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Westerwelle: „Ungeheuerlich“

Die Drohung des syrischen Regimes, bei „Aggression von außen“ Chemiewaffen einsetzen zu wollen, hat für Unmut in der EU gesorgt. Die Europäische Union erklärte am Montag als Reaktion, sie sei ernsthaft besorgt über den möglichen Einsatz chemischer Waffen. Es war das erste Mal, dass Syrien den Besitz derartiger Massenvernichtungswaffen einräumte.

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„Die EU ruft alle Staaten auf, keine Waffen an das Land zu liefern“, hieß es in einer Erklärung der EU-Außenminister. Die EU hatte zuvor verstärkte Sanktionen beschlossen. Der deutsche Außenminister Guido Westwelle kritisierte die Ankündigung scharf. „Mit dem Einsatz von Chemiewaffen zu drohen ist ungeheuerlich“, erklärte er. „Damit enthüllt das syrische Regime ein weiteres Mal seine menschenverachtende Denkart.“

Auch Warnung aus Washington

„Die Existenz chemischer Waffen in einem Konfliktgebiet ist immer ein Grund zur Sorge“, sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Montag in Brüssel nach einem Treffen der EU-Außenminister. „Soweit ich informiert bin, gibt es jedoch keinen Grund für eine unmittelbare Sorge über die Möglichkeit, dass sie herausgeholt oder bewegt werden.“ Allerdings seien Informationen über die Lage in Syrien schwer zu erlangen, räumte Ashton ein.

Auch das US-Verteidigungsministerium warnte Syrien eindringlich vor dem Einsatz von Chemiewaffen. Das Regime in Damaskus „sollte nicht einmal im Ansatz darüber nachdenken, Chemiewaffen einzusetzen“, erklärte Pentagon-Sprecher George Little am Montag. Das Regime sei bereits jetzt für schwere Gewalt gegen die eigene Bevölkerung verantwortlich, hieß es in einer schriftlichen Erklärung. US-Präsident Barack Obama fügte hinzu, Machthaber Baschar al-Assad werde „dafür verantwortlich gemacht, wenn er den tragischen Fehler“ eines Einsatzes von Chemiewaffen machte.

Sprecher: Kein Einsatz gegen Opposition

Syrien werde in der jetzigen Krise keine Chemiewaffen einsetzen, außer es sehe sich einer „Aggression von außen“ gegenüber, hatte ein Sprecher des syrischen Außenministeriums, Dschihad Makdissi, am Montag in Damaskus gesagt. Die syrische Regierung trat Befürchtungen der bewaffneten Opposition entgegen, Damaskus könne im Bürgerkrieg Chemiewaffen einsetzen. Die Kampfstoffe seien nur für die Verteidigung gegen einen Angriff von außen entwickelt worden, Makdissi weiter. Die Chemiewaffen würden von der Armee gut bewacht.

Nach heftigen internationalen Reaktionen korrigierte das Regime seine Aussagen zu einem möglichen Einsatz von Giftgas: Man würde „niemals chemische und biologische Waffen nutzen“, erklärte Makdissi nach Angaben des staatlichen syrischen Fernsehens am Dienstag.

Chemiewaffen bereits verlegt?

1996 hatte Syrien für den Fall eines israelischen Atomangriffs mit dem Einsatz von Chemiewaffen gedroht. Ein Einsatz dieser Waffen im Inneren wird auch von israelischen Experten für unwahrscheinlich gehalten. Aus westlichen und israelischen Kreisen war in den letzten Tagen verlautet worden, dass die syrischen Chemiewaffenvorräte verlegt werden. Unklar blieb, ob das tatsächlich geschieht. Und wenn ja: um sie vor dem Zugriff der Aufständischen zu schützen oder zu anderen Zwecken? Israel hatte am Freitag einen Militäreinsatz nicht ausgeschlossen, um zu verhindern, dass die mit Syrien verbündeten Hisbollah-Islamisten im Libanon an die Massenvernichtungswaffen gelangen.

Nach Angaben der Rebellen seien Chemiewaffen bereits an grenznahe Flughäfen des Landes verlegt worden. Die oppositionelle Freie Syrische Armee (FSA) teilte am Dienstag mit, sie habe „genaue“ Kenntnisse über die Standorte der Waffen und Anlagen zu ihrer Herstellung und könne bestätigen, dass entsprechende Verlagerungen stattgefunden hätten. Den Angaben zufolge wurden erste Chemiewaffen bereits vor mehreren Monaten verlegt. Um welche Flughäfen oder welche Grenze es sich handeln soll, teilte die FSA nicht mit.

Auch der übergelaufene syrische General Mustafa Scheich warf der Regierung vor, die Chemiewaffen „umzuverteilen, um ihren Einsatz vorzubereiten“. Scheich sagte der Nachrichtenagentur Reuters Ende vergangener Woche, die Kampfstoffe könnten als Vergeltung für die Tötung von vier Mitgliedern des inneren Machtzirkels vorigen Mittwoch erfolgen. „Sie wollen das Land in Brand setzen“, sagte er über die Führung. „Das Regime kann nicht stürzen, ohne ein Blutbad anzurichten.“ Die Aussagen und Angaben konnten nicht überprüft werden.

Armee erobert Teile Damaskus zurück

Unterdessen gehen die Gefechte weiter. Die Armee stürmte am Montag nach Angaben von Aufständischen den Bezirk Nahr Aischa in Damaskus und setzte Geschäfte und Häuser in Brand. Auf Videoaufnahmen war zu sehen, wie Männer in Militärkleidung mit Maschinengewehren und Granatwerfern Türen eintraten und durch Fenster in die Gebäude eindrangen. Die Armee hat den Berichten zufolge in den vergangenen Tagen die Kontrolle über mehrere Teile der Hauptstadt wiedererlangt.

In Aleppo im Norden des Landes beschoss sie nach Rebellenangaben Stellungen der Aufständischen. Diese hätten ihrerseits im nahe gelegenen Musalmije eine Ausbildungsstätte für Infanterie eingenommen. Ein Augenzeuge berichtete dem arabischen Nachrichtensender al-Jazeera von „schlimmsten Kämpfen“. Die bewaffnete Opposition hatte am Sonntag den Sturm auf die zweitgrößte Stadt des Landes ausgerufen.

Aleppo sei voller Flüchtlinge aus den Städten Homs und Hama, berichtete der Mann. Die Versorgungslage werde immer schwieriger, die Preise seien in den Himmel geschossen. Unterdessen gaben die Aufständischen bekannt, insgesamt seien vier Grenzübergänge zum Irak und zur Türkei in ihrer Kontrolle.

Putin warnt vor Bürgerkrieg bei Sturz Assads

Der russische Präsident Wladimir Putin warnte indes vor einem lang anhaltenden Bürgerkrieg im Fall eines Sturzes von Assad. Russland befürchte, dass die derzeitige Führung und die Opposition nach einer „verfassungswidrigen“ Entmachtung Assads „einfach die Plätze tauschen“, zitierten russische Nachrichtenagenturen Putin am Montag. In diesem Fall drohe ein Bürgerkrieg, dessen Dauer nicht abzusehen sei.

Putin forderte zudem Regierung und Opposition in Syrien auf, die Gewalt zu beenden und sich an den Verhandlungstisch zu setzen, um die Krise zu überwinden. Syriens Zukunft dürfe nicht auf der Basis eines „militärischen Sieges oder einer Niederlage“, sondern müsse auf der Grundlage von Verhandlungen entschieden werden. Russland macht für die Gewalt in Syrien sowohl die Opposition als auch die Regierung verantwortlich.

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