Ein spröder Zweig
Wenn Regisseur Christian Petzold den Nachspann zu einem Spielfilm mit dem R-’n’-B-Klassiker „At last I am free“ von Chic garniert, dann darf man sich auf eines einstellen: ein Finale mit ungewöhnlichem Handlungstempo. Davor dekliniert Petzold mit Brillanz die Möglichkeiten von Zwischenmenschlichkeit in einem System von dauerndem Misstrauen durch, das jede Spur von Privatem pulverisiert.
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Petzold mag keine Schwarz-Weiß-Malerei. In seinen Filmen gibt es kein Gut und Böse und eine richtige Seite, auf die man sich stellen könnte. Und wenn er in seinem neusten Film „Barbara“, der ab Freitag in Österreich anläuft, etwa einen Stasi-Mitarbeiter (Rainer Bock) in den Blick nimmt, dann wird auch das „Arschloch“ (so die Worte der Hauptdarstellerin) von einer zweiten Seite gezeigt: als Mann einer krebskranken Frau und Person, die die menschliche Hilfe von anderen braucht.
Film wie ein Eisberg
Petzolds Filme sind wie ein Eisberg, bei dem von Mal zu Mal noch mehr unter der Oberfläche bleibt - und sich ständig weitere Handlungs- und Denkfäden im Kopf seiner Zuseher entspinnen. Damit das gelingt, muss präzise erzählt und noch präziser beobachtet werden.
Zum fünften Mal greift der Regisseur für seine filigrane Arbeit auf Nina Hoss als weibliche Hauptdarstellerin zurück, weil sie das Prinzip Petzold wie keine andere Schauspielerin personifiziert: Auf sie richtet sich der Blick, richtet sich die Neugierde - und doch bliebt sie bei fast allen Handlungen ein unknackbares Rätsel. Wie eine „zweite Haut“, befand die „Süddeutsche Zeitung“ in Reaktion auf „Barbara“, ziehe sich Hoss die Figuren Petzolds über.
Von Berlin in die Provinz
Hoss ist in dem Film „Barbara“ eine Ärztin aus der Berliner Charite, die in die Provinz an der Ostseeküste versetzt wird. Ein Ankommen gibt es an ihrem neuen Arbeitsplatz nicht: Man weiß über sie „Bescheid“, wie auch das Verhalten ihres Gegenübers, des Arztes und Klinikchefs Andre, dargestellt von Ronald Zehrfeld, zum Ausdruck bringt.
Wenn er sie nach dem ersten Arbeitstag nach Hause fährt, muss er nicht nach dem Weg fragen. Er weiß, in welchem Loch sie untergebracht wurde. Das nährt Misstrauen in Barbara und macht sie im Verhalten mit den Kräften des Systems noch spröder, noch unnahbarer - und gemäß der Petzoldschen Poetik: noch interessanter.

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Annäherung an eine Unnahbare: Andre (Ronald Zehrfeld) und Barbara (Nina Hoss)
Nichts bleibt privat
Immer wieder wird man Barbaras Wohnung auf den Kopf stellen, wird die Stasi oder die Nachbarin jede Form von Privatheit rund um Barbara zerstören. Barbara hat einen Ausreiseantrag gestellt - und die Arbeiter und Bauern, wie man ihr sagen wird, „betrogen“, weil sie als Mitglied einer Elite nicht länger im Dienst der Gemeinschaft stehen will.
Wie sehr Barbara sehr wohl aber als Ärztin für ein Gemeinsames steht und eine gefühlvolle Öffnung zu ihrem Gegenüber zulässt, wird an ihrem Umgang mit den Patienten deutlich, allen voran, wenn sie sich um die junge Stella kümmert, die, verletzt, ihrem Erziehungsheim entkommen ist.
Symbolisch Verbündete
Stella und Barbara sind symbolisch Verbündete in einem System, das Zwischenmenschlichkeit unter der Decke des Misstrauens erstickt. Barbaras Umgang mit Stella bewegt auch ihren Chef. Doch alle Annäherungen, die Andre zu Barbara sucht, werden von dieser weggedrängt.
Wenn Andre seine Geschichte zu erzählen versucht, gehen für Barbara, und mit ihr für den Zuseher, viele Fragezeichen auf: Ist Andre ein Spitzel? Soll er sie beobachten, ihr Verhalten protokollieren? Steckt er mit dem Stasi-Mann unter der Decke? Zuneigung, so scheint es, machen Anpassung und Systemdruck zunichte.

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Filmisches Erzählen als Präzisionsarbeit: Regisseur Christian Petzold beim Dreh
Der Geliebte aus dem Westen
Und dass Barbara bald aus diesem System fliehen möchte, wird in der Begegnung mit dem Geschäftsmannes aus dem Westen (Mark Waschke) deutlich, der für sie auch die Flucht organisieren soll. Während dieser Geliebte die ganz persönliche Annäherung sucht, ja sogar vorschlägt, er würde für Barbara aus Liebe und für ihr beider Zusammensein auch in die DDR gehen, reagiert Barbara auf den Geliebten beinahe systemisch. Er ist, so deutet der Film an, das Tor zur Freiheit.
Und dennoch: Zur Flucht braucht Barbara auch ihren Klinikchef als Verbündeten. Wenige Stunden vor ihrer Flucht kommt es zu einer Annäherung; ist auch diese Annäherung eine aus Berechnung? Als alles vorbereitet ist und Barbara den letzten Weg zur Flucht antreten möchte, steht ein unerwarteter Gast vor der Tür.
Viele Überraschungen im Finale
Mit großer Verve beschleunigt Petzold den Plot seines Films am Ende. Es könnte mehr als eine Überraschung geben. Als Zuseher geht man mit einer typischen Petzold-Erfahrung aus dem Kino: Die Geschichte hat mehr als nur eine Fortsetzung im Kopf.

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Kinohinweis
„Barbara“ ist ab Freitag in österreichischen Kinos zu sehen.
„Vielleicht kann der Film die Botschaft vermitteln: Lasst uns nicht aufarbeiten, lasst uns erzählen - dass man die DDR nicht als eine Aufgabe betrachtet, die es zu erledigen gilt“, so Petzold.
Selbst ein Kind von Eltern, die die DDR miterlebt haben und in den Westen ausgewandert sind, stellt sich der Regisseur einem auch ganz persönlichen Stück Zeitgeschichte. Immer wieder hat er die Verwandten von „drüben“ als Kind und Jugendlicher besucht. Das schärfte offenkundig seine Beobachtungsgabe. Und nährte wohl seine Vorliebe für die scheinbar unbedeutenden, kleinen Orte, an denen sich Geschichte auf einer sehr grundsätzliche, unpathetische Art erzählen lässt.
Hoss: „Misstrauen, aber auch große Wärme“
In der Atmosphäre, die sich in „Barbara“ entwickle, liege „immer ein unterschwelliges Misstrauen“, sagt Hauptdarstellerin Hoss über den Film: „Und trotzdem hat es eine große Wärme.“ Auf den Plakaten zum Film sieht man die Hauptdarstellerin, von hinten aufgenommen vor dem verschwommenen Meer stehen. Ihr Haar ist verknotet. Nicht alle Stränge der Verknotungen werden sich lösen lassen - aber nicht von ungefähr ist der Name der Hauptperson gewählt. Manche Zweige blühen, wenn man es nicht mehr erwartet.
Gerald Heidegger, ORF.at
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