visier genommen werden. Der Franzose Frederic Delangle hat sich auf die Suche nach der vergangenen Schönheit der Metropole Ahmedabad gemacht, der viertgrößten Stadt Indiens. Gefunden hat er sie mitten in der Nacht. „Ich habe die Eingeweide und das Skelett der verlassenen Stadt erkundet“, erklärt Delangle seine „ruhiggestellten“ Bilder, in denen die Großstadt postapokalyptische Züge annimmt.

Ilkka Halso
„Museum of Nature - Kitka-River“ von Illka Halso
Neue Welten durch digitale Bildmontage
Ähnlich verlassen zeigt sich auch das Werk von Dionisio Gonzalez, der moderne Architektur und südamerikanische Favelas zu einem utopischen Stadtviertel verschmilzt und damit überdimensionale Panoramen schafft. Ebenso großformatig ist Illka Halsos Arbeit „Museum of Nature“, in der er mittels digitaler Bildbearbeitung menschliche Architektur über ansonsten unberührte Naturlandschaften stülpt.

Robert F. Hammerstiel
Robert F. Hammerstiel zeigt unfertige Landschaften aus dem Onlinegame „Second Life“, in denen sich die User ihre Umgebung nach Gutdünken zusammensetzen können
Doch nicht alle Taschenspielertricks, mit denen Bilder der Ausstellung manipuliert sind, sind digital. Thomas Wredes „Real Landscapes“ zwischen Idylle und Desaster sind Modellaufbauten, die sich so harmonisch in die umgebende Landschaft fügen, dass kleine Sanddünen im Auge des Betrachters zu kargen Gebirgslandschaften werden, Moosfelder zu wildem Wald.
Ausstellungshinweis
„DistURBANces“, von 30.10.2012 bis 5.1.2013, MUSA in Wien, dienstags, mittwochs und freitags 11.00 bis 18.00 Uhr, donnerstags bis 20.00 Uhr, samstags bis 16.00 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog (100 Seiten, 12 Euro) erschienen.
Ähnlich Daniel Leidenfrosts Serie „November“, die im MUSA in mehreren Arbeitsschritten dokumentiert wird. Nach Skizzen von alltäglichen öffentlichen Plätzen baut der junge Österreicher Modelle, denen der Charme des Selbstgebastelten anhaftet. Umso verblüffender ist es, was Leidenfrost beim Transfer auf ein weiteres Medium schafft: Illuminiert und in Szene gesetzt fotografiert er seine Miniräume - und generiert damit Bilder, die als Fotos der realen Welt durchgehen würden.
Es ist ein weiter Bogen, den die insgesamt 17 Künstler in der Ausstellung in ihren Fotografien, Videos und Objektarbeiten von reiner Fiktion zur ungeschönten Realität schlagen. Ein genauer Blick zahlt sich aus, denn nicht vieles ist so, wie es im ersten Moment scheint.
Sophia Felbermair, ORF.at
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