Slowaken wütend auf Politestablishment
Wochenlang sind Tausende Slowaken auf die Straße gegangen, um ihrem Ummut über die Politik in dem Land Luft zu machen. Einen direkten Adressaten gab es nicht. „Aufklären, verurteilen, einsperren!“, stand auf Transparenten zu lesen, die in Bratislava zu sehen waren. Vor der vorgezogenen Parlamentswahl am Samstag ist die politische Elite des Landes schwer in Misskredit geraten.
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Fast alle relevanten politischen Parteien kommen in mutmaßlichen Geheimdienstprotokollen vor, die im Dezember an die Öffentlichkeit gelangt waren. Sollten die aus den Jahren 2005 und 2006 stammenden Abhörprotokolle mit dem Codenamen „Gorilla“ echt sein, würden sie ein riesiges Korruptionsnetz um bis heute regierende Politiker belegen.

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Vor allem im Februar gingen viele Slowaken auf die Straße, um ihren Unmut über die Politelite kundzutun
Sie hatten demnach jahrelang gemeinsam mit einer Finanzgruppe alle wesentlichen Privatisierungen und staatlichen Auftragsvergaben gesteuert und dabei kräftig die Hand aufgehalten. Dem Staat soll dabei ein Schaden in der Höhe von Hunderten Millionen Euro entstanden sein.
Dzurinda im Zentrum der Vorwürfe
Im Zentrum der Vorwürfe steht die vom einstigen Regierungschef und heutigen Außenminister Mikulas Dzurinda angeführte größte Regierungspartei, die christlich-liberale SDKU. Ein Scheitern der SDKU an der Fünfprozenthürde für den Einzug ins Parlament bei der Wahl am Samstag ist möglich.

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Im Zentrum vieler Verdächtigungen um den „Gorilla“-Skandal: Ex-Premier Dzurinda
Im Februar hatten sich noch Zehntausende Menschen im ganzen Land an den Protesten beteiligt. Damit wurden diese Anti-Korruptionsdemonstrationen in der sonst wenig streik- und kundgebungsfreudigen Slowakei zur größten Protestbewegung seit dem Sturz des Kommunismus im November 1989.
„Die Gorillas, die unsere Bananen essen, müssen verschwinden“, hatte die Sprecherin der Protestbewegung, Alena Krempaska, gegenüber dem „Standard“ (Onlineausgabe) betont. Der Affe wurde zum Symbol der Bewegung, die sich vor allem über Soziale Netzwerke wie Facebook organisiert.
„Gorilla“-Skandal reicht bis nach Österreich
Der „Gorilla“-Skandal reicht auch nach Österreich. Die geplante Privatisierung des Flughafens Bratislava, für die sich ein österreichisch-slowakisches Konsortium beworben hatte, wird in dem Dokument erwähnt. Das Konsortium TwoOne bestehend aus Flughafen Wien-Schwechat, Raiffeisen Zentralbank (RZB) und Penta hatte unter der Regierung Dzurinda den Zuschlag für den Airport Bratislava erhalten.
Die Nachfolgeregierung von Robert Fico ließ den Verkauf wieder platzen. Gemäß der „Gorilla“-Schrift soll die Meinl Bank, damals Privatisierungsberater der slowakischen Regierung beim Verkauf der Flughäfen Bratislava und Kosice, Geld für die Penta-Gruppe gewaschen haben, berichtete die „Presse“. Die Bank wies den Vorwurf entschieden zurück.
Alle wollen gegen Korruption kämpfen
Alle 26 für die Parlamentswahl kandidierenden Parteien, sogar die von den „Gorilla“-Protokollen belasteten Regierungsparteien, versuchen sich nun den Anstrich von Kämpfern gegen Korruption und für Transparenz zu verpassen. Manche erst für die Wahl neu gegründete Kleinparteien hoffen, von der Verärgerung über die etablierten Parteien zu profitieren.

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Wahlfavorit Fico: Er ist Chef der sozialdemokratischen Oppositionspartei Smer
Der große Wahlfavorit ist aber der erst 47-jährige sozialdemokratische Oppositionsführer Robert Fico. Der mit Abstand beliebteste Politiker des Landes spricht am erfolgreichsten jene Wählermassen an, die vom slowakischen Wirtschaftsboom nicht profitierten. Immerhin hat die Slowakei mit 14 Prozent eine der höchsten Arbeitslosenraten Europas, und das Durchschnittseinkommen liegt bei nur 800 Euro brutto pro Monat.
Grund für die Wahl im Hintergrund
Völlig in den Hintergrund geraten ist im Wahlkampf der eigentliche Anlass für die vorgezogene Parlamentswahl: Die bisherige Koalition aus vier bürgerlichen Parteien war im Oktober am Streit über den Euro-Rettungsschirm EFSF zerbrochen. Regierungschefin Iveta Radicova hatte die Parlamentsabstimmung über die EFSF-Ausweitung am 11. Oktober mit der Vertrauensfrage verknüpft und verloren.
Damals schaute die ganze Welt nach Bratislava, weil ein Nein der Slowakei die EFSF-Erweiterung für die gesamte Euro-Zone blockiert hätte. Radicovas neoliberale Koalitionspartner ließen sie im Regen stehen, da sie den Euro-Rettungsschirm strikt ablehnten. Erst mit den Stimmen der von Fico geführten Opposition gab das Parlament nach Radicovas Rücktritt doch noch seine Zustimmung zur EFSF-Erweiterung.

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Viele wollen sie wieder in einem Amt sehen: Noch-Regierungschefin Radicova
Jetzt führt Radicova, erste Frau an der Spitze einer Regierung der Slowakei, die Amtsgeschäfte bis zur Bildung einer neuen Regierung. Obwohl sie neben Fico die beliebteste Politikerin des Landes ist, will sie für kein Amt mehr kandidieren.
Umfrage: Smer klar voran
Eine Umfrage der Agentur Focus wenige Tage vor der Wahl deutet auf einen klaren Sieg der linksgerichteten Smer von Fico hin. Wer die nächste Regierung stellen wird, ist aber völlig offen. Smer ist demnach nicht in der Lage, allein eine Regierung zu bilden, es wäre aber auch nicht möglich, ohne Smer eine Regierung zu bilden. Die SDKU kommt laut der Umfrage auf 5,1 Prozent der Stimmen.
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