Vom Fischerdorf zur Hafenstadt
Die Donau durchfließt und grenzt an zehn europäische Länder – von Deutschland über Österreich, Ungarn und Serbien bis Rumänien. Die letzte Stadt vor der Mündung ins Schwarze Meer und heute östlichster Hafen der EU ist die rumänische Stadt Sulina. Erinnert sie heute an ein verfallenes Fischerdorf, galt die Stadt im Donaudelta Ende des 19. Jahrhunderts für Jahrzehnte als ein „Europa in Miniatur“.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Sulina „ist der einzige Ort im Lande, an dem du das wahre Hafenleben findest. (...) Der levantinische Handel zieht Abenteurer aller Sorten an, die sich hier herumtreiben, um in den trüben Gewässern der Donau zu fischen. Ein Mosaik an Rassen. Alle Geschlechter, alle Typen und alle Sprachen. Die kleine Welt dieser Institution – Europa in Miniatur – mit Bühnenausstattung, Kulissen und Protokoll hat ein eigenes Leben.“

ORF.at/Google Maps
So beschrieb der Hafenkommandant aus Sulina, Eugeniu P. Botez unter dem Pseudonym Jean Bart, 1933 in seinem Roman „Europolis“ das Leben und Treiben in der Hafenstadt Sulina.
Diplomatischer Club im Donaudelta
Über 150 Geschäfte wurden hier Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts betrieben, 70 Unternehmen geführt. Es gab sogar ein Theater. Vier Leuchttürme zeugten von der Bedeutung Sulinas als Hafenstadt. Parliert wurde vor allem auf Griechisch, aber auch Englisch, Französisch, Russisch und Türkisch standen auf der Tagesordnung. Die damals wichtigsten Reedereien waren in Sulina vertreten. Die internationalen Konsulate waren im Diplomatischen Club der Stadt vereint. Auch in den Schulen wurde in mehreren Sprachen unterrichtet.
In dieser kosmopolitischen Mischung waren auch unterschiedlichste Konfessionen in Moscheen, Synagogen, orthodoxen, katholischen, armenischen und anglikanischen Kirchen vertreten. Insgesamt sollen 15.000 Menschen aus über 20 Nationalitäten in der Blütezeit der Hafenstadt von Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts gelebt haben – von Händlern, Zollangestellten, Professoren bis zu Ärzten, Übersetzern und Seeleuten, wie das „Plural Magazine“ des Rumänischen Kulturinstituts berichtete.

Anda Popescu
Zur Blütezeit Sulinas gab es zahlreiche Moscheen, Synagogen und Kirchen
Aufstieg zur Hafenstadt
Sulina, das erst seit der Erlangung der nationalen Unabhängigkeit 1878 zu Rumänien gehört, hatte schon zuvor nicht zuletzt aufgrund seiner Lage an der Donau-Mündung eine zentrale Stellung eingenommen, war im 14. Jahrhundert Anlegestelle für genuesische Händler, im 19. Jahrhundert Stützpunkt der osmanischen Flotte.
Ausschlaggebend für den glanzvollen Aufstieg des früheren Fischerdorfs war aber die Gründung der Europäischen Donau-Kommission 1856 mit dem Friedensvertrag von Paris zum Ende des Krimkriegs. Sitz der Kommission war in Sulina. Europäische Kolonialmächte bauten es nun zur Hafenstadt aus. Alle Anrainerstaaten der Donau erhielten mit der Kommission die gleichen Schifffahrtsrechte. Wenige Jahre später wurde Sulina der Status eines Freihafens zugesprochen.

ORF.at/Simone Leonhartsberger
Vor Sulina verrotten heute Schiffswracks
Ab 1880 wurde ein Kanal gebaut, um die Fahrt von der nächstgelegenen Stadt Tulcea zum Schwarzen Meer zu beschleunigen. Dadurch sollte auch die dominierende Stellung Sulinas gesichert werden. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Stadt zudem eine Freihandelszone. Sulina konnte seine Position als Handelszentrum ausbauen.
20.000 Tonnen Fischkonserven
Mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der Europäischen Donau-Kommission begann auch der Abstieg und Bedeutungsverlust der Stadt. Mit Ende der 30er Jahre zogen sich die Delegierten der europäischen Mächte zurück.
Donaudelta
Das Donaudelta vor der Mündung der Donau ins Schwarze Meer gilt mit 6.000 Quadratkilometern als größte Sumpflandschaft Europas und ist seit 1991 UNESCO-Weltnaturerbe. Aufgeteilt auf 25 Dörfer leben hier knapp 15.000 Menschen.
Von dem regen Treiben und der Internationalität zeugen heute noch die zahlreichen Friedhöfe von orthodox bis protestantisch, katholisch, jüdisch bis muslimisch und lipowanisch sowie die noch erhaltenen Kirchen. Auch einige Häuser erinnern noch an den osmanischen Einfluss.
Im Kommunismus war noch einmal in Sulina investiert worden. Man setzte auf Fischkonservenfabriken und eine Schiffswerft. 20.000 Tonnen Fischkonserven pro Jahr wurden produziert. Es wurden sogar noch Arbeitskräfte aus anderen Gegenden Rumäniens angeworben. Doch spätestens mit den 90er Jahren setzte die Abwanderung vor allem der Jungen ein.
Schiffswracks und Industrieanlagen
Zurückgeblieben sind weniger als 5.000 Einwohner. Schiffswracks im Hafen, verfallende frühere Konservenfabriken und Industrieanlagen sowie renovierungsbedürftige sozialistische Plattenbauten sind nun der erste Eindruck, wenn man in Sulina ankommt. Erreichbar bleibt die Stadt weiterhin nur per Schiff. Sulina ist wieder das, was es einmal war: eine kleine, verschlafen wirkende Fischerstadt.
Die Hoffnung liegt nun auf dem Tourismus und den kleinen Pensionen, die in den vergangenen Jahren eröffnet haben. Denn abseits der baufälligen Industrieanlagen wurde die Hafenpromenade an der Donau renoviert, gesäumt von Cafes und Kirchen und auf der anderen Seite der Stadt, hinter dem noch erhaltenen Leuchtturm, wartet ein kilometerlanger, nahezu unberührter Sandstrand am Schwarzen Meer und entlang der Donau die weit verzweigten Kanäle und Schilfflächen des Deltas.
Simone Leonhartsberger, ORF.at
Links: