Russland kann noch eine Rolle spielen
Der deutsche Nahost-Experte Volker Perthes hält eine militärische Hilfe für die syrische Oppositions-„Armee“ für kontraproduktiv. In einer Analyse für die Nachrichtenagentur Reuters nennt Perthes die Gründe. Weiters rät Perthes dem Westen, weiter auf Druck und Diplomatie zu setzen. Und er sieht auch noch die Chance, dass Russland an einem konstruktiven Ausgang der Krise mitwirken könne. Im Folgenden der Text:
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"Angesichts der anhaltenden Unterdrückung der Protestbewegung durch das syrische Regime sind jüngst die Rufe lauter geworden, die Freie Syrische Armee (FSA) durch Waffenlieferungen und Training zu unterstützen. Die Forderung ist verständlich, aber nicht unbedingt sinnvoll oder strategisch zielführend, jedenfalls dann nicht, wenn es das Ziel ist, einen baldigen Regimewechsel in Syrien zu ermöglichen und dem Land einen langen Bürgerkrieg zu ersparen.
Eine militante Rebellentruppe aus dem Ausland in größerem Stil mit Waffen auszustatten kann in bestimmten Bürgerkriegssituationen die beste unter vielen schlechten Optionen sein: wenn diese Truppe militärisch gewinnen kann, es dadurch möglich ist, befreite Gebiete zu schützen, auf diese Weise ein Regimewechsel beschleunigt und damit das Morden beendet werden kann. Falls keine dieser Bedingungen vorliegt, wird nur eine weitere Militarisierung des Konflikts in Kauf genommen. Man sollte die strategischen Argumente daher gut abwägen."
„Proteste sollen friedlichen Charakter bewahren“
"Trotz der Militarisierung der Anti-Regime-Proteste, die seit dem Sommer 2011 begonnen hat, konnte der Aufstand in Syrien überwiegend seinen friedlichen Charakter bewahren. Das gibt ihm eine moralische Überlegenheit, die auch bewaffnete Deserteure für sich in Anspruch nehmen können, solange sie sich auf den Schutz von Demonstrationen und belagerten Städten oder Stadtteilen konzentrieren. Eine organisierte Bewaffnung der Rebellen hieße, auf eine militärische Entscheidung im Bürgerkrieg zu setzen.
Eine kühle Analyse der Lage in Syrien lässt allerdings viele Gründe dafür erkennen, dass ein Absturz in den vollen Bürgerkrieg die Lebenszeit des Regimes nicht verkürzen, sondern verlängern könnte.
Entsprechend ist es auch das Regime, das ein Interesse daran hat, einen echten Bürgerkrieg zu führen - und eben nicht einen friedlichen Bürgeraufstand bekämpfen zu müssen. Wir sehen das dort, wo das Regime versucht, die Angst der alawitischen und der christlichen Minderheiten zu schüren, möglicherweise sogar Racheakte von Einwohnern sunnitischer Dörfer auf alawitische Nachbardörfer zu ermutigen."
„FSA nur dem Namen nach eine Armee“
"Was die militärischen Kräfteverhältnisse betrifft, so können die Rebellen einen Bürgerkrieg auf absehbare Zeit auch mit Waffenhilfe von außen nicht gewinnen. Die FSA ist bislang nur dem Namen nach eine Armee. Es handelt sich um einzelne bewaffnete Gruppen, Überläufer aus den regulären Streitkräften, nicht um ganze Truppenteile, die sich aufseiten der Rebellen stellen, wie das in Libyen der Fall war. Das Regime hat die Panzer, Artillerie und Kommandostrukturen einer echten Armee und damit auch die größere Feuerkraft.
Waffenlieferungen an die FSA würden nicht nur die Behauptung der Regimeloyalisten bestätigen, dass das Ausland einen Bürgerkrieg sponsere, sondern der regulären Armee, die zum überwiegenden Teil abseits steht, einen legitimen Feind geben.
Viele Syrerinnen und Syrer sitzen heute noch auf dem buchstäblichen Zaun: Sie unterstützen das Regime nicht und lehnen es oft genug sogar ab. Aber sie fürchten seinen blutigen Sturz, in dessen Folge es zu Racheakten, Staatszerfall oder zur Übernahme der Macht durch andere undemokratische und repressive Kräfte kommen könnte. In einem offenen Bürgerkrieg könnte das Regime seine militärische Macht nicht nur voll einsetzen, sondern dies im Namen der Wiederherstellung eines Mindestmaßes an Ordnung tun - und dafür die Unterstützung aus Kreisen gewinnen, die heute unentschieden sind.
