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„Über jeden Zweifel erhaben“

Politisch angepasster Autor oder nicht? In Europa und bei chinesischen Verlagen herrscht zumeist Freude über den Literaturnobelpreis für Mo Yan. Intellektuelle seines Heimatlandes sehen das gemischter.

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Mit viel Freude haben Autoren, Verleger und Kritiker im deutschsprachigen Raum auf die Nachricht reagiert, dass der Chinese Mo Yan den Literaturnobelpreis 2012 erhält. Bei chinesischen Intellektuellen sind die Reaktionen auf die Ehrung von Mo Yan mit dem Literaturnobelpreis allerdings sehr gemischt ausgefallen. Der Autor und kritische Blogger Han Han sagte der Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag in Peking, die Auszeichnung sei „eine Ehre für chinesische Schriftsteller“. Der chinesische Autor und Bürgerrechtler Yu Jie übte hingegen scharfe Kritik.

„Es könnte für mich keinen glücklicheren Kandidaten geben, er ist über jeden Zweifel erhaben“, sagte Martin Walser der dpa. „Ich halte ihn für den wichtigsten Schriftsteller unseres Zeitalters und platziere ihn gleich neben Faulkner“, sagte der 85-Jährige („Ein fliehendes Pferd“).

„Ein politischer Preis“

„Er war nicht mein Favorit“, sagte die Literaturnobelpreisträgerin von 2009, Herta Müller, auf der Frankfurter Buchmesse. Autorin und Kritikerin Elke Heidenreich hält den Literaturnobelpreis für Mo Yan für eine politisch motivierte Entscheidung aus Stockholm. „Es ist ein politischer Preis. Ich war nicht überrascht“, sagte sie in Frankfurt am Main der dpa. Sie glaube nicht, dass Mo Yan ein politisch angepasster Autor sei.

„Das ist großartig“, reagierte Richard Trappl, Direktor des Konfuzius Instituts und außerordentlicher Professor am Institut für Sinologie der Uni Wien spontan auf die Verleihung des Literaturnobelpreises an den Chinesen Mo Yan. „Das freut mich ganz besonders, endlich wieder ein Chinese“, sagte er im Gespräch mit der APA, die ihn in China erreichte. Auch Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Sinologin und Vizerektorin der Uni Wien, gratulierte dem Nobelpreiskomitee zu seiner „hervorragenden Wahl“.

Mo Yan habe das Bild der chinesischen Literatur besonders stark geprägt, sagte die Sinologin, die sich intensiv mit dem Werk des Schriftstellers beschäftigt hat, gegenüber der APA. Der westlichen Kritik, Mo Yan sei zu nahe am politischen System Chinas, kann sie nichts abgewinnen: „Die politische Fragestellung wurde in der Vergangenheit überbewertet, glücklicherweise hat sich das Komitee darüber hinweggesetzt und die literarische Qualität bewertet.“

Peter Rosei hält Entscheidung für richtig

Auch der österreichische Schriftsteller Peter Rosei, der unlängst durch China reiste, begrüßte den Preis für den chinesischen Autor. „Dadurch wird uns die chinesische Gesellschaft und Kultur näher gerückt, die auch für Europa so wichtig sind.“ Die Entscheidung zeige die extrem starke globale Vernetzung und Interdependenz zwischen China und Europa, die viel größer sei, „als der Durchschnittseuropäer sich das klar macht“. China erschöpfe sich nicht in Fragen der Menschenrechte oder Tibet, wie europäische Medien gerne suggerierten, so Rosei.

Bei chinesischen Verlagen auf der Frankfurter Buchmesse löste die Vergabe des Literaturnobelpreises an Mo Yan Freude aus. „Wir sind sehr glücklich und stolz über diese Entscheidung“, sagte Zeng Shaomei vom Verlag People’s Literature Publishing House (Peking). An einem chinesischen Gemeinschaftsstand wurde auf einem großen Bildschirm ein Porträt des Schriftstellers mit zwei seiner Bücher gezeigt.

Freude bei Verlagen

„Mo Yan kam als armer Bauernsohn aus der chinesischen Provinz. Er hat den Preis wirklich verdient“, sagte der Verlagsgeschäftsführer vom Berliner Horlemann Verlag, Tim Voß, der dpa. Er habe sich auf eine neue, fantastische Art und Weise mit der Politik und Gesellschaft seines Landes auseinandergesetzt. Im Horlemann Verlag ist 2009 Mos Roman „Der Überdruss“ erschienen. In dem 800-Seiten-Buch habe Mo grandios die letzten 50 Jahre der stürmischen chinesischen Geschichte aufgearbeitet - mehr dazu in fm4.ORF.at.

Große Freude auch beim Carl Hanser Verlag in München: Dort kommt im Frühjahr 2013 Mo Yans Roman „Wa“ (Frösche) heraus. Wie eine Sprecherin mitteilte, wird Martina Hasse das Buch übersetzen.

„Eine große Orgel mit vielen Registern“

Der Züricher Unionsverlag, der vier Titel des neuen Literaturnobelpreisträgers im Sortiment hat, hält Mo Yan für einen herausragenden Autor. „Er spielt eine große Orgel mit vielen Registern“, sagte Verlagsgründer und Verleger Lucien Leitess auf der Frankfurter Buchmesse. Seine Texte seien oft skurril, aber manchmal auch grausam und hart, „wie eben auch die chinesische Realität“.

Mo Yan gehöre in China „zu den großen akzeptierten Autoren“ - der Verleger hält allerdings wenig von Einteilungen wie Regimekritiker oder Staatsautor. „Es zählt lediglich die literarische Qualität.“

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