Wichtigste Netze betroffen
Einen Tag nach einem gigantischen Blackout in Indien hat sich die Lage weiter verschlimmert. Im Norden des Landes und in der Hauptstadt Delhi fiel am Dienstag den zweiten Tag in Folge der Strom aus, berichtete das indische Fernsehen. Der Strom fiel anders als am Vortag auch im Osten und Nordosten Indiens aus. Das halbe Land ist damit ohne Strom, wie die BBC auf ihrer Website schreibt.
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Der Stromausfall am Montag galt bereits als der größte seit mehr als einem Jahrzehnt in Indien. Der Stromausfall von Dienstag ist allerdings noch größer. Mindestens 600 Millionen der 1,2 Milliarden Einwohner sollen davon betroffen sein. War am Vortag „nur“ das Nordstromnetz betroffen, brachen am Dienstag mitten am Tag, gegen 13.00 Uhr Ortszeit (9.30 Uhr MESZ), nacheinander die drei Netze für den Norden, Osten und Nordosten wegen Überlastung zusammen, sagte ein Sprecher der indischen Netzgesellschaft Powergrid Corporation of India der Nachrichtenagentur AFP. Er hoffe, die Versorgung könne bald wiederhergestellt werden.

AP/Rajesh Kumar Singh
Wegen des Ausfalls der U-Bahnen versuchen Leute auf Busse umzusteigen
Stromversorgung blieb nicht lange aufrecht
Als Notmaßnahme war am Montag das Ostnetz angezapft worden, um die Ausfälle des Nordnetzes zu kompensieren. Die Ingenieure schafften es zwar am Montag, das eine Netz zu reparieren. Dienstagfrüh kollabierte das nördliche Stromnetz allerdings erneut. Ungefähr zur selben Zeit fielen auch das Ost- und das Nordostnetz aus, wie indische Beamte bestätigten.
Laut „Times of India“ waren am Dienstag insgesamt 22 der 28 indischen Bundesstaaten und sieben Unionsterritorien und somit insgesamt 670 Millionen Menschen betroffen. Neben der Hauptstadt sind unter anderem die Bundesstaaten Punjab, Haryana, Uttar Pradesh, Himachal Pradesh und Rajastan im Norden sowie Westbengalen, Bihar, Orissa und Jharkhand im Osten betroffen.

AP/Rajesh Kumar Singh
Auf den Bahnhöfen mussten die Menschen stundenlang warten
Hunderte Züge blieben mitten auf der Strecke stehen. In Delhi wurde der Betrieb der U-Bahn unterbrochen, Züge wurden evakuiert. Krankenhäuser, Geschäfte und Büros mussten Notfallgeneratoren in Betrieb nehmen. Die Verkehrsampeln fielen aus, auf den Straßen herrschte Chaos. Auch in Kalkutta im Osten des Landes saßen die Menschen ohne Strom da. 180 Kilometer nordwestlich von Kalkutta saßen Bergleute des Konzerns Eastern Coalfields unter Tage fest, weil ihre Aufzüge nicht mehr fuhren.
300 Millionen am Montag betroffen
Mehr als 300 Millionen Inder mussten bereits am Montag wegen einer Störung im Stromnetz ohne Elektrizität auskommen. Das gesamte Netz der Region, in der etwa 28 Prozent der rund 1,2 Milliarden Inder leben, sei ausgefallen, teilte der zuständige Energieversorger am Montag mit. Insgesamt waren demnach acht Bundesstaaten betroffen.
Als Notmaßnahme wurden die Netze im Westen und Osten sowie aus dem Königreich Bhutan angezapft. Das scheint nun zum Zusammenbruch im Osten und vermutlich auch im Nordosten geführt zu haben: „Wir teilten unseren Strom mit dem Norden - und deshalb fiel unser Netz aus“, sagte der Energieminister für Westbengalen, Manish Gupta, AFP.
Ohne Klimaanlage bei tropischer Hitze
Die Lichter in der Hauptstadt Delhi und acht Bundesstaaten erloschen in den frühen Morgenstunden. Auch zu Beginn des Berufsverkehrs konnten die Verbindungen nicht wiederhergestellt werden. Millionen Menschen mussten bei tropischer Hitze ohne Klimaanlagen auskommen und kamen nicht zur Arbeit, weil U-Bahnen stundenlang stehen blieben. Auch der Zugsverkehr kam in der Region größtenteils zum Erliegen. Zehntausende Passagiere waren „gestrandet“ und konnten nicht weiterreisen, wie die BBC am Montag meldete.
Zu viel Strom „abgezapft“?
Nach Angaben der Regierung lag die Ursache des Stromausfalls am Montag in der Stadt Agra, die für das Mausoleum Taj Mahal bekannt ist. Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt. Die Ursache des Stromausfalls wird derzeit untersucht. Der zuständige Energieminister Sushil Kumar Shinde setzte eine Kommission ein.
Shinde machte am Dienstag erneut einige Bundesstaaten für die Überlastung der Netze verantwortlich. Diese hätten mehr Strom abgerufen, als ihnen zustehe. Besonders in den heißen Sommermonaten, in denen der Stromverbrauch deutlich steigt, kommt es immer wieder zu Engpässen und kurzen Ausfällen. Krankenhäuser, Flughäfen, Hotels und viele Privatleute, die es sich leisten können, haben sich schon längst darauf eingestellt und sich zum Ersatz Generatoren angeschafft.
Große Probleme mit Infrastruktur
Der neuerliche Stromausfall bringt Shinde und seine Regierung zunehmend in Bedrängnis. Vertreter der Industrie riefen am Dienstag eindringlich zur Reformierung der unzulänglichen Energieversorgung auf. Zu lange schon sei das Problem bekannt, kritisierte der Chef des Industrieverbands, Chandrajit Banerjee.
Energiemangel und marode Straßen und Eisenbahnstrecken behindern die weitere Industrialisierung Indiens. Das Energienetz ist veraltet. Zu Spitzenzeiten übersteigt die Stromnachfrage das Angebot deutlich. Stromausschaltungen sind in Indien an der Tagesordnung, wie die BBC weiter schreibt. Das aus der Stromknappheit resultierende Chaos hat bereits zu Massendemonstrationen und Unruhen geführt, so die BBC. Anfang Juli kam es in einem Vorort von Delhi, Gurgaon, zu Straßenblockaden und Auseinandersetzungen mit der Polizei, als dort der Strom für einige Stunden ausfiel.
Laut Experten braucht Indien für die wachsende Industrie dringend eine Erhöhung der Energieproduktion. Offenbar sind allerdings einige Millionen Inder noch gar nicht an das reguläre Stromnetz angeschlossen. Die Regierung von Manmohan Singh setzt seit geraumer Zeit auf den Ausbau der Atomenergie. Schätzungen gehen allerdings davon aus, dass aktuell nur rund drei Prozent des Stromverbrauchs durch Atomenergie abgedeckt sind. Die Proteste der lokalen Bevölkerung bremsten hier teils die Bauvorhaben.
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