Viele der Deserteure, die sich auf die Seite der Rebellion gestellt haben, haben die Armee verlassen, weil sie gegen unbewaffnete Bürger eingesetzt wurden - und weil dies bei aller Isolierung der Soldaten gegen Nachrichten aus der Welt und trotz der staatlichen Propaganda eben nicht zu verstecken war. Wenn sie wirklich bewaffneten Gegnern gegenüberständen, hätten auch die regulären Streitkräfte - und nicht nur die besonders loyalen Spezialkräfte des Regimes - ein echtes Motiv zu kämpfen."
„Jede weitere Gewaltanwendung isoliert das Land weiter“
"Je mehr Staatschef Baschar al-Assad dagegen auch reguläre Truppen mobilisieren und gegen unbewaffnete Bürger ins Feld schicken muss, desto größer wird die Zahl derjenigen werden, die die Opposition unterstützen. Die Protestbewegung gegen Assad ist schon lange ein Abnutzungsaufstand geworden. Solange sie überwiegend friedlich bleibt und dabei weiter anwächst, kann Assad nicht gewinnen - denn jede weitere einseitige Gewaltanwendung durch das Regime isoliert das Land weiter, beeinträchtigt die Wirtschaft und treibt immer mehr Menschen auf die Straßen.
Das heute noch falsche Argument der russischen Politik, beide Seiten - das Regime und die Rebellen - müssten wegen ihres Gewalteinsatzes verurteilt werden, würde in einem offenen Bürgerkrieg stärker wiegen. Assad und seine Getreuen hätten dann noch weniger Gründe, auf einen Friedensplan der Arabischen Liga oder anderer eingehen, der seine Abdankung vorsieht. Solange das Regime glaubt, gewinnen zu können, wird es keinen Grund geben, über Vorschläge aus dem arabischen Umfeld auch nur nachzudenken."
„Ihre Zeit ist vorbei“
"Assad und seine Getreuen haben bislang nicht eingesehen, dass ihre Zeit vorbei ist. Die regionale und internationale Gemeinschaft wird zunächst alles tun müssen, damit das Regime dies selbst erkennt. Dazu gehört auch, die Opposition auf die Übernahme politischer Verantwortung vorzubereiten - und ein Signal zu setzen, dass ein Zusammenbruch des Assad-Regimes nicht Chaos und den Bürgerkrieg bedeuten muss, sondern eine ordentliche Transition möglich ist, von der auch die Minderheiten und andere Gruppen nichts zu fürchten haben.
Unterdessen ist es richtig, die Sanktionsschraube gegen das Regime anzuziehen. Natürlich sollten Staaten der Protestbewegung helfen, wo sie dies können. Kommunikationsmittel sind wichtig, nicht zuletzt aber politische Unterstützung und die Vorbereitung auf zukünftige Aufgaben. Eine Bewaffnung der Opposition dürfte derzeit eher dem Regime in die Hände spielen. Denkbar ist auch, in einer Sicherheitsratsresolution, die dann vielleicht auch Russland und China mittragen würden, von der syrischen Führung zu verlangen, die Versorgung der belagerten Städte mit Lebensmitteln und Medikamente durch UNO-Konvois aus den Nachbarländern zuzulassen.
Es ist richtig, wenn arabische Regierungen, wie die Tunesiens, beginnen, syrische Botschafter auszuweisen und zu zeigen, dass für sie das Regime in Damaskus keine Ansprechpartner mehr sind. Aber man braucht auch diejenigen, die noch Kontakt zu Assad haben: Deshalb muss Russland, bei aller Kritik an seiner Haltung im Sicherheitsrat, im Spiel bleiben: Es kann den Moment geben, wo eben doch die ‚jemenitische Lösung‘ sinnvoll wird, ein verhandelter Abgang der Regimeelite, vielleicht mit Asyl in Sotschi. Moralisch ist dies nicht die schönste Lösung, aber sie ist einem Ende vorzuziehen, bei dem der Diktator möglichst große Teile seines Landes mit in den Abgrund zieht."
Volker Perthes, Stiftung Wissenschaft und Politik
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