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Steigende Angst vor Bürgerkrieg

Im Libanon bleibt die Lage nach dem folgenschweren Attentat vom Freitag weiter angespannt: Am Rande einer Trauerkundgebung für die Anschlagsopfer kam es am Sonntag in der Innenstadt von Beirut zu schweren Ausschreitungen und Zusammenstößen mit der Polizei. Eine aufgebrachte Menge versuchte laut Augenzeugen, den Sitz der Regierung zu stürmen.

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Zuvor gelang es Hunderten Demonstranten, einige Zugangssperren zum Regierungsgebäude zu durchbrechen. Die Polizei setzte Tränengas ein. Nach Angaben von Reuters waren auch Schüsse zu hören. Sicherheitsleute sollen den Angaben zufolge in die Luft geschossen haben.

Krawalle in Beirut

AP/Maya Alleruzzo

Demonstranten durchbrechen Absperrungen in Beiruts Innenstadt

Rücktritt von Premier Mikati gefordert

Bereits bei der Beisetzung des Chefs des libanesischen Polizeigeheimdienstes, Wissad al-Hassan, der das Ziel des Anschlags gewesen war, hatten Tausende Menschen den Rücktritt von Ministerpräsident Nadschib Mikati gefordert. Sie werfen ihm zu enge Beziehungen zum syrischen Präsidenten Baschar al-Assad vor. Schon vor dem Anschlag, bei dem am Freitag auch über 120 Menschen verletzt wurden, hatten sich in Tripoli Sunniten und Alawiten Kämpfe geliefert. Tausende Syrer sind vor der Gewalt in der Heimat in das Nachbarland Libanon geflohen.

Syrien bis 2005 im Libanon

Der multireligiöse Libanon ist tief zerstritten zwischen Anhängern und Gegnern des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Viele Schiiten unterstützen den ihrer Konfession nahestehenden Alawiten Assad, die meisten Sunniten stehen auf der Seite seiner Gegner. Syrien hatte jahrzehntelang die Rolle einer Vormacht im Libanon gespielt. Auch lange nach dem Ende des 15-jährigen Bürgerkriegs 1990 standen syrische Soldaten im Land. Ihr Abzug konnte erst nach dem Attentat auf Premier Rafik al-Hariri im Jahr 2005 durchgesetzt werden.

Landesweit protestierten Zehntausende Sunniten gegen den Anschlag, bei dem neben dem Brigadegeneral Hassan sieben weitere Menschen getötet wurden. Beobachter hatten vor einer Zuspitzung der Lage in dem multireligiösen Land gewarnt, das tief zerstritten ist - zwischen Anhängern und Gegnern des syrischen Präsidenten Assad.

Hariri ruft zu Zurückhaltung auf

Oppositionsschef Saad al-Hariri rief angesichts der explosiven Lage seine Anhänger am Sonntag zur Zurückhaltung auf. Hariri forderte gleichzeitig zwar den Rücktritt der Regierung, dieser solle aber friedlich erfolgen: „Wir wollen Frieden.“ Neben Hariri forderte auch Ex-Premier Fuad al-Siniora ein Ende der gewalttätigen Ausschreitungen und verurteilte den Versuch, die Regierungsbüros zu stürmen, als „inakzeptable“ Vorgangsweise. An Gesprächen zur Beilegung des laufenden Konflikts sei die Oppositon laut Siniora allerdings erst nach dem Rücktritt der amtierenden Regierung bereit.

Umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen

Nach dem folgenschweren Bombenanschlag auf den syrienkritischen Chef des Polizeigeheimdienstes wächst im Libanon die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg. Der Protest im Zentrum der Hauptstadt Beirut wurde begleitet von stark bewaffneten Spezialeinheiten, die sich aber zurückhielten. Bereits unmittelbar nach dem weltweit verurteilten Attentat verstärkte die Regierung die Sicherheitsvorkehrungen, Soldaten bezogen an strategisch wichtigen Plätzen Stellung.

Zum Zeichen ihres Protests gegen die Tötung ihres Glaubensbruders Hassan steckten demonstrierende Sunniten bereits am Samstag Autoreifen in Brand. Sie blockierten die Zufahrt zum internationalen Flughafen in Beirut und sperrten Straßen in der nordlibanesischen Hafenstadt Tripoli. Demonstrationen und Straßenblockaden wurden aus dem Bekaa-Tal im Osten und der Stadt Sidon im Süden gemeldet. In einem Dorf im Bekaa-Tal schossen Soldaten auf Demonstranten, die eine Straße blockierten, und verletzten laut Zeugen zwei Menschen.

Beerdigung in Beirut

AP/Hussein Malla

Die Opfer des Anschlags wurden am Sonntag beigesetzt

Die Regierung um Mikati, der auch prosyrische Mitglieder angehören, hatte zuvor ihren Rücktritt angeboten. Sie bleibt auf Bitten des christlichen Präsident Michel Suleiman zunächst aber im Amt.

Anschlag weltweit verurteilt

Frankreichs Außenminister Laurent Fabius sagte in Paris, es deute einiges auf eine Beteiligung Syriens an dem Anschlag hin. Der Vorfall zeige, wie dringend der Abgang Assads in Syrien sei. Ein westlicher Diplomat bezeichnete die Lage im Libanon als instabil. „Ich weiß nicht, ob das (der Anschlag auf Hassan, Anm.) der erste einer ganzen Serie ist - aus der Historie heraus würde ich es vermuten.“ Unter allen Zielen für ein Attentat sei Hassan dasjenige gewesen, das die Stabilität des Libanon am meisten ins Wanken bringen habe können.

Regierungschef Mikati sagte, er sehe einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag und einer jüngst von Hassan aufgedeckten Attentatsverschwörung, die zur Anklage gegen Ex-Minister Michel Samaha geführt hatte. Samaha gilt als Anhänger Assads. Präsident Suleiman forderte die Justiz auf, möglichst schnell die Anklageschrift gegen Samaha fertigzustellen.

Der UNO-Sicherheitsrat verurteilte das Attentat schwer. Einstimmig wurde die Tat als Terroranschlag eingestuft. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte Regierungschef Mikati telefonisch seine Unterstützung zu und äußerte die Hoffnung, dass sich der Libanon nicht von „regionalen Ereignissen“ beeinflussen lasse. US-Außenministerin Hillary Clinton warnte vor einer Destabilisierung des Libanon. Ähnlich äußerten sich auch die EU, Frankreich und der Vatikan. Auch der Iran - ein weiterer Verbündeter Assads - verurteilte den Anschlag.

„Stützpfeiler unserer Sicherheit verloren“

Hassan war ein enger Gefolgsmann des getöteten Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri und leitete auch die Ermittlungen zu dessen Tod. Seine Recherchen legten eine Verwicklung Syriens und der Hisbollah nahe. Hariris Sohn, der ehemalige Ministerpräsident Saad al-Hariri, warf dem syrischen Präsidenten Assad vor, für den Anschlag verantwortlich zu sein.

Krawalle in Beirut

Reuters

Die Sicherheitskräfte gingen mit Tränengas gegen die Demonstranten vor

Libanons Polizeichef Aschraf Rifi nannte den Anschlag auf Hassan einen schweren Schlag und schloss weitere Attentate nicht aus. „Wir haben einen Stützpfeiler unserer Sicherheit verloren.“ Dem Land stünden weitere Opfer bevor. „Wir wissen das. Aber wir lassen uns nicht brechen.“

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