Reißverschlusssystem in der Luft
Schneller und mit deutlich weniger Verbrauch von A nach B: Das ist das erklärte Ziel der europäischen Airliner. Ermöglichen soll das eine neuartige 4-D-Flugführungstechnologie, die auf ersten Testflügen bereits zum Einsatz gekommen ist. Aber nicht nur für die Fluglinien soll das neue System Vorteile bringen - auch Anrainer von Flughäfen sollen dadurch entlastet werden.
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Der Airbus A320, der Anfang Februar zu einem Testflug von Toulouse via Kopenhagen nach Stockholm aufgebrochen war, sieht auf den ersten Blick nicht anders aus als die anderen Tausenden Flugzeuge, die jeden Tag über Europa ihre Routen fliegen. Doch im Cockpit ist es ungewöhnlich ruhig. Statt über die ständige Kommunikation mit dem Tower wird die Maschine über einen exakt vorgegebenen „Zeitstrahl“ zum Flughafen geleitet, wodurch Verspätungen künftig der Vergangenheit angehören sollen.
Strikter Zeitplan für Piloten
„Heute weiß der Pilot, wann er nach seinen Berechnungen am Zielort ankommt, und auch die Passagiere wissen es, aber der Zielflughafen selbst hat darüber keine Informationen“, erklärte Peter Waldinger, Experte für Flugverkehrsmanagement und Flugsicherung an der TU Darmstadt, gegenüber ORF.at. Bei dem neuen System werden nun die Daten an Bord und am Boden verknüpft. Zusätzlich werden Wetter und Flugaufkommen einberechnet, „wodurch der Lotse in die Lage versetzt wird, exaktere Vorausplanungen vorzunehmen und die Kapazitäten besser aufeinander abzustimmen“, schilderte Waldinger die Vorteile des neuen Systems.
Mehr Effizienz in der Luft
Derzeit ist es Usus, dass die Fluglotsen vor allem bei der Landung korrigierend in die Flugbahn eingreifen und die Flugzeuge zusätzliche Schleifen über dem Flughafen ziehen lassen. Das erfordert viel Kommunikation und führt gerade bei großen Flughäfen mitunter zu längeren Wartezeiten, was einerseits für die Passagiere unangenehm ist und andererseits die CO2-Belastungen erhöht. Beim neuen System greifen Pilot und Flugsicherung auf dieselben Daten zu. Die Bodenkontrolle erfährt den programmierten Weg des Flugzeugs, und der Pilot bekommt als neue, vierte Dimension einen exakten Zeitplan, den er abfliegen muss.
In einer Art Reißverschlusssystem werden die Flugzeuge in der Luft aneinander vorbeigeleitet, und so werden die kürzesten Flugwege gewählt. „Bisher war es die Aufgabe des Lotsen, Flugweg und Wetter zu berücksichtigen, und Vorausberechnungen vorzunehmen“, sagte Waldinger. „Da Prognosen aber nur ungenau möglich waren, wurden Konflikte oft schon gemeldet, wo eigentlich noch keine waren“. Mit dem neuen System können knappere Abstände geflogen und so Abflüge und Landungen effizienter gestaltet werden.
Kürzere Wege sparen Treibstoff
Die Vorteile liegen auf der Hand: Durch die verkürzten Wege können einerseits Verspätungen minimiert werden, auf der anderen Seite sind enorme Einsparungen bei Treibstoff und CO2-Emissionen möglich. Der A320-Testflug zeigte, dass die Umweltbelastung pro Flug um zehn Prozent gesenkt werden kann. Bei einem ähnlichen Test im Oktober des Vorjahres konnte die Air France mit einem Airbus, der zusätzlich noch mit Biokerosin betankt wurde, die CO2-Emissionen sogar halbieren. Auf 100 Kilometer wurden nur 2,2 Liter Treibstoff pro Passagier verbraucht, wie das Branchenblatt „Airliners“ berichtete.
Flüsterlandungen
Eine zweite Säule, die bei den 4-D-Testflügen ebenfalls eine Rolle spielt, ist der Continuous Descent Approach (CDA) - das kontinuierliche Sinkflugverfahren. Hinter dem Begriff verbirgt sich ein Landemanöver, bei dem die Flugzeuge nicht etappenweise, sondern in einem Zug zum Boden geleitet werden. Der Anflug kann so mit den Triebwerken im Leerlauf erfolgen, was deutlich leiser ist. Dieses Landeverfahren wäre grundsätzlich auch ohne das 4-D-System machbar, scheitert aber bei vielen Flughäfen, wie etwa dem Flughafen Frankfurt, am hohen Verkehrsaufkommen.
Neues Berufsbild für Fluglotsen
Trotz der erfolgreichen Tests dürfte die Umsetzung aber nicht vor 2018 erfolgen. Neben den aufwendigen technischen Nachrüstungen sieht Waldinger vor allem in den tiefgreifenden Veränderungen im Berufsfeld der Fluglotsen einen längeren Prozess. „Der Lotse der Zukunft wird nicht mehr Separation Manager (derjenige, der die Flüge am Kollidieren hindert, Anm.) sein, sondern Verkehrsflussmanager“, erklärt Waldinger. Dadurch ändert sich auch der Jobanspruch enorm. Die Verantwortung für sichere Flugwege übernimmt der Computer, der Mensch steuert, welcher Flieger zuerst landen darf, und wie viele Flüge grundsätzlich zugelassen werden.
Gabriele Greiner, ORF.at
